Gesunde Kinder sollen weiterhin den Unterricht besuchen, lautet die
Devise in Zürich und anderswo. Denn flächendeckende Schulschliessungen würden
laut Bund und Kantonen mehr schaden als nützen.
Warum die Schweizer Schulen nicht schiessen, obwohl sich das Coronavirus immer weiter ausbreitet, NZZ, 3.3. von Lena Schenkel
Es sei eine der am häufigsten gestellten Fragen zum Coronavirus, sagte
die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (svp.) kürzlich vor den
Medien: «Kann mein Kind noch zur Schule?» Dicht darauf folgte: «Findet die
Gymiprüfung statt?» Bildungsdirektorin Silvia Steiner (cvp.), der sie diese
Fragen weitergab, bejahte daraufhin beide. «Ich kann leider keine Entwarnung
für Schulmüde geben», fügte sie mit einem Schmunzeln an.
Was in Zürich gilt, dürften die meisten Kantone so handhaben: Gesunde
Kinder – auch solche, die aus Risikogebieten zurückgekehrt sind – sollen
weiterhin den Unterricht besuchen. Ausnahmen gelten nur für jene, die nach
Aufenthalt in einem Risikogebiet Erkältungssymptome zeigen. Und wie immer
sollen kranke Kinder, insbesondere solche mit Fieber, daheim bleiben oder
nach Hause geschickt werden.
Die Zürcher Bildungsdirektion stehe in engem Kontakt mit den Schulen,
sagte Steiner weiter. Man kläre Fragen zum Schulalltag und stelle
Informationsmaterial wie Musterbriefe an die Eltern zur Verfügung. Die dort
abgegebenen Empfehlungen sind jedoch nicht schulspezifisch. Es wird
hauptsächlich rezitiert, was derzeit landauf, landab gepredigt wird: Hygiene.
Aufgeschaltet ist etwa ein «Merkblatt Händewaschen» in sechs Sprachen. Zudem
wird neuerdings wie in vielen Firmen empfohlen, aufs Händeschütteln zu
verzichten.
Angst um Geschwister oder Grosseltern
Obwohl die Zürcher Gesundheitsdirektion am Dienstag dringlichere
Sicherheitsempfehlungen für Veranstaltungen ausgesprochen hat – solche mit
engem Körperkontakt wie in Klubs sollen zum Beispiel nicht mehr
durchgeführt werden –, hält sie unmissverständlich fest: «Schulen und
Unterricht können nicht mit Veranstaltungen gleichgesetzt werden.» Die
Neuerungen würden deshalb nur für Schulveranstaltungen ausserhalb des
Unterrichts gelten.
Eine Verschärfung dieser Massnahmen sei derzeit nicht absehbar, teilt
die Bildungsdirektion auf Anfrage mit. Man vollziehe aber weiterhin die
Verordnungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und folge den Anweisungen der
Gesundheitsdirektion. Allfällige Anpassungen würden an die Schulen und
Schulärzte weitergeleitet.
Es sei aber weiterhin sinnvoll, dass die einzelnen Schulen auf lokale
Begebenheiten Rücksicht nähmen; ein stärker zentralisiertes Vorgehen erachtet
man als nicht zielführend. Die Schulen stünden untereinander aber in engem
Kontakt und sprächen sich vielerorts ab, etwa wenn es um das Durchführen oder
Absagen von Besuchstagen gehe.
Trotzdem ist die Verunsicherung bei Schulleiterinnen und Lehrern sowie
Müttern und Vätern gross, heisst es beim Volksschulamt. Es wird täglich mit
Fragen überhäuft. Nicht selten geht es dabei um das potenzielle
Ansteckungsrisiko für andere Personen im selben Haushalt. Zum Beispiel wird
gefragt, ob sich ein Kind in der Schule einem Infektionsrisiko aussetzen soll,
wenn es mit dem Grossvater oder einem Geschwisterkind mit
Autoimmunerkrankung zusammenlebt.
Allfällige Massnahmen werden laut Volksschulamt in solchen Spezialfällen
nie generell, sondern immer individuell mit einem Arzt koordiniert. Ob manche
Eltern ihre Kinder aus Angst vor einer Ansteckung nicht in die Schule
schicken, lasse sich nur schwer beurteilen, da diese wohl einfach krank
gemeldet würden.
Kinder gehören nicht zur Risikogruppe
Tatsache ist: Kinder zählen laut derzeitigem Informationsstand nicht zur
Risikogruppe der Covid-19-Epidemie, und es gibt in dieser Bevölkerungsgruppe
vergleichsweise wenige Ansteckungen. Sofern Kinder infiziert sind, sind eher
milde Verläufe zu beobachten, die sich zum Beispiel ähnlich wie eine Erkältung
äussern.
Bei der 2009 grassierenden Schweinegrippe sei dies noch anders gewesen,
gibt die Bildungsdirektion zu bedenken. Damals seien bei Kindern auch schwere
Verläufe beobachtet worden, weshalb man sich seinerzeit mehr Sorgen um die
gesundheitliche Sicherheit von Schulkindern gemacht habe.
Die Folgen sind für andere drastischer
Die geringe Gefährdung der Kinder ist indes nur ein Grund, weshalb
Schulen in Zürich und der Schweiz insgesamt nicht flächendeckend geschlossen
werden. Vielmehr gelte es die «sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen von
Schulschliessungen» in die Güterabwägung einzubeziehen, wie es Regierungsrätin
Silvia Steiner vergangenen Freitag vor den Medien formulierte.
Was sie damit konkret meinte, führt die Bildungsdirektion auf Anfrage
aus: Bleiben die Kinder zu Hause, sind sie entweder gar nicht betreut oder
müssen dort unvorhergesehen betreut werden. Übernehmen deren Eltern oder andere
erwerbstätige Personen diese Aufgabe, fehlen diese bei der Arbeit – mit
massiven volkswirtschaftlichen Auswirkungen. Werden pensionierte Personen wie
Grossmütter und -väter mit der Betreuung beauftragt, setzt sich just
die vulnerabelste Covid-19-Risikogruppe einer erhöhten Ansteckungsgefahr
aus.
«Der Einsatz solcher Massnahmen muss deshalb an ganz strenge Bedingungen
geknüpft sein», stellt die Zürcher Bildungsdirektorin klar. Im Sinne der
Verhältnismässigkeit gelte es, Nutzen und Risiken für die öffentliche
Gesundheit einerseits und gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Fragen
andererseits sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Und das heisse in diesem Fall:
«Schule findet statt.»
Wirkung nur am Anfang einer Epidemie gewährleistet
Dass an Hochschulen wie der Universität Zürich oder der ETH mitunter
schärfere Vorsichtsmassnahmen getroffen werden, hat laut Bildungsdirektion
einerseits mit der anderen Alterszusammensetzung der Schülerschaft zu tun. Zum
andern mit der Nachverfolgung von Kontaktpersonen bei einem tatsächlichen
Infektionsfall, dem sogenannten Contact-Tracing.
Die Klassen in Primar- und Mittelschulen sind fix und bekannt.
Potenziell Gefährdete lassen sich einfach eruieren und informieren. Bei den
Hochschulen mit Hunderten von Studentinnen und Studenten, die in jeder
Veranstaltung wieder anders nebeneinandersitzen, ist das ungleich schwieriger
bis unmöglich.
Generell sind flächendeckende Schulschliessungen oder
Veranstaltungsverbote zumindest laut dem Zürcher Regierungsrat aber nur in
Frühphasen von Epidemien und Pandemien sinnvoll. Sobald das Virus in der ganzen
Schweiz auftrete, ergäben Schulschliessungen schon aus epidemiologischer Sicht
kaum mehr Sinn.
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