1. Juni 2020

Bald gratis Tampons an St. Galler Schulen?

Mit 13 Jahren passiert es zum ersten Mal. Anna blutete. Sie bemerkt auf der Toilette, dass sich ihre Unterhose rot gefärbt hat. Und das in der Pause zwischen Französisch- und Matheunterricht. Natürlich hat Anna weder Binden noch Tampons dabei. Geschweige denn, dass sie weiss, wie man Tampons einsetzt. Jemanden um Hilfe zu bitten, ist ihr zu peinlich.

In der Stadt St. Gallen soll es in Schulen gratis Binden und Tampons geben, um mit dem Tabuthema Menstruation zu brechen, St. Galler Tagblatt, 30.5. von Marlen Hämmerle

Das ist zwar ein fiktives Beispiel. Es könnte sich aber durchaus so oder so ähnlich zutragen. «Für mich wäre es eine Horrorvorstellung gewesen, im Sekretariat oder bei der Schulmedizin um eine Binde zu bitten. Unter Schülerinnen ist das Thema Menstruation noch ziemlich mit Scham verbunden», sagt An­drea Scheck.

Die Juso-Stadtparlamentarierin fordert deshalb in einem Vorstoss, dass die Stadt in allen öffentlichen Gebäuden gratis Binden und Tampons zur Verfügung stellt – gerade auch in Schulen. Sodass Anna in ihrer Not ganz einfach zu einer bereitliegenden Binde greifen könnte.

«Es ist der falsche Zeitpunkt»

19 Stadtparlamentarierinnen und Stadtparlamentarier haben das Postulat «Gratis Menstruationsartikel in öffentlichen Gebäuden» unterzeichnet. Darunter elf Frauen, aber kein einziger bürgerlicher Politiker. Karin Winter-Dubs, SVP-Fraktionspräsidentin, sagt: «Es ist der falsche Zeitpunkt für diesen Vorstoss. Derzeit gibt es ganz viele Leute, die andere existenzielle Probleme haben. Leute, die sich etwa ums Essen sorgen.»

Genau diesen Einwand hat Andrea Scheck befürchtet: «Das ist für mich nur ein Vorwand, um dem Thema auszuweichen, damit es keine Diskussion gibt.» Dabei sei es wichtig, über die Menstruation und das Bereitstellen von Damenhygieneprodukte zu reden. Eben weil es ein Tabuthema sei.

Das sieht Winter-Dubs wiederum ganz anders.

«Es ist ein natürliches Thema, das alle betrifft. Die Menstruation existiert, jeder weiss das und darum redet man auch nicht darüber.»

 

Winter-Dubs unterrichtet am Kaufmännischen und Weiterbildungszentrum St.Gallen (KBZSG) Berufsschülerinnen und Berufsschüler. Diese gingen mit der Periode ganz offen um. Schülerinnen würden auch mal in die Runde fragen, wenn sie einen Tampon bräuchten.

Das Gegenteil erlebt Andrea Hornstein:

«Viele Frauen getrauen sich nicht, offen um einen Tampon zu bitten. Die Menstruation ist leider immer noch mit Ekel verbunden.»

Die Stadtparlamentarierin gehört der Politischen Frauengruppe (PFG) an.Trotzdem hat sie den Vorstoss nicht unterschrieben – wegen eines technischen Pro­blems. Aufgrund der Coronapandemie dürfen Vorstösse nicht im Stadtparlament zirkulieren, sondern werden via Doodle-Umfrage unterschrieben. «Dass das Unterschreiben nicht funktionierte, hat mich geärgert», sagt Hornstein. «Anderen Frauen ging es wohl auch so.»

Ihr wie auch Andrea Scheck ist es wichtig, dass öffentlich über die Menstruation diskutiert wird, um das Thema zu enttabuisieren. So wünscht sich Scheck mindestens eine gute Diskussion im Stadtparlament. «Für mich gibt es rational kaum Argumente, die gegen eine Erheblicherklärung des Postulats sprechen.»

Nicht jede kann sich Binden und Tampons leisten

Die Menstruation bringt laut Scheck eine finanzielle Ungleichbehandlung mit sich. Eine Grundsatzfrage: Die Güter des täglichen Bedarfs werden bei der Mehrwertsteuer mit 2,5 Prozent besteuert. Tampons und Binden unterliegen dem Normalsatz von 7,7 Prozent. Dabei gehören die Hygieneprodukte für die meisten Frauen zum Grundbedarf.

Eine Frau menstruiert durchschnittlich während 40 Jahren einmal im Monat für etwa fünf Tage. Scheck schreibt, dass Frauen rund 3000 Tage ihres Lebens mit der Menstruation verbrächten. In dieser Zeit verbrauchten sie rund 17000 Menstruationsartikel, für die sie zwischen 4800 und 7200 Franken bezahlen.

Kommen Nebenkosten für Schmerzmittel oder neue Unterwäsche hinzu, belaufe sich die Summe auf etwa 16000 bis 21500 Franken. «Kosten, die nur menstruierende Menschen tragen – für eine Körperfunktion, die angeboren ist», schreibt Scheck.

Nicht jede kann sich diese Kosten leisten. Andrea Hornstein leitet die Spitex St.Gallen-Ost. Sie berichtet von armutsbetroffenen Frauen, die sich mit Stoffresten behelfen oder Tampons einen ganzen Tag nicht auswechseln, weil sie zu wenig Geld besitzen. Dabei sollten Tampons alle vier bis sechs Stunden gewechselt werden. Ansonsten kann das Toxische Schocksyndrom auftreten.

In schottischen Schulen und Universitäten gibt es seit 2018 gratis Tampons und Binden. Im Februar hat das Parlament nun beschlossen, die Hygieneprodukten allen Frauen im Land kostenlos zur Verfügung zu stellen. Grossbritannien schafft die Mehrwertsteuer auf Tampons und Binden ab und Deutschland hat sie zum Jahreswechsel gesenkt. Damenhygieneprodukte gehören dort nun zum Grundbedarf.

In der Schweiz haben Bundesrat und Nationalrat beschlossen, den Mehrwertsteuersatz zu senken. Nun muss der Ständerat über das Geschäft entscheiden. Karin Winter-Dubs hält davon nicht viel. «Wenn diese Artikel dem reduzierten Satz zugerechnet werden, löst das eine Diskussion aus, welche Produkte ebenfalls mit 2,5 Prozent besteuert werden müssten.»

 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen