Manche
Eltern atmen auf: Ab dem 11. Mai findet in der Volksschule wieder
Präsenzunterricht statt. Es gibt aber auch Väter und Mütter - etwa mit
Vorerkrankung -, die sich fürchten, ihr Kind könnte das Coronavirus von der
Schule in die Familie einschleppen. Was darf man, was darf man nicht? CH Media
beantwortet die wichtigsten Fragen.
Corona-Angst: Schicken Eltern ihre Kinder nicht in die Schule, droht eine saftige Busse - das müssen Sie wissen, Aargauer Zeitung, 21.4. von Kari Kälin
1. Weshalb gibt es Widerstand gegen die
Wiederöffnung der Schule?
Wissenschaftlich ist immer noch nicht geklärt, was für eine Rolle die Kinder
bei der Übertragung des Coronavirus spielen. Philippe Eggimann, Infektiologe
und Präsident der Waadtländer Ärztegesellschaft, taxiert deshalb den Entscheid
zur Wiederöffnung der Schulen als politisch und nicht wissenschaftlich. Wenn
die Kinder die Vorsichtsmassnahmen nicht umsetzen könnten, bestehe die Gefahr,
neue Infektionsketten zu entfesseln.
2. Was passiert, wenn Eltern aus Angst vor dem
Virus ihre Kinder von der Schule fernhalten?
Wie
die Schulpflicht durchgesetzt werde, sei grundsätzlich geklärt, sagt der Zuger
Bildungsdirektor Stephan Schleiss: «Die Kinder sind schulpflichtig, eine
Wahlfreiheit zwischen Präsenz- und Fernunterricht gibt es nicht.» Wer aus
gesundheitlichen Gründen – weil das Kind oder ein Elternteil gefährdet ist –
nicht am Präsenzunterricht teilnehmen könne, müsse dies mit Arztzeugnis
belegen. Und: «Wer seine Kinder ohne Arztzeugnis zu Hause behält, riskiert eine
Busse.» Schleiss hofft, dass der Bund noch mehr Vertrauen schaffen kann, am
liebsten durch solide wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die Wiederöffnung
der Schulen verantwortungsvoll ist.
3. Die Bussen können einige Tausend Franken
betragen. Werden die Behörden hart durchgreifen?
Das
weiss man nicht. Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung im
Kanton Luzern, möchte abwarten, ob allenfalls der Bund oder die Schweizerische
Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren Empfehlungen abgeben. Er
persönlich plädiert für ein zurückhaltendes Vorgehen und schlägt vor, in einer
ersten Phase auf Bussen zu verzichten. «Wenn zum Beispiel Eltern zur
verletzlichen Personengruppe gehören und sich berechtigterweise Sorgen machen,
wäre es nicht opportun, sofort rigoros mit Strafen zu reagieren», sagt Vincent.
4. Wie beurteilt die Fachstelle Schulrecht AG
diese Frage?
Geschäftsführer Peter Hofmann, Jurist und Pädagoge, lehrt an der Pädagogischen
Hochschule St. Gallen Schulrecht. Er fände es unverhältnismässig, unter den
aktuellen Umständen Eltern zu büssen. «Zum Themenkomplex Coronavirus und Kinder
sind noch sehr viele Fragen offen. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um strenge
Sanktionen zu erlassen», sagt er. Hofmann erwartet nicht, dass die Behörden
Eltern strafen, die ihre Kinder vom Unterricht fernhalten. Und: «Solange die
Eltern nicht überzeugt sind, dass die Sicherheit genügend gewährleistet ist,
werden diese auch nicht durch die Androhung von Bussen ihre Kinder wieder der
Schule anvertrauen.»
5. Wie sehen die Lehrer die geplante
Schulöffnung?
Dagmar
Rösler, Präsidentin des Dachverbandes der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer,
sagt. «Viele Lehrpersonen, die zur Risikogruppe gehören, sind im Hinblick auf
die Wiederöffnung der Schulen besorgt um ihre Gesundheit», sagt sie. Dies
treffe vor allem auf Personen mit Vorerkrankungen zu, aber auch auf Pädagogen,
die trotz Erreichen des Rentenalters weiterhin unterrichteten. Rösler fordert,
dass nun in interkantonaler Zusammenarbeit ein Schutzkonzept ausgearbeitet
wird, das der Realität in den Klassenzimmern Rechnung trage und in der Praxis
umsetzbar sei. Samuel Rohrbach, Präsident des Westschweizer Lehrerverbandes,
hält eine Schulöffnung nur dann für realistisch, wenn die Sicherheitsmassnahmen
eingehalten werden können. Er sagt aber: «Wie die Distanzregeln mit 20 Schülern
in einer Klasse eingehalten werden sollen, ist ein grosses Rätsel.»
6. Ist sich die Wissenschaft in der Frage der
Schulöffnung einig?
Unter
den Wissenschaftern gibt es bezüglich der Schulöffnung Skeptiker und
Befürworter. Zu letzteren zählt Beda Stadler. Der emeritierte Professor für
Immunologie an der Universität Bern verweist auch auf die Erkenntnis bis jetzt
vorliegender Studien, wonach der Krankheitsverlauf bei Kindern mild verläuft.
Für Stadler ist allerdings klar, dass gesundheitlich vorbelastete Kinder und
Lehrer zu Hause bleiben müssen. Der Schutz der Risikogruppen reiche aus, um die
Spitäler vor einer Überbelastung zu bewahren. Das habe der bisherige Verlauf
der Ansteckungen gezeigt. Die Wiederöffnung der Schulen erachtet Stadler als
wichtigen Schritt zum Erreichen der Herdenimmunität. Wenn die Ansteckungskurve
so flach verlaufe wie bisher mit den strengen Massnahmen, daure es dafür sonst
drei Jahre. So lange könne man die Risikopersonen und die Senioren aber nicht
einsperren.
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