Plexiglasscheiben, Sicherheitsabstände,
Desinfektionsmittel: Nach zwei Monaten Fernunterricht haben die Schulen diese
Woche ihren Betrieb wieder aufgenommen. Doch der Ort, der üblicherweise von
Austausch und Nähe lebt, hat sich in der Corona-Krise stark verändert.
Die Schule hat zwei Defizite - und eine Chance, Tages Anzeiger, 16.5. von Raphaela Birrer
Die Verunsicherung über teils widersprüchliche und
mancherorts drastische Schutzkonzepte ist deutlich spürbar. Und deutlich treten
nun auch weit grössere Probleme zutage, die zu lange vernachlässigt
worden sind. So waren die Schulen trotz entsprechender Offensiven
unzureichend auf den digitalen Unterricht vorbereitet – ein folgenschweres
Versäumnis. Die Lehrkräfte mussten eilends Konzepte, Methoden und Material für
den virtuellen Raum entwickeln, deren Erfolg massgeblich vom Sondereffort der
einzelnen Pädagoginnen abhing.
Das Lernen in der Distanz hat auch ein zweites
Defizit offengelegt: Im digitalen Unterricht werden jene Schüler abgehängt,
deren Lernverhalten zu Hause ohnehin wenig kontrolliert
wird. In einer breit angelegten Studie der Pädagogischen Hochschule Zug
zu den Folgen der Corona-Krise geben nur 61 Prozent der Schweizer
Lehrer und Schulleiter an, dass ihre Schüler zu Hause aktiv an ihren
Aufgaben arbeiteten.
Auf diese Weise können beträchtliche Rückstände
entstehen, die nur schwer in kurzer Zeit kompensiert werden können
– die Schere öffnet sich. Dass die Lehrerinnen nun zusätzliche
Stützmassnahmen fordern, ist daher nachvollziehbar. Doch mehr Mittel für die
Schule sind angesichts der bevorstehenden Rezession politisch unwahrscheinlich.
Sinnvoller wäre es, die beiden Defizite zu einer
Chance zu verweben: Der Digitalisierungsschub in den Schulen kann jetzt genutzt
werden, um die selbstständigeren Schüler vermehrt im individualisierten Lernen
zu fördern. Das spielt Ressourcen frei, um unterstützungsbedürftigere Kinder
enger zu begleiten. Es wäre eine erfreuliche Entwicklung in schwierigen
Schulzeiten.
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