«Die Folgen der Rezession werden auch auf dem Lehrstellenmarkt zu spüren sein.» Das sagte kürzlich ein Vizedirektor im Departement von Wirtschaftsminister Guy Parmelin an einer Medienkonferenz. «Wir rechnen für mehrere Jahre mit einer schwierigeren Entwicklung, als wir sie in den letzten Jahren gesehen haben.»
Hilfe kommt, sagte Guy Parmelin - doch der Jugend lässt er nun ausrichten: Vergesst euren Traum, CH Media, 23.5. von Niklaus VontobelEine schwierige Entwicklung und dies für mehrere
Jahre erwartet Parmelins Wirtschaftsdepartement. Der Bund befürchtet also eine
Lehrstellenkrise. Doch man glaubt, aus der letzten Krise gelernt zu haben. «Wir
hatten zu Beginn der Nullerjahre eine Lehrstellenkrise», so der Vizedirektor im
Wirtschaftsdepartement. Das Gesetz zur Berufsbildung sei aufgrund dieser
letzten Krise umgeschrieben worden. «Wir haben die gesetzliche Basis, um zu
intervenieren. Die Kantone haben erprobte Instrumente, um Lehrstellen zu
fördern.»
Als ein Bundesrat in der TV-Show unterging
Rückblende: Die Krise der Nullerjahre bewegt die
Schweiz. In der Coronakrise könnte es schwerer werden, das Versprechen der
Berufslehre zu halten: Nahezu alle Jugendlichen, die wollen, sollen via Lehre
in die Arbeitswelt einsteigen können.
In der Lehrstellenkrise der Nullerjahre gibt es
keinen Einbruch, es bleibt bei einer wirtschaftlichen Stagnation. Zwei Jahre
lang gibt es praktisch Nullwachstum. Die Arbeitslosenquote erreicht den
Höchststand bei 5,1 Prozent. Aus dieser Wirtschaftsflaute wird erst durch die
Demografie eine Lehrstellenkrise. Ab Mitte der Neunzigerjahre gehen jährlich
mehr Jugendliche von der Schule ab. Das Angebot an Lehrstellen hält lange mit.
Doch damit ist es vorbei, als die Wirtschaft stagniert. Im Jahr 2002 werden
2400 Lehrverträge weniger abgeschlossen als im Vorjahr.
Die politische Linke will das Recht auf berufliche
Ausbildung in die Verfassung schreiben. Gewerkschafter unken, es würden 9000
Jugendliche ohne eine Lehrstelle bleiben. Wirtschaftsminister Joseph Deiss
beruft eine Taskforce ein.
«Fleissig, willig – und kaum Chancen», titelt das
Boulevardblatt «Blick». In einer Berner Abschlussklasse im Schulhaus
Bethlehemacker wird gefragt, wer noch keine Lehrstelle hat. 13 Hände gehen in
die Höhe, nur sechs haben schon einen Platz. Am Fernsehen lässt im
«Club» keiner den anderen ausreden, Bundesrat Deiss geht unter. Am
Ende wird die Lehrstellen-Initiative hochkant abgelehnt.
Das Gesetz für die Berufsbildung wird
umgeschrieben. Es braucht einen Effort, um aus der Krise zu kommen. Neu können
kleine und mittlere Betriebe einen Lehrling gemeinsam beschäftigen, in
Verbünden. Die Kantone gehen Klinkenputzen oder appellieren via Medien an die
Betriebe. Neue Programme werden angeboten, mit denen sich ein Jahr überbrücken
lässt. Weniger beliebte Berufe werden beworben mit Imagekampagnen und
Berufsweltmeisterschaften: etwa Schreiner, Metzger oder Maler.
Die Macht der Demografie wird oft unterschätzt
In der Coronakrise stehen die Vorzeichen schlechter
als in den Nullerjahren. Dieses Jahr bricht die Wirtschaft so stark ein, wie in
der Nachkriegsgeschichte sonst nur in der Ölkrise. Im nächsten Jahr wird der
Einbruch nicht aufgeholt sein. Es wird eine Arbeitslosenquote von
zwischenzeitlich 6 Prozent erwartet.
Das kostet Lehrstellen. Gemäss einer Berechnung der
Universitäten von Bern und Zürich lässt sich aus der Geschichte ableiten:
Treffen die aktuellen Prognosen ein, würden 5000 bis 20'000 weniger
Lehrverträge unterschrieben. Bis der Schock ausgestanden ist, könnte es fünf
Jahre lang dauern.
Die Rezession kommt zur Unzeit, ähnlich wie die
Wirtschaftsflaute der Nullerjahre. Es stehen mehrere Jahre bevor, in denen
jedes Mal mehr Jugendliche eine Lehrstelle suchen werden. Die Demografie könnte
erneut aus einer Wirtschaftskrise eine Lehrstellenkrise machen.
Die Macht der Demografie zeigte sich auch in der
Finanzkrise von 2008. Damals stützt sie die Berufslehre. Die Wirtschaft bricht
stärker ein als in den Nullerjahren. Die Arbeitslosigkeit ist ähnlich hoch.
Doch es gehen jährlich weniger Jugendliche von der Schule ab. Das genügt. Die
Finanzkrise wird nie zu einer Lehrstellenkrise.
Traditionelle Berufe nicht mehr beliebt
Gottgegeben ist auch in der Coronakrise nichts. Es
kann besser kommen. Zum Beispiel, wenn die Jugendlichen weniger wählerisch sind
als in der Vergangenheit. So sieht man das im Departement von Parmelin. «Wir
appellieren, in dieser Situation auch einmal die zweitbeste Lehrstelle zu
wählen», sagt ein Vizedirektor des Departements. Man solle gar nicht erst
versuchen, die Krise auszusitzen und so den Traum von der Lieblingslehrstelle
zu retten. «Die Aussichten sind vergleichsweise gering, dass es nächstes Jahr
die erstbeste Lehrstelle wird.»
Gebt euren Traum auf – der ernüchternde Appell, den
Bundesrat Parmelin ausrichten lässt, hat einen Hintergrund. Ein Brückenjahr
hilft kaum, falls die Krise mehrere Jahre dauert. 2021 dürfte der Kampf um
Lehrstellen wiederum eng werden. Und es gilt, was schon in Nullerjahren galt:
Es hat eigentlich mehr Lehrstellen, als nachgefragt werden. Nur sind es
Stellen, die kaum einer will. Es sind unpopuläre Berufe oder sie sind im
falschen Kanton.
«Man muss endlich akzeptieren: Nicht alle können
eine KV-Lehre oder eine Informatikausbildung machen», hiess es schon in den
Nullerjahren vom Gewerbeverband. Und von Jugendlichen kam zurück: «Die
traditionellen Berufe sind einfach nicht mehr beliebt.»
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