Jede Krise ist auch eine Chance, so lautet ein in diesen Tagen immer
wieder zitiertes Bonmot. Zu den Menschen, die diese Devise in die Tat umsetzen,
gehören Hunderte von Lehrerinnen und Lehrern im Land. Praktisch aus dem Nichts
haben sie pädagogisch wertvolle, originelle und der Situation angepasste
Lehrangebote entwickelt, die in Zeiten des Coronavirus digital verbreitet
werden. Die Lehrerpersonen haben damit Kindern und Eltern eindrücklich gezeigt,
dass die Schulen sie in dieser herausfordernden Situation nicht im Stich
lassen.
Schwächere Schüler dürfen nicht unter dem Schulstopp leiden, NZZ, 21.3. von Erich Aschwanden
Der Ideenreichtum ist beeindruckend und hat beinahe eine Euphorie in
Sachen digitales Lernen ausgelöst, das in vielen Schulen bisher ein
stiefmütterliches Dasein fristete. Doch man muss sich bewusst sein, dass diese
Anfangserfolge nur eine begrenzte Aussagekraft besitzen. Schon ab der zweiten
Woche des Lockdown wird der Fernunterricht für viele Beteiligte von der
spielerischen Kür zur schulischen Pflicht.
Sollten die Schulen gar bis im Sommer No-go-Areas bleiben, wie dies die
Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner befürchtet, wird Schülern, Eltern und
Lehrpersonen sehr viel abverlangt. Es wird zu schwierigen Situationen,
zwischenmenschlichen Konflikten und kleinen und grösseren Dramen kommen. Dies
ist deshalb der Fall, weil ein zentrales Element des bisherigen Schulalltags
Corona-bedingt fehlt: das Klassenzimmer.
Das Klassenzimmer ist nicht nur der Raum, in welchem sich Lehrer und
Schüler zwecks der Erteilung von Unterricht treffen. Klassenzimmer und
Schulhäuser erfüllen zahlreiche Funktionen für die Entwicklung
von Kindern, insbesondere im Primarschulalter. Dort lernen sie, sich in
eine Gruppe einzufügen, und dort spielen sie eine ganz individuelle Rolle im
Verband mit ihren Kameraden. Die Schule ist auch einer jener Orte, an denen
sich Kinder früh von ihren Eltern emanzipieren können. Dieser Raum und die
sozialen Kontakte, die er schafft, werden in den kommenden Wochen fehlen.
Familien, in denen Kinder begleitet werden, ohne sie zu Hause in ein
selbstverordnetes Unterrichtskorsett zu drängen, werden den Schulstopp wohl
recht unbeschadet überstehen. Vor einer schwierigen Zeit stehen all jene
Schülerinnen und Schüler, die schon bisher von ihren Eltern wenig Unterstützung
erfuhren. Häufig sind dies Kinder mit Migrationshintergrund und aus
bildungsfernen Familien, die bisher schon zu den schwächeren Schülern gehörten.
Leider ist zu erwarten, dass die Corona-Krise gerade diese Familien
wirtschaftlich hart trifft. So wird das Zusammenleben auf engstem Raum
endgültig zur Qual, wenn ein Elternteil seinen Job zu verlieren droht oder
Sonderschichten leisten muss, um seinen Nebenverdienst nicht zu gefährden.
Gefordert ist in dieser Situation jede einzelne Lehrerin und jeder einzelne
Lehrer. Sie tragen eine grosse Verantwortung. Nur Unterricht aus der Ferne zu
organisieren, genügt nicht. Es braucht trotz allen Abstandsvorschriften eine
gewisse Nähe. So müssen die Lehrer, soweit möglich, mit den Kindern ihrer
Klasse in persönlichem Kontakt bleiben. Die Lehrpersonen haben die Erfahrung
und die Ausbildung, um Problemfälle frühzeitig zu erkennen und schnell
reagieren zu können. Persönliches Engagement, gesunder Menschenverstand und
viel Ausdauer sind notwendig.
Die Bereitschaft dafür scheint vorhanden zu sein. Viele haben das in den
letzten Tagen bewiesen, sei dies auf digitalen Kanälen oder ganz analog. So
haben verschiedene Lehrerinnen und Lehrer alle Schüler ihrer Klasse aufgesucht,
um sie mit Unterrichtsmaterial für die kommenden Tage und Wochen zu versorgen.
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