17. April 2020

Grosse Unterschiede beim Fernunterricht


Seit vier Wochen sitzen die rund 1,3 Millionen Schülerinnen und Schüler in der ganzen Schweiz nicht mehr in ihren Klassenzimmern, sondern vor Laptops, Tablets und Arbeitsblättern. Bis mindestens Ende April bleiben die Schulen geschlossen – wahrscheinlich noch länger. Die Schulen sollen während des Lockdown weiterarbeiten. Das tun sie alle – mit unterschiedlichem Erfolg, wie Eltern berichten. Während manche Lehrer auf digitalem Weg nahezu «echten» Unterricht bieten würden, seien andere technologisch in der Kreidezeit stecken geblieben.
"Es gibt Lehrer, von denen hört man so gut wie gar nichts", Sonntagszeitung, 12.4. von Nadja Pastega

«Bei meinem Sohn ziehen die Primarschullehrer von Haustür zu Haustür, um die Aufgabenblätter zu verteilen», sagt ein Vater aus der Region Basel. «Die Lehrer schicken ein Mail mit den Aufgaben, und dann hört man für den Rest der Woche nichts mehr», sagt die Mutter einer Zürcher Mittelschülerin. Frage man nach, heisse es: «Wissen Sie, wie viele Klassen ich habe? Sechs. Die muss ich alle irgendwie beschäftigen.»

Tiefenentspannt im Pyjama

Den meisten ist klar: Die Lehrer leisten einen grossen Einsatz, viele machen ihre Arbeit gut. Aber in der Corona-Krise stossen die Schulen an Grenzen. Der digitale Fernunterricht funktioniert nicht überall – und vor allem nicht überall gleich gut. Das Spektrum ist riesig. Es reicht von Lehrern, die per E-Mail ein paar Buchempfehlungen aussprechen, bis zum ultraeifrigen Informatik-Streber, der einen vollständigen Unterricht durchzieht. Virtuell, interaktiv, multimedial.

«Meine Tochter hat jeden Tag mehrere Videocalls», klagt der Vater einer Sekschülerin. «Die Lehrer sind technisch so versiert, dass sie während der virtuellen Schulstunden sogar Kleingruppen bilden können, die dann nur unter sich per Video eine Aufgabe lösen, als würden sie separat das Klassenzimmer verlassen.»

Quatsch machen oder Schwatzen mit dem Sitznachbarn? Beim Videocall geht das alles nicht. Der Lehrer hat alle im Blick und kann, wenn er will, jeden auf stumm schalten.
Manche Lehrer machen virtuell noch mehr Leistungsdruck als im Präsenzunterricht. «Meine Tochter erhält Aufgaben per Push-Nachricht, die dann nach einer Weile wieder verschwinden», erzählt ein Vater. «Man muss sich also sofort ransetzen, sonst hat man keine Chance. Und stellt man das PDF dann zu spät in den Ordner, wird das dem Lehrer sofort elektronisch mitgeteilt.» Sein Sohn bekomme auch regelmässig Übungsvideos für den Sportunterricht. «Er muss sich dann selber filmen, wie er die Übungen nachturnt, und das Video dem Lehrer schicken.»

Nicht überall wird so generalstabsmässig beschult. Es gibt auch Fernunterricht mit Ferien-Feeling. Eltern berichten von Kindern in Elitegymnasien, die derzeit vollkommen tiefenentspannt den Morgen im Pyjama verbringen.

Generation Schnaps-Matritze

Stephan Huber von der Pädagogischen Hochschule Zug weiss, wie unterschiedlich der Fernunterricht umgesetzt wird. Das Schul-Barometer des Bildungsforschers, eine Umfrage bei 7100 Eltern, Schülern und Lehrern in der Schweiz, Deutschland und Österreich, zeigt: An den Schulen herrschen ungleiche Bedingungen. «Selbst innerhalb der einzelnen Schulen gibt es grosse Unterschiede, wie Schüler berichten», sagt Huber. «Sie geben an, dass sie mit einigen Lehrern fast täglich in Kontakt stehen, daneben gebe es Lehrer, von denen man so gut wie gar nichts höre.»

Rund zehn Prozent der Schüler sagen auch, dass Absprachen mit den Lehrern schlecht funktionieren. Knapp ein Fünftel berichtet zudem, dass sie pro Tag im Schnitt nur rund zwei Stunden lernen. Und ein Drittel der befragten Eltern, sagt Huber, «sind mehr oder minder besorgt über den Lernverlauf ihrer Kinder». Nur eine Minderheit stimme in der Umfrage der Aussage zu, dass die erledigten Aufgaben von den Lehrern auch kontrolliert werden. «Derzeit sind die Lehrer gefordert, viele werden kreativ, arbeiten weit über das normale Mass hinaus», sagt Huber. «Einige arbeiten sich jetzt mühevoll in die digitalen Lehr- und Lernformen ein.»

Wie zum Beispiel eine Lehrerin aus einer ländlichen Gegend, die sich kürzlich im Radio ein Musikstück wünschte als Dankeschön an eine Kollegin, die ihr «mit dem Computer» geholfen habe. Sie selber kenne sich da schlecht aus, habe wenig Erfahrung mit Computern, sagte die Lehrerin: «Ich gehöre eben noch zur Generation ‹Schnaps-Matritze›.»

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen