«Eigentlich müssten die Schulen möglichst schnell wieder aufmachen», sagt die oberste Lehrerin der Schweiz. Die Kantone beraten derweil über einheitliche Regeln und fragen sich, wie sinnvoll Zeugnisse noch sind.
Bildungsdirektor befürchtet «Schaden» und fordert: «So rasch wie möglich aus Notstand heraus», Schweiz am Wochenende, 28.3. von Lucien Fluri und Kari Kälin
Wann
beginnt die Schule wieder? Auch die oberste Lehrerin der Schweiz hat keine
Antwort auf die Frage, die so viele Eltern umtreibt. «Ein Zeitpunkt ist nicht
absehbar», sagt Dagmar Rösler. Sie rechnet damit, dass es Ende Mai oder später
werden könnte. Glücklich ist sie damit – aus schulischer Perspektive – nicht.
«Eigentlich müssten die Schulen möglichst schnell wieder aufmachen», sagt sie.
Denn eines sei klar: «Die Chancengerechtigkeit ist im Moment nicht
gewährleistet. Je länger die Phase andauert, umso mehr öffnet sich die Schere
zwischen Schülern, die von den Eltern unterstützt werden, und bildungsferneren
Familien, in denen dies nicht oder zu wenig der Fall ist.»
Besonders
betroffen seien Schülerinnen und Schüler, die speziell gefördert werden
müssten. Zwar würden Heilpädagogen etwa per Videochat ihr Möglichstes
versuchen. «Dies ersetzt den persönlichen Kontakt aber nicht. Und er ist in
solchen Fällen das A und O». So wünschenswert ein rascher Schulbeginn deshalb
wäre, auch für Rösler hat die Eindämmung der Epidemie Vorrang.
Klar
ist derzeit einzig: Bis am 19. April findet in Klassenzimmern kein Unterricht
statt. Das hat der Bundesrat beschlossen. Was danach kommt, weiss auch bei der
Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren niemand. Präsidentin Silvia
Steiner will keine Einschätzung abgeben. Man wisse nichts Genaues, hält ihre
Presseabteilung fest.
Zuger
Bildungsdirektor hofft auf Normalisierung
Nichts
anderes als abzuwarten bleibt auch Stephan Schleiss übrig. Darüber ist der
Zuger Bildungsdirektor nicht glücklich. Mit Blick auf den 19. April sagt der
SVP-Politiker kritisch: «Der Bundesrat soll so rasch wie möglich aus dem
Notstands-Modus heraus kommen. Die Massnahmen sollen so lange wie nötig
verordnet bleiben, aber nicht länger.» Schleiss hofft auf einen «Entscheid mit
Augenmass» nach dem 19. April.
Er
könnte sich grundsätzlich vorstellen, dass der Unterricht unter Einhaltung von
Hygienevorschriften wiederaufgenommen wird. «Der Schaden ist offensichtlich»,
sagt Schleiss zum derzeitigen Fernunterricht: «Das soziale Lernen findet nicht
statt. Und was den Schulstoff anbelangt, sind Schüler in schwachen
Familienstrukturen besonders gefährdet.» Das schlimmste Szenario wäre aus
seiner Sicht, wenn bis zu den Sommerferien kein regulärer Unterricht
stattfände. «Dies ist zumindest nicht ausgeschlossen», sagt er.
Kantone
bereiten sich auf lange Dauer der Massnahmen vor
Tatsächlich
bereiten die Kantone auch längerfristigen Fernunterricht vor, möge dieser
kommen oder nicht. Sie wollen vorbereitet sein; so überstürzt wie nach der
Schulschliessung des Bundesrates vor zwei Wochen wollen die Bildungsdirektoren
nicht mehr handeln müssen.
Eine
Frage, die Dagmar Rösler, die oberste Lehrerin, vor diesem Hintergrund
umtreibt, betrifft die Noten und Zeugnisse: «Im Moment kann man keine Noten
geben», sagt die Solothurnerin. «Es muss sich später im Zeugnis widerspiegeln,
dass dieses Schuljahr aussergewöhnlich war.»
Knifflige
Situation bei Lehrabschlüssen und Zeugnissen
Zeugnisse
Ja oder Nein?, Maturprüfungen, Lehrabschlüsse: Das sind Fragen, die auch die
Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren beschäftigen. Deren Vorstand hat
am Donnerstag per Videokonferenz getagt und erste Vorschläge an die Kantone
geschickt. Dringender Punkt: Die Lehrabschlüsse stehen vor der Türe. Doch die
Berufsschulen sind zu. Der Solothurner Regierungsrat Remo Ankli fordert, dass
der Bundesrat per Verordnung einen kantonalen Flickenteppich verhindert. Ein
gemeinsames Verfahren für die Abschlussprüfungen auf allen Stufen – von der
Universität bis zur Sekundarstufen – fordern auch der Luzerner Bildungsdirektor
Marcel Schwerzmann und sein Nidwaldner Kollege Res Schmid. Für die Maturanden
müsse im Herbst der Zugang zu den weiterführenden Schulen gewährleistet sein,
sagt der Schwyzer Regierungsrat Michael Stähli.
Doch
es gibt der Krise auch positive Seiten abzugewinnen. «Der digitale Unterricht
ist gut angelaufen», sagt Luzerns Bildungsdirektor Schwerzmann. «Wenn wieder
Normalbetrieb herrscht, können wir die gemachten Erfahrungen und den digitalen
Unterricht in den Schulalltag einfliessen lassen.» Und Michael Stähli gibt sich
trotz ausserplanmässigem Unterricht zuversichtlich: «Einige Wochen
Fernunterricht ruinieren keine Bildungskarrieren.»
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen