26. April 2020

Corona stutzt den Lehrplan


Die Frühlingsferien sind vorbei, die Ausnahmesituation dauert an. Schülerinnen und Schüler haben weiterhin Fernunterricht. Büffeln im Kinder- statt im Schulzimmer, vor dem Monitor statt der Wandtafel. Erst ab 11. Mai sollen die Schulen wieder ihre Türen öffnen.
Franz-Wörtli sind wichtig, Minusrechnen nicht so, Blick, 25.4. von Lea Hartmann und Tobias Bruggmann

Doch die Corona-Krise ändert nicht nur die Art des Unterrichts. Sondern auch die Lerninhalte. Ist der Lehrplan schon in normalen Zeiten kaum zu schaffen, kommen die Lehrer jetzt nicht drum herum, den Stoff aufs Nötigste einzudampfen. Der St. Galler Bildungsdirektor Stefan Kölliker (49) hat die Eltern darauf vorbereitet, dass «nicht sämtliche Kompetenzbereiche thematisiert und nicht alle regulär geplanten Lehrplaninhalte vermittelt werden» könnten. Und das Aargauer Bildungsdepartement stellt klar: Die Zielsetzungen des Lehrplans könnten dieses Jahr «nur teilweise erreicht werden».

Weniger Zeit für das, was Spass macht

Roland Zeller (64) ist Klassenlehrer an der Sek im thurgauischen Aadorf und unterrichtet unter anderem Deutsch, Mathematik, Englisch und Geschichte. Kapitel, die viele Inputs durch die Lehrpersonen verlangen, müsse er nun kürzen oder streichen, erzählt Zeller. «Oft sind es leider die Kapitel, die besonders viel Spass machen würden», bedauert er.
Der Unterricht sei trockener und theoretischer geworden.
Seine Schüler haben derzeit nur zwei statt drei Lektionen Englisch pro Woche, auch bei Geschichte muss Zeller kürzen. Dieses Fach sei im Fernunterricht besonders schwer zu vermitteln, weil die Themen oft zu komplex für ein reines Selbststudium seien, erzählt der Lehrer. Das Fach Ethik, Religion und Gesellschaft wurde derweil kurzerhand zur Klassenstunde umfunktioniert.

Kantone legen Leitplanken fest

Aber die Corona-Krise hat auch über die Zeit des Fernunterrichts hinaus Konsequenzen auf den Lehrplan. Denn bis zu den Sommerferien alles nachzuholen, ist unmöglich. Was weggelassen wird, entscheiden meistens die Lehrpersonen. Schliesslich wissen sie am besten, wo sie Abstriche machen können, ohne dass ihre Schüler nachher den Anschluss verlieren.
Die Kantone lassen den Lehrern aber nicht komplett freie Hand. «In allen Kantonen wurden kantonale Weisungen erlassen, wie die Schule nun im Fernunterricht mit den Lernzielen umgehen muss», sagt Dagmar Rösler (40), Präsidentin des Lehrerinnen- und Lehrerdachverbands (LCH).
Wie lang die Leine ist, an die der Kanton die Lehrer nimmt, ist sehr unterschiedlich. Viele Kantone, beispielsweise Bern, Zürich, Thurgau oder Graubünden, schreiben lediglich fest, dass sich die Lehrer weiterhin an den Lehrplan halten müssen. Wie sie die Schwerpunkte setzen, können sie frei entscheiden. Andere Kantone legen Kernfächer fest, auf die sich die Lehrer konzentrieren sollen – meist Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen.

Um Kommaregeln kommen die Sek-Schüler nicht herum

Ganz genau nimmt es der Kanton Luzern. Er hat für praktisch jedes Fach und jedes Schuljahr detaillierte Pläne ausgearbeitet. Aus ihnen geht hervor, was die Schülerinnen und Schüler bis zu den Sommerferien trotz Corona-Krise unbedingt lernen müssen – und auch, was weggelassen werden darf. Je nach Fach handelt es sich eher um Vorschläge oder um verbindliche Vorgaben. Fast schon mantraartig wiederholt der Kanton in seinen Unterlagen: «Mut zur Lücke!»
Um das Lernen der Adjektiv-Endungen im Französisch kommen die Luzerner Primarschüler auch dieses Jahr zum Beispiel nicht herum. Dafür gibts für die Fünftklässler in Mathe beim Thema Mittelwerte nur eine Schnellbleiche. Die Drittklässler müssen ausnahmsweise noch nicht lernen, wie man schriftlich subtrahiert. Das wird auf das nächste Schuljahr verschoben. Und die Sek-Schüler müssen zwar trotz Corona die deutschen Kommaregeln lernen, sich dafür im Englisch nicht mit der Zeitform «past continuous» rumschlagen.

Die Krise hat auch etwas Positives

Doch die Corona-Krise führe nicht nur zu Kürzungen im Schulstoff, sondern kann auch eine Bereicherung sein. «Andere Kompetenzen, die vielleicht im normalen Präsenzunterricht nicht so intensiv hätten behandelt werden können, werden einen Schub erfahren», sagt die oberste Lehrerin Dagmar Rösler. Als Beispiele nennt sie den Umgang mit Medien, selbständiges Lernen oder das Übernehmen von Eigenverantwortung.


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