28. Februar 2020

Wenn Ideologie mit der Wirklichkeit kollidiert


An der Zürcher Volksschule zeigt sich, was passiert, wenn egalitäre Ideologie mit der Wirklichkeit kollidiert. Seit zehn Jahren versucht der Kanton krampfhaft, die Wunschvorstellung einer Schule, an der alle Schülerinnen und Schüler – auch solche mit besonderen Bedürfnissen – Platz haben, in die Realität umzusetzen. Doch der Traum der integrativen Schule hat sich bis heute nicht erfüllt.
Zehn Jahre integrative Schule: Statt Förderung herrscht vielerorts Überforderung - das muss sich ändern, NZZ, 28.2. von Daniel Fritzsche

Viele sind unzufrieden; Kritik kommt von Lehrerinnen, Schülern und Eltern. Aber auch aus finanzpolitischer Sicht sollte das integrative System, so wie es heute gelebt wird, dringend überdacht werden. An oberster Stelle aller Überlegungen muss das Kindswohl stehen. 
Wenn in einer Umfrage unter 10 000 Lehrerinnen und Lehrern mehr als die Hälfte angibt, dass sie die integrative Schulung als Zusatzbelastung wahrnehme, dann ist der Handlungsbedarf gross. Statt Förderung herrscht vielerorts Überforderung. Der Lehrerverband macht es sich zu leicht, wenn er nach «zusätzlichen Ressourcen» ruft. Der Mangel an Fachpersonen – vor allem bei den Heilpädagoginnen – ist heute schon ein Problem. Das Ziel kann es darum nicht sein, noch mehr Personal in die Klassenzimmer zu stellen. Für jeden Schüler eine eigene Lehrperson, das ist kein hoffnungsvolles Zukunftsszenario.

Manchmal sinnlos

Manchen Klassen stehen bereits jetzt neben der Lehrerin und dem Heilpädagogen auch noch Lehrer für Deutsch als Zweitsprache, Klassenassistenzen und Zivildienstleistende unterstützend zur Seite. Das ist oft zu viel des Guten. Im Unterricht herrscht Unruhe, ein Gewusel. Damit sich die Schüler konzentrieren können, werden Kopfhörer verteilt.
Zehn Jahre nach dem Systemwechsel muss konstatiert werden: Es gibt Situationen, in denen eine Integration schlicht keinen Sinn hat. Dann etwa, wenn eine Schülerin mit dem Pflichtstoff masslos überfordert ist oder wenn ein Schüler den Unterricht dermassen stört, dass seine Klassenkameraden abgelenkt und die Lehrpersonen total absorbiert sind. Dann sind Sonderschulen und Kleinklassen die besseren Mittel als hartnäckige Versuche, Kinder in eine Regelklasse zu pressen. Auch für die betroffenen Schüler kann dies Vorteile haben: Auf ihre Bedürfnisse kann besser eingegangen werden, sie haben Lernerfolge und müssen sich nicht stets mit den fortgeschritteneren Klassenkameraden vergleichen. 

Um das an und für sich löbliche Ziel der Integration doch noch – zumindest teilweise – zu erreichen, können Sonderschulen beispielsweise vermehrt in reguläre Schulhäuser aufgenommen werden. Begegnungen fänden so immerhin auf dem Pausenplatz statt. «Weichere» Schulfächer wie Musik oder Zeichnen können auch in Zukunft integrativ geführt werden.

Unnötige Kosten

Überdacht werden sollte auch das heutige Verteilsystem, das falsche Anreize schafft und unnötige Kosten generiert. Die Zahl der integrierten Sonderschüler ist in den letzten Jahren stark angestiegen – zu stark. Je mehr Kinder den Sonderschulstatus erhalten, desto mehr Ressourcen werden gesprochen: Das ist ein Mechanismus, der keinen Sinn hat und von Bildungsexperten zu Recht als «absurd» bezeichnet wird. Hier ist eine Änderung dringend nötig.

Grundsätzlich gelten Investitionen im Bildungsbereich aus volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Überlegungen als sinnvoll. Jedoch gilt es auch hier Mass zu halten. Wo Steuergelder verschleudert werden, muss Einhalt geboten werden – vor allem dann, wenn der Nutzen für das Gros der Kinder, Eltern und Lehrer nicht erkennbar ist.


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