An der Zürcher Volksschule
zeigt sich, was passiert, wenn egalitäre Ideologie mit der Wirklichkeit
kollidiert. Seit zehn Jahren versucht der Kanton krampfhaft, die
Wunschvorstellung einer Schule, an der alle Schülerinnen und Schüler – auch
solche mit besonderen Bedürfnissen – Platz haben, in die Realität umzusetzen.
Doch der Traum der integrativen Schule hat sich bis heute nicht erfüllt.
Zehn Jahre integrative Schule: Statt Förderung herrscht vielerorts Überforderung - das muss sich ändern, NZZ, 28.2. von Daniel Fritzsche
Viele sind unzufrieden; Kritik kommt von Lehrerinnen, Schülern und Eltern. Aber
auch aus finanzpolitischer Sicht sollte das integrative System, so wie es heute
gelebt wird, dringend überdacht werden. An oberster Stelle aller Überlegungen
muss das Kindswohl stehen.
Wenn in einer Umfrage unter 10 000 Lehrerinnen und Lehrern mehr
als die Hälfte angibt, dass sie die integrative Schulung als Zusatzbelastung
wahrnehme, dann ist der Handlungsbedarf gross. Statt Förderung herrscht
vielerorts Überforderung. Der Lehrerverband macht es sich zu leicht, wenn er
nach «zusätzlichen Ressourcen» ruft. Der Mangel an Fachpersonen – vor
allem bei den Heilpädagoginnen – ist heute schon ein Problem. Das Ziel kann es
darum nicht sein, noch mehr Personal in die Klassenzimmer zu stellen. Für jeden
Schüler eine eigene Lehrperson, das ist kein hoffnungsvolles Zukunftsszenario.
Manchmal sinnlos
Manchen Klassen stehen bereits jetzt neben der Lehrerin und dem
Heilpädagogen auch noch Lehrer für Deutsch als Zweitsprache,
Klassenassistenzen und Zivildienstleistende unterstützend zur Seite. Das
ist oft zu viel des Guten. Im Unterricht herrscht Unruhe, ein Gewusel. Damit
sich die Schüler konzentrieren können, werden Kopfhörer verteilt.
Zehn Jahre nach dem Systemwechsel muss konstatiert werden: Es gibt
Situationen, in denen eine Integration schlicht keinen Sinn hat. Dann etwa,
wenn eine Schülerin mit dem Pflichtstoff masslos überfordert ist oder wenn ein
Schüler den Unterricht dermassen stört, dass seine Klassenkameraden abgelenkt
und die Lehrpersonen total absorbiert sind. Dann sind Sonderschulen und
Kleinklassen die besseren Mittel als hartnäckige Versuche, Kinder in eine
Regelklasse zu pressen. Auch für die betroffenen Schüler kann dies Vorteile
haben: Auf ihre Bedürfnisse kann besser eingegangen werden, sie haben Lernerfolge
und müssen sich nicht stets mit den fortgeschritteneren Klassenkameraden
vergleichen.
Um das an und für sich löbliche Ziel der Integration doch noch – zumindest
teilweise – zu erreichen, können Sonderschulen beispielsweise vermehrt in
reguläre Schulhäuser aufgenommen werden. Begegnungen fänden so immerhin auf dem
Pausenplatz statt. «Weichere» Schulfächer wie Musik oder Zeichnen können auch
in Zukunft integrativ geführt werden.
Unnötige Kosten
Überdacht werden sollte auch das heutige Verteilsystem, das
falsche Anreize schafft und unnötige Kosten generiert. Die Zahl der
integrierten Sonderschüler ist in den letzten Jahren stark angestiegen – zu
stark. Je mehr Kinder den Sonderschulstatus erhalten, desto mehr Ressourcen
werden gesprochen: Das ist ein Mechanismus, der keinen Sinn hat und von
Bildungsexperten zu Recht als «absurd» bezeichnet wird. Hier ist eine
Änderung dringend nötig.
Grundsätzlich gelten Investitionen im Bildungsbereich aus
volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Überlegungen als sinnvoll. Jedoch
gilt es auch hier Mass zu halten. Wo Steuergelder verschleudert werden, muss
Einhalt geboten werden – vor allem dann, wenn der Nutzen für das Gros der
Kinder, Eltern und Lehrer nicht erkennbar ist.
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