Seit vier Wochen sitzen die rund 1,3 Millionen Schülerinnen und
Schüler in der ganzen Schweiz nicht mehr in ihren Klassenzimmern, sondern vor Laptops,
Tablets und Arbeitsblättern. Bis mindestens Ende April bleiben die Schulen geschlossen
– wahrscheinlich noch länger. Die Schulen sollen während des Lockdown weiterarbeiten.
Das tun sie alle – mit unterschiedlichem Erfolg, wie Eltern berichten. Während manche
Lehrer auf digitalem Weg nahezu «echten» Unterricht bieten würden, seien andere
technologisch in der Kreidezeit stecken geblieben.
"Es gibt Lehrer, von denen hört man so gut wie gar nichts", Sonntagszeitung, 12.4. von Nadja Pastega
«Bei meinem Sohn ziehen die Primarschullehrer von Haustür zu
Haustür, um die Aufgabenblätter zu verteilen», sagt ein Vater aus der Region Basel.
«Die Lehrer schicken ein Mail mit den Aufgaben, und dann hört man für den Rest der
Woche nichts mehr», sagt die Mutter einer Zürcher Mittelschülerin. Frage man nach,
heisse es: «Wissen Sie, wie viele Klassen ich habe? Sechs. Die muss ich alle irgendwie
beschäftigen.»
Tiefenentspannt im Pyjama
Den meisten ist klar: Die Lehrer leisten einen grossen Einsatz,
viele machen ihre Arbeit gut. Aber in der Corona-Krise stossen die Schulen an Grenzen.
Der digitale Fernunterricht funktioniert nicht überall – und vor allem nicht überall
gleich gut. Das Spektrum ist riesig. Es reicht von Lehrern, die per E-Mail ein paar
Buchempfehlungen aussprechen, bis zum ultraeifrigen Informatik-Streber, der einen
vollständigen Unterricht durchzieht. Virtuell, interaktiv, multimedial.
«Meine Tochter hat jeden Tag mehrere Videocalls», klagt der Vater
einer Sekschülerin. «Die Lehrer sind technisch so versiert, dass sie während der
virtuellen Schulstunden sogar Kleingruppen bilden können, die dann nur unter sich
per Video eine Aufgabe lösen, als würden sie separat das Klassenzimmer verlassen.»
Quatsch machen oder Schwatzen mit dem Sitznachbarn? Beim Videocall
geht das alles nicht. Der Lehrer hat alle im Blick und kann, wenn er will, jeden
auf stumm schalten.
Manche Lehrer machen virtuell noch mehr Leistungsdruck als im
Präsenzunterricht. «Meine Tochter erhält Aufgaben per Push-Nachricht, die dann nach
einer Weile wieder verschwinden», erzählt ein Vater. «Man muss sich also sofort
ransetzen, sonst hat man keine Chance. Und stellt man das PDF dann zu spät in den
Ordner, wird das dem Lehrer sofort elektronisch mitgeteilt.» Sein Sohn bekomme auch
regelmässig Übungsvideos für den Sportunterricht. «Er muss sich dann selber filmen,
wie er die Übungen nachturnt, und das Video dem Lehrer schicken.»
Nicht überall wird so generalstabsmässig beschult. Es gibt auch
Fernunterricht mit Ferien-Feeling. Eltern berichten von Kindern in Elitegymnasien,
die derzeit vollkommen tiefenentspannt den Morgen im Pyjama verbringen.
Generation Schnaps-Matritze
Stephan Huber von der Pädagogischen Hochschule Zug weiss, wie
unterschiedlich der Fernunterricht umgesetzt wird. Das Schul-Barometer des Bildungsforschers,
eine Umfrage bei 7100 Eltern, Schülern und Lehrern in der Schweiz, Deutschland und
Österreich, zeigt: An den Schulen herrschen ungleiche Bedingungen. «Selbst innerhalb
der einzelnen Schulen gibt es grosse Unterschiede, wie Schüler berichten», sagt
Huber. «Sie geben an, dass sie mit einigen Lehrern fast täglich in Kontakt stehen,
daneben gebe es Lehrer, von denen man so gut wie gar nichts höre.»
Rund zehn Prozent der Schüler sagen auch, dass Absprachen mit
den Lehrern schlecht funktionieren. Knapp ein Fünftel berichtet zudem, dass sie
pro Tag im Schnitt nur rund zwei Stunden lernen. Und ein Drittel der befragten Eltern,
sagt Huber, «sind mehr oder minder besorgt über den Lernverlauf ihrer Kinder». Nur
eine Minderheit stimme in der Umfrage der Aussage zu, dass die erledigten Aufgaben
von den Lehrern auch kontrolliert werden. «Derzeit sind die Lehrer gefordert, viele
werden kreativ, arbeiten weit über das normale Mass hinaus», sagt Huber. «Einige
arbeiten sich jetzt mühevoll in die digitalen Lehr- und Lernformen ein.»
Wie zum Beispiel eine Lehrerin aus einer ländlichen Gegend, die
sich kürzlich im Radio ein Musikstück wünschte als Dankeschön an eine Kollegin,
die ihr «mit dem Computer» geholfen habe. Sie selber kenne sich da schlecht aus,
habe wenig Erfahrung mit Computern, sagte die Lehrerin: «Ich gehöre eben noch zur
Generation ‹Schnaps-Matritze›.»
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