23. März 2020

Riesige Herausforderung


Jede Krise ist auch eine Chance, so lautet ein in diesen Tagen immer wieder zitiertes Bonmot. Zu den Menschen, die diese Devise in die Tat umsetzen, gehören Hunderte von Lehrerinnen und Lehrern im Land. Praktisch aus dem Nichts haben sie pädagogisch wertvolle, originelle und der Situation angepasste Lehrangebote entwickelt, die in Zeiten des Coronavirus digital verbreitet werden. Die Lehrerpersonen haben damit Kindern und Eltern eindrücklich gezeigt, dass die Schulen sie in dieser herausfordernden Situation nicht im Stich lassen.
Schwächere Schüler dürfen nicht unter dem Schulstopp leiden, NZZ, 21.3. von Erich Aschwanden

Der Ideenreichtum ist beeindruckend und hat beinahe eine Euphorie in Sachen digitales Lernen ausgelöst, das in vielen Schulen bisher ein stiefmütterliches Dasein fristete. Doch man muss sich bewusst sein, dass diese Anfangserfolge nur eine begrenzte Aussagekraft besitzen. Schon ab der zweiten Woche des Lockdown wird der Fernunterricht für viele Beteiligte von der spielerischen Kür zur schulischen Pflicht.

Sollten die Schulen gar bis im Sommer No-go-Areas bleiben, wie dies die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner befürchtet, wird Schülern, Eltern und Lehrpersonen sehr viel abverlangt. Es wird zu schwierigen Situationen, zwischenmenschlichen Konflikten und kleinen und grösseren Dramen kommen. Dies ist deshalb der Fall, weil ein zentrales Element des bisherigen Schulalltags Corona-bedingt fehlt: das Klassenzimmer. 

Das Klassenzimmer ist nicht nur der Raum, in welchem sich Lehrer und Schüler zwecks der Erteilung von Unterricht treffen. Klassenzimmer und Schulhäuser erfüllen zahlreiche Funktionen für die Entwicklung von Kindern, insbesondere im Primarschulalter. Dort lernen sie, sich in eine Gruppe einzufügen, und dort spielen sie eine ganz individuelle Rolle im Verband mit ihren Kameraden. Die Schule ist auch einer jener Orte, an denen sich Kinder früh von ihren Eltern emanzipieren können. Dieser Raum und die sozialen Kontakte, die er schafft, werden in den kommenden Wochen fehlen.

Familien, in denen Kinder begleitet werden, ohne sie zu Hause in ein selbstverordnetes Unterrichtskorsett zu drängen, werden den Schulstopp wohl recht unbeschadet überstehen. Vor einer schwierigen Zeit stehen all jene Schülerinnen und Schüler, die schon bisher von ihren Eltern wenig Unterstützung erfuhren. Häufig sind dies Kinder mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Familien, die bisher schon zu den schwächeren Schülern gehörten.

Leider ist zu erwarten, dass die Corona-Krise gerade diese Familien wirtschaftlich hart trifft. So wird das Zusammenleben auf engstem Raum endgültig zur Qual, wenn ein Elternteil seinen Job zu verlieren droht oder Sonderschichten leisten muss, um seinen Nebenverdienst nicht zu gefährden.

Gefordert ist in dieser Situation jede einzelne Lehrerin und jeder einzelne Lehrer. Sie tragen eine grosse Verantwortung. Nur Unterricht aus der Ferne zu organisieren, genügt nicht. Es braucht trotz allen Abstandsvorschriften eine gewisse Nähe. So müssen die Lehrer, soweit möglich, mit den Kindern ihrer Klasse in persönlichem Kontakt bleiben. Die Lehrpersonen haben die Erfahrung und die Ausbildung, um Problemfälle frühzeitig zu erkennen und schnell reagieren zu können. Persönliches Engagement, gesunder Menschenverstand und viel Ausdauer sind notwendig.

Die Bereitschaft dafür scheint vorhanden zu sein. Viele haben das in den letzten Tagen bewiesen, sei dies auf digitalen Kanälen oder ganz analog. So haben verschiedene Lehrerinnen und Lehrer alle Schüler ihrer Klasse aufgesucht, um sie mit Unterrichtsmaterial für die kommenden Tage und Wochen zu versorgen.


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