SonntagsBlick: Seit einer Woche müssen die
Kinder nun zu Hause bleiben. Manche Eltern erzählen mir, dass ihre Kinder schon
jetzt total überdreht sind
Margrit Stamm: Kinder sind wie Seismografen! Sie spüren oft viel schneller als die Eltern selbst, dass diese angespannt sind und sich Sorgen machen. Hinzu kommt: Genauso wie die Eltern sind auch die Kinder aus ihrem Alltag herausgerissen worden. Dass sie überdreht sind, ist völlig normal.
Margrit Stamm: Kinder sind wie Seismografen! Sie spüren oft viel schneller als die Eltern selbst, dass diese angespannt sind und sich Sorgen machen. Hinzu kommt: Genauso wie die Eltern sind auch die Kinder aus ihrem Alltag herausgerissen worden. Dass sie überdreht sind, ist völlig normal.
"Verzicht auf Schule kann verheerend sein", Blick, 21.3. von Dana Liechti
Wie sollen die Eltern reagieren?
Am besten Ansprüche senken und auch nicht streng mit sich selbst ins Gericht gehen. Dass einem in einer solchen Situation nicht alles gelingt und es häufiger zu Reibereien und Krach kommt, gehört dazu. Und sie sollten sich immer wieder bewusst machen, dass sie nicht die einzigen sind, die jetzt da durchmüssen. Selbst jene Eltern, die ihre Kinder auf die teuersten Privatschulen schicken, sind betroffen! Man sollte versuchen, das Beste daraus zu machen. Und gemeinsam mit den Kindern Ziele zu formulieren. Zum Beispiel, dass wenigstens bei einem Znacht alle eine gute Miene machen.
Dass Familien jetzt Zeit zum
Entschleunigen haben, glauben Sie aber nicht.
Nein, das
ist sozialromantisch! Homeoffice befreit die Eltern ja nicht von Konflikten und
Stress bei der Arbeit. Schulschliessungen sind ein Stresstest für Familien,
weil sie jetzt so nahe zusammenleben müssen. In der Moderne ist das eine
gesellschaftliche Anomalie.
Worauf sollten Eltern achten,
damit die Phase ohne grössere Probleme abläuft?
Sie sollten
sich bewusst sein, dass sie – ob sie es wollen oder nicht – immer Modell sind
für ihre Kinder. Wenn sie Ängste haben, übertragen sie diese auch auf ihre
Kinder. Dann ist es wichtig, dass sie den Kindern auch weiterhin eine
strukturierte Normalität im Alltag geben. Auch Rituale sind gut. Ein
gemeinsames Essen und dann ein Spaziergang im Wald mit dem Vater zum Beispiel.
Und was vielleicht Mut macht: Gerade jetzt könnten Kinder sich auch überfachliche
Kompetenzen aneignen, die ja im Lehrplan 21 so wichtig sind. Verantwortungsbewusstsein
zum Beispiel.
Wie meinen Sie das?
Vielleicht
bemerken die Kinder jetzt zum Beispiel, dass die Eltern Hilfe brauchen im
Haushalt. Sie können Verantwortung übernehmen und die Eltern dabei
unterstützen. Und sie können lernen, was Solidarität bedeutet. Solche
Kompetenzen sind sehr wichtig, damit die Kinder zu starken Personen werden und
die Schule und das Leben gut überstehen.
Die Bildschirmzeit vieler
Kinder wird sich in der kommenden Phase drastisch verlängern. Nicht nur wegen
digitaler Hausaufgaben, sondern auch, weil Eltern ihnen häufiger erlauben
werden, fernzusehen oder zu gamen, um Ruhe beim Homeoffice zu haben. Ist das ein
Problem?
Bleibt es
bei wenigen Wochen, finde ich das nicht problematisch. Fernsehen und Gamen kann
in dieser Notsituation durchaus eingesetzt werden. Wenn die Schulschliessung
länger andauern sollte, müsste man rigider sein und Alternativen bieten. Nachbarschaftliche
Programme im kleinsten Kreis. Und die Kinder dürfen ruhig auch mal Langeweile
haben. Das ist sowieso wichtig – es fördert die Kreativität.
Haben die Schulschliessungen
Folgen für die Bildung der Kinder? Auf Twitter schreiben Sie von einem verlorenen
Jahr.
Drei Wochen
Schulschliessung wären kompensierbar. Sprechen wir aber von Monaten, wird es
problematisch, vor allem für Kinder aus sozial schwächeren Familien. Während
Eltern aus bildungsnahen Familien momentan zu Hilfslehrern werden und alles
tun, damit ihre Kinder diese Zeit gut überstehen, kann der Verzicht auf Schule
für Kinder aus sozial schwächeren Familien verheerend sein.
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