Blick TV lädt regelmässig Expertinnen und Experten ins Studio ein, um Fragen der Community zum Coronavirus zu beantworten. Die Krise löst viele Fragen zur Schule aus. Auf Blick TV gaben Thomas Minder, Präsident des Verbands Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz, und die Schulpsychologin Monika Kast Auskunft.
Der Kanton Zürich hat entschieden: Es wird keine mündlichen Aufnahmeprüfungen für das Gymi geben. Sind Sie überrascht?
Thomas Minder: Nein. Ganz davon kommen die Schülerinnen und Schüler ja nicht, sie mussten die schriftliche Prüfung machen. Zudem gibt es jetzt Kantone, in denen es gar keine Prüfung gibt und nur die Vornoten zählen. Insofern ist der Entscheid richtig.
Es gab Schulen, die gut auf die Situationen vorbereitet waren, den Unterricht auch digital weiterzumachen, und andere waren total überfordert. Warum gibt es so einen grossen Unterschied?
Minder: Jede Gemeinde ist unterschiedlich weit mit der IT-Einführung in die entsprechende Software, deshalb sind die Schulen unterschiedlich auf die Situation vorbereitet. Was aber überall gleich ist:
Die Krise für alle Schulen ist auch eine grosse Chance. Wir haben in den letzten zehn Tagen so viel im digitalen Bereich dazugelernt wie in den letzten sechs Monaten.
Wie war es für die Lehrerinnen und Lehrer, als die sich vom einem auf den anderen Tag umstellen mussten?
Minder: Im Umgang mit den Schülern machen sich die Lehrpersonen keine Sorgen. Sie gestalten den Unterricht aus dem Homeoffice sehr ruhig, abgeklärt und fachlich gut. Aber emotional ist es so: Die Schülerinnen und Schüler fehlen den Lehrpersonen.
Zeigt die Krise auch, dass Schulen in der Vergangenheit mehr hätten sparen können und mehr auf den digitalen Bereich setzen müssten?
Minder: Nein. Wir Menschen sind keine digitalen Wesen, sondern sind auf soziale Kontakte angewiesen. Und wir haben gemäss Lehrplan auch den Auftrag für soziales Lernen, und den können wir so gar nicht erfüllen. Nur per Videobotschaft und Computer geht das nicht.
Monika Kast: Das Homeschooling ersetzt definitiv nicht die reale Schule, die wir kennen.
Monika Kast: Das Homeschooling ersetzt definitiv nicht die reale Schule, die wir kennen.
Wird die Zahl der Schüler steigen, die das Jahr wiederholen müssen?
Kast: Es wäre nicht sinnvoll, die Zahl der Repetierenden steigen zu lassen. Weil wir nicht genügend Lehrpersonen und Schulraum dafür haben. Zudem wissen wir, dass bei lernschwachen Kindern ein Repetitionsjahr nicht viel bringt, weil sie dann schnell wieder eingeholt werden. Die eher schwächeren Schüler müssen mehr gefördert werden. Und nach der Krise muss individuell geschaut werden, wer noch welche Unterstützung braucht.
Wie gut waren die Schulen und Lehrerinnen und Lehrer auf eine solche Krise vorbereitet?
Minder: Das ist von Kanton zu Kanton oder sogar Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Für die Schulen ist es anspruchsvoll und eine Herausforderung, alles zu organisieren. Es ist aber definitiv kein Super-GAU.
Werden die digitalen Lösungen, die durch die Krise entstanden sind, nun auch permanent im Schulbetrieb eingeführt?
Minder: Ja, natürlich, das wird sicher passieren. Doch das gab es auch schon vorher. Zum Beispiel, dass Lernblätter und die entsprechenden Lösungen auf die Homepage gestellt werden, ist nichts Neues. Es wird sich aber jedenfalls danach auch verbessert haben.
Eine BLICK-Leserin steht kurz vor dem Abschluss der Berufsmatur. Sie hätte noch Prüfungen für das Abschlusszeugnis zugute. Kann sie sich noch weiter Noten erarbeiten – trotz Fernunterricht?
Minder: Eher nicht. Das ist momentan schwierig zu sagen. Da sucht jede Schule momentan eine Lösung dafür. Aber wie es aussieht, wird es nicht möglich sein, noch weitere Noten zu erarbeiten.
Was halten die Experten von der Forderung des Lehrerverbands von Schaffhausen, die Zeugnisse ausfallen zu lassen?
Minder: Darüber könnten wir eine ganze Sendung machen. Das ist eine generelle Frage, ob Noten bzw. Zeugnisse überhaupt gut sind. Hierbei denke ich, dass es nicht schlimm wäre, dieses Jahr die Zeugnisse auszusetzen. Die Leistung der Kinder nur an Noten zu messen, ist sowieso nicht immer gut für die Entwicklung.
Kast: Ob Zeugnisse gut oder schlecht für die Entwicklung ist, ist individuell. Es gibt Kinder, die das positiv finden und froh sind, zu sehen, wo sie stehen. Dann kann es aber für einige auch schlecht für die Entwicklung sein, wenn sie immer nur schlechte Noten bekommen und die sehen müssen.
Kast: Ob Zeugnisse gut oder schlecht für die Entwicklung ist, ist individuell. Es gibt Kinder, die das positiv finden und froh sind, zu sehen, wo sie stehen. Dann kann es aber für einige auch schlecht für die Entwicklung sein, wenn sie immer nur schlechte Noten bekommen und die sehen müssen.
Müssen sich die Schüler auf einen engeren Unterrichtsplan einstellen, um so allenfalls den verlorenen Stoff nachzuholen?
Minder: Nein. Generell ist nicht jeder einzelne Tag des Schuljahrs durchgeplant. Der Lehrplan gibt Luft für gut 20 Prozent im Schuljahr. Ergo können wir auch Dinge weglassen. Am Ende von den insgesamt elf Schuljahren merkt man nicht, dass zwei oder mehr Monate gefehlt haben.
Könnten Prüfungen auch über Homeschooling durchgeführt werden?
Minder: Das ist schwierig, pauschal zu sagen. Ich habe schon gehört, dass es bereits Prüfungen gibt, die daheim über den Computer absolviert wurden. Das Problem liegt aber auf der Hand: Man kann die Prüfung zusammen machen. Doch auch hier suchen die Schulen nach Lösungen in den nächsten Wochen.
Hat der fehlende Kontakt zu Schulkameraden Auswirkungen auf den schulischen Erfolg?
Kast: Das ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Die einen haben gut mit anderen zusammen in der Schule gelernt und an Aufgaben gearbeitet. Aber für andere Kinder, die sich sonst in der Schule schneller ablenken lassen, ist es eine Chance, sich auf die Aufgaben zu konzentrieren.
Helfen die Kameraden in der Schule, besser zu lernen, oder lenken sie einander ab?
Kast: Auch das ist wieder individuell und nur schwer pauschal zu beantworten. Was mir aber auffällt, die Schülerinnen und Schüler vermissen vor allem die Beziehung untereinander. Viele Kinder freuen sich auch, wenn es wieder normalen Unterricht gibt.
Was kann man als Eltern machen, wenn dem Kind die beste Freundin spürbar fehlt?
Kast: Es ist klar, dass die beste Freundin fehlt. Das ist auch bei uns Erwachsenen so. Dafür gibt es technische Mittel wie beispielsweise Videochatten. Die Eltern können die beste Freundin zwar nicht ersetzen, aber sie können ihre Kinder emotional unterstützen.
Was löst diese Situation bei Familien aus, wenn ihre Kinder plötzlich die ganze Zeit zu Hause sind?
Kast: Es ist natürlich anstrengender und schwierig für alle. Aber es kann auch eine Chance sein. Die Familien haben mal wieder mehr Zeit füreinander. Dazu können die Eltern den Kindern helfen und Geschwister sich untereinander schulische Fragen stellen und klären. Es bringt aber auch natürlich Risiken mit sich. Vor allem für Familien mit wenig Struktur. Dort kann es zu Konflikten kommen, deshalb sollten diese Familien versuchen, den Konflikten aus dem Weg zu gehen.
Thema Selbstdisziplin: Wie fest sollen die Eltern eingreifen und darauf achten, dass die Kinder weiterhin lernen und Aufgaben machen?
Kast: Das ist altersabhängig. Je jünger, desto mehr Struktur braucht es. Das kann man mit einem Plan lösen: wann gearbeitet werden muss oder wann es Belohnung wie einen Spaziergang oder gemeinsames Kochen gibt. Dazu sollen Eltern im Kontakt mit den Lehrpersonen bleiben, um zu wissen, was genau erwartet wird. Ich persönlich finde, dass aktuell nicht die schulische Leistung das Wichtigste ist, sondern die Krise einigermassen emotional zu überstehen. Dafür müssen Eltern auch Freiräume für kreative Arbeit lassen.
Wie soll man seinem Kind erklären, dass es zu Hause bleiben muss?
Kast: Die Kinder müssen über die Situation aufgeklärt werden, und ihnen muss klar geschildert werden, dass es triftige Gründe gibt, nicht mehr rauszugehen. Dazu gibt es auch gute Videos im Internet, die alles erklären.
Werden jetzt nicht die Frühlingsferien gestrichen?
Minder: Eine gute Frage. Kann man sich überlegen. Aber die Kindern brauchen auch irgendwas anders als Schule. Es ist auch emotional nicht einfach für sie. Ich bin dafür, dass die Schüler etwas machen, was nicht mit der Schule zu tun hat. Mit den Eltern in den Wald spazieren gehen, Velo fahren oder zu Hause Gesellschaftsspiele spielen. Und dafür sind die Ferien da.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen