11. April 2020

Kinder betteln, wieder in die Schule zu dürfen


In der Schweiz sollen auch diesen Sommer alle Kinder ein Zeugnis bekommen. Ob es auch Noten gibt, sei aber noch unsicher, sagt Silvia Steiner, Präsidentin der Konferenz der Erziehungsdirektoren.

"Ich hoffe, der Albtraum ist bald vorbei", Tages Anzeiger, 3.4. von Daniel Scheebeli


Die Kinder bekommen im Sommer Notenzeugnisse. Wie sollen die Lehrer die Leistungen bewerten, wenn sie die Schüler monatelang nicht gesehen haben?
Sie bekommen Zeugnisse, die mit einem Vermerk ergänzt sind, dass es während der Corona- Krise keinen Präsenzunterricht gab. Ob es Noten gibt, entscheidet sich erst später in den einzelnen Kantonen. Das hängt vor allem davon ab, wann die Schulen wieder geöffnet werden können. Wenn sie bis im Sommer geschlossen sind, kann man keine Noten erteilen.

Was steht dann in den Zeugnissen?
Nur der Vermerk über den ausgefallenen Unterricht.

Das ist aber nicht gerade viel.
Das spielt auch keine grosse Rolle, weil die Februar-Zeugnisse für die Promotion in die Sekundarschule, in die Mittel- oder in die Berufsschule entscheidend waren.

Wann müsste die Schule spätestens wieder eröffnen, damit die Lehrer noch Noten geben müssten?
Das handeln wir derzeit mit den Lehrerverbänden aus. Wir werden uns einigen auf eine für alle praktikable Lösung.

Für den Übertritt in die Sekundarstufe II können die Kantone die Aufnahmebedingungen anpassen. Was bedeutet das?
Im Kanton Zürich haben wir das bereits gemacht: Ins Gymi sind nicht nur alle automatisch aufgenommen, welche die schriftliche Prüfung bestanden haben, sondern auch jene, die noch eine mündliche Prüfung machen müssten. Und für die Berufsmaturitätsschule 2 reicht ausnahmsweise eine 5 aus der Lehrabschlussprüfung für den prüfungsfreien Zugang. Es gibt aber viele Kantone, die andere Aufnahmeverfahren haben als wir. Auch sie können ihre Bedingungen anpassen. 

Die EDK hat entschieden, dass dieses Schuljahr ein vollwertiges Schuljahr sein soll. Was bedeutet das?
Es wird Ende Schuljahr keine zusätzliche Unterrichtszeit angehängt. Und die Sommerferien werden nicht ins nächste Schuljahr hinein verlängert. 

Obwohl Kinder im Fernunterricht kaum so viel lernen wie in der Schule, wollen Sie an den Frühlingsferien festhalten. Warum?
So strikt ist das nicht gemeint. Wenn ein Kanton in Einzelfällen Stützunterricht bieten will, dürfte er das. Aber für den allgemeinen Unterricht werden die Ferien nicht verwendet.

Viele Eltern wären froh, sie hätten auch in den Ferien Schulstoff für ihre Kinder, weil die Kinder nicht den ganzen Tag draussen spielen sollten...
...es gibt auch Eltern, die dringend eine Pause brauchen. Die fernunterrichtsfreie Zeit ist auch für die Lehrpersonen wichtig. Für sie wird womöglich eine schwierige Phase beginnen, wenn der Fernunterricht nach den Frühlingsferien weitergeht. Dann müssen sie wohl ihre Unterrichtskonzepte neu aufbereiten.

Sie empfehlen auch nicht, in den Ferien Aufgaben nach Hause zu geben?
Ich würde das nicht empfehlen. Wir versuchen die Eltern mit Informationen und Tipps für die Ferienzeit zu unterstützen. Aber ich rede den Schulen nicht drein. Das ist, wie wenn ich den Lehrpersonen vorschreiben würde, welche Wandtafelkreide sie brauchen müssen. Das gehört zur Methodenfreiheit.

Wann rechnet die EDK mit der Wiedereröffnung der Schulen?
Da haben wir Bildungsdirektorinnen und -direktoren gar nichts zu sagen. Das entscheidet der Bundesrat, gestützt auf die Einschätzung der Gesundheitsfachleute.

Sie haben also keine Ahnung, wenn das so weit ist?
Nein.

Was denken Sie, bleiben die Schulen nach den Frühlingsferien noch geschlossen?
Ich spekuliere nicht. In einer solchen Krisensituation muss man auf alle Möglichkeiten vorbereitet sein. Wir bereiten also verschiedene Szenarien vor.

Also auch die Wiedereröffnung nach den Ferien.
Dann würden wir den Schulbetrieb wieder hochfahren. Das wäre die organisatorisch einfachste Variante.

Aber Sie rechnen nicht damit.
Ich empfehle allen, sich mental auf den schlechtesten Fall vorzubereiten. Sonst ist man nur enttäuscht, wenns nicht schneller gegangen ist.

Und der schlechteste Fall wäre?
Ich finde es jetzt schon schlimm genug, ich bekomme Briefe von Kindern, die darum betteln, dass sie wieder zur Schule können.

Ein grosses Problem sind die Maturaprüfungen. Was hat die EDK hier genau entschieden?
In den meisten Kantonen finden sie erst im Juni statt. Darum werden wir dazu erst später entscheiden.

Wann ist das?
Da kann ich noch keine Termine sagen. Entscheidend ist, wie lange dieser Lockdown weitergeht. Der Bund gibt nur vor, dass es schriftliche Prüfungen gibt. Die Kantone können darüber hinaus noch mündliche anordnen. Wir diskutieren darum drei Varianten. Totalausfall, nur schriftliche Prüfungen in allen Kantonen oder die normale Durchführung. Wir haben in dieser Frage noch Zeit und wollen den Fernunterricht in den Gymnasien nicht beeinflussen. Es wird dort weiterhin Stoff vermittelt.

Wie ist gewährleistet, dass die diesjährigen Maturanden gleich gute Chancen haben wie in den anderen Jahren?
Das ist in jedem Fall gewähr eistet. Wir haben nur wenige, welche die Maturaprüfung nicht bestehen. Im schlechtesten Fall, dem Totalausfall der Prüfungen, stellen wir auf die Erfahrungsnoten ab. Wir waren uns in der EDK einig, dass alle, die bestanden haben, im Herbst zu einem weiterführenden Studiengang zugelassen werden. Und die Uni Zürich hat mir zugesichert, dass dies der Fall sein wird und sie davon ausgeht, dass dieser Jahrgang ebenso gut ausgebildet ist wie andere auch. Meine Amtskollegin aus Bern hat mir Ähnliches aus ihrem Kanton gesagt. 

Sie verlangen von Bundesrat Parmelin einen Verzicht auf die praktischen Lehrabschlussprüfungen. Wie ist die Haltung in der EDK dazu?
Leider sind nicht alle gleicher Meinung. Ich hätte gerne eine einheitliche Lösung gehabt im ganzen Land. Doch damit werde ich mich kaum durchsetzen können.

Die Berufsverbände werden also selber entscheiden können, ob sie praktische Prüfungen durchführen wollen - auch in Zürich?
Ja genau. Aber entscheiden wird der Bundesrat.

Wie schwierig war die Zusammenarbeit in der EDK?
Nicht besonders schwierig, wir arbeiten konstruktiv. Es geht uns immer auch darum, Sonderlösungen in den Kantonen zuzulassen und gleichzeitig eine möglichst grosse Einheitlichkeit zu bekommen.

Haben Sie heute an einer Präsenzsitzung entschieden?
Nein. Es war ein schriftlicher Zirkularbeschluss. Im Vorstand haben wir jetzt schon zweimal in einer Videokonferenz getagt.

Wie sehen Sie die nähere Zukunft für die Schulen?
Es läuft eigentlich unter diesen erschwerten Bedingungen sehr gut. Das höre ich auch von meinen Amtskollegen im ganzen Land. Sorgen bereiten uns Kinder, die in schwierigen Familienverhältnissen leben. Und dann gibt es eine Gruppe von Jugendlichen, die unter psychischen Problemen leiden, wenn sie viel weniger Kontakt zu ihre Kameraden haben. Ich hoffe darum, dass dieser Albtraum möglichst bald vorbei ist.


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