3. März 2020

Steiner: "Keine Entwarnung für Schulmüde"


Gesunde Kinder sollen weiterhin den Unterricht besuchen, lautet die Devise in Zürich und anderswo. Denn flächendeckende Schulschliessungen würden laut Bund und Kantonen mehr schaden als nützen.
Warum die Schweizer Schulen nicht schiessen, obwohl sich das Coronavirus immer weiter ausbreitet, NZZ, 3.3. von Lena Schenkel


Es sei eine der am häufigsten gestellten Fragen zum Coronavirus, sagte die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (svp.) kürzlich vor den Medien: «Kann mein Kind noch zur Schule?» Dicht darauf folgte: «Findet die Gymiprüfung statt?» Bildungsdirektorin Silvia Steiner (cvp.), der sie diese Fragen weitergab, bejahte daraufhin beide. «Ich kann leider keine Entwarnung für Schulmüde geben», fügte sie mit einem Schmunzeln an.

Was in Zürich gilt, dürften die meisten Kantone so handhaben: Gesunde Kinder – auch solche, die aus Risikogebieten zurückgekehrt sind – sollen weiterhin den Unterricht besuchen. Ausnahmen gelten nur für jene, die nach Aufenthalt in einem Risikogebiet Erkältungssymptome zeigen. Und wie immer sollen kranke Kinder, insbesondere solche mit Fieber, daheim bleiben oder nach Hause geschickt werden.

Die Zürcher Bildungsdirektion stehe in engem Kontakt mit den Schulen, sagte Steiner weiter. Man kläre Fragen zum Schulalltag und stelle Informationsmaterial wie Musterbriefe an die Eltern zur Verfügung. Die dort abgegebenen Empfehlungen sind jedoch nicht schulspezifisch. Es wird hauptsächlich rezitiert, was derzeit landauf, landab gepredigt wird: Hygiene. Aufgeschaltet ist etwa ein «Merkblatt Händewaschen» in sechs Sprachen. Zudem wird neuerdings wie in vielen Firmen empfohlen, aufs Händeschütteln zu verzichten.

Angst um Geschwister oder Grosseltern
Obwohl die Zürcher Gesundheitsdirektion am Dienstag dringlichere Sicherheitsempfehlungen für Veranstaltungen ausgesprochen hat – solche mit engem Körperkontakt wie in Klubs sollen zum Beispiel nicht mehr durchgeführt werden –, hält sie unmissverständlich fest: «Schulen und Unterricht können nicht mit Veranstaltungen gleichgesetzt werden.» Die Neuerungen würden deshalb nur für Schulveranstaltungen ausserhalb des Unterrichts gelten.

Eine Verschärfung dieser Massnahmen sei derzeit nicht absehbar, teilt die Bildungsdirektion auf Anfrage mit. Man vollziehe aber weiterhin die Verordnungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und folge den Anweisungen der Gesundheitsdirektion. Allfällige Anpassungen würden an die Schulen und Schulärzte weitergeleitet.

Es sei aber weiterhin sinnvoll, dass die einzelnen Schulen auf lokale Begebenheiten Rücksicht nähmen; ein stärker zentralisiertes Vorgehen erachtet man als nicht zielführend. Die Schulen stünden untereinander aber in engem Kontakt und sprächen sich vielerorts ab, etwa wenn es um das Durchführen oder Absagen von Besuchstagen gehe.

Trotzdem ist die Verunsicherung bei Schulleiterinnen und Lehrern sowie Müttern und Vätern gross, heisst es beim Volksschulamt. Es wird täglich mit Fragen überhäuft. Nicht selten geht es dabei um das potenzielle Ansteckungsrisiko für andere Personen im selben Haushalt. Zum Beispiel wird gefragt, ob sich ein Kind in der Schule einem Infektionsrisiko aussetzen soll, wenn es mit dem Grossvater oder einem Geschwisterkind mit Autoimmunerkrankung zusammenlebt.

Allfällige Massnahmen werden laut Volksschulamt in solchen Spezialfällen nie generell, sondern immer individuell mit einem Arzt koordiniert. Ob manche Eltern ihre Kinder aus Angst vor einer Ansteckung nicht in die Schule schicken, lasse sich nur schwer beurteilen, da diese wohl einfach krank gemeldet würden.

Kinder gehören nicht zur Risikogruppe
Tatsache ist: Kinder zählen laut derzeitigem Informationsstand nicht zur Risikogruppe der Covid-19-Epidemie, und es gibt in dieser Bevölkerungsgruppe vergleichsweise wenige Ansteckungen. Sofern Kinder infiziert sind, sind eher milde Verläufe zu beobachten, die sich zum Beispiel ähnlich wie eine Erkältung äussern.

Bei der 2009 grassierenden Schweinegrippe sei dies noch anders gewesen, gibt die Bildungsdirektion zu bedenken. Damals seien bei Kindern auch schwere Verläufe beobachtet worden, weshalb man sich seinerzeit mehr Sorgen um die gesundheitliche Sicherheit von Schulkindern gemacht habe.

Die Folgen sind für andere drastischer
Die geringe Gefährdung der Kinder ist indes nur ein Grund, weshalb Schulen in Zürich und der Schweiz insgesamt nicht flächendeckend geschlossen werden. Vielmehr gelte es die «sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Schulschliessungen» in die Güterabwägung einzubeziehen, wie es Regierungsrätin Silvia Steiner vergangenen Freitag vor den Medien formulierte.

Was sie damit konkret meinte, führt die Bildungsdirektion auf Anfrage aus: Bleiben die Kinder zu Hause, sind sie entweder gar nicht betreut oder müssen dort unvorhergesehen betreut werden. Übernehmen deren Eltern oder andere erwerbstätige Personen diese Aufgabe, fehlen diese bei der Arbeit – mit massiven volkswirtschaftlichen Auswirkungen. Werden pensionierte Personen wie Grossmütter und -väter mit der Betreuung beauftragt, setzt sich just die vulnerabelste Covid-19-Risikogruppe einer erhöhten Ansteckungsgefahr aus.

«Der Einsatz solcher Massnahmen muss deshalb an ganz strenge Bedingungen geknüpft sein», stellt die Zürcher Bildungsdirektorin klar. Im Sinne der Verhältnismässigkeit gelte es, Nutzen und Risiken für die öffentliche Gesundheit einerseits und gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Fragen andererseits sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Und das heisse in diesem Fall: «Schule findet statt.»

Wirkung nur am Anfang einer Epidemie gewährleistet
Dass an Hochschulen wie der Universität Zürich oder der ETH mitunter schärfere Vorsichtsmassnahmen getroffen werden, hat laut Bildungsdirektion einerseits mit der anderen Alterszusammensetzung der Schülerschaft zu tun. Zum andern mit der Nachverfolgung von Kontaktpersonen bei einem tatsächlichen Infektionsfall, dem sogenannten Contact-Tracing.

Die Klassen in Primar- und Mittelschulen sind fix und bekannt. Potenziell Gefährdete lassen sich einfach eruieren und informieren. Bei den Hochschulen mit Hunderten von Studentinnen und Studenten, die in jeder Veranstaltung wieder anders nebeneinandersitzen, ist das ungleich schwieriger bis unmöglich.

Generell sind flächendeckende Schulschliessungen oder Veranstaltungsverbote zumindest laut dem Zürcher Regierungsrat aber nur in Frühphasen von Epidemien und Pandemien sinnvoll. Sobald das Virus in der ganzen Schweiz auftrete, ergäben Schulschliessungen schon aus epidemiologischer Sicht kaum mehr Sinn.


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