Mark Zuckerberg, Bill Gates und Reed Hastings haben ein gemeinsames
Hobby. Es könnte die gesamte heranwachsende Generation prägen und lässt sich
nur mit dem Kontostand eines Tech-Milliardärs ausüben. Der CEO von Facebook,
der Gründer von Microsoft und der Netflix-Chef machen sich in ihrer Freizeit
daran, den Unterricht an amerikanischen Schulen umzubauen.
Wie Tech-Unternehmer um Mark Zuckerberg den Schulunterricht weltweit umbauen wollen - und Daten von Schülern sammeln, NZZaS, 2.2. von Ursina Haller
Mark Zuckerberg testet seine Vorstellung von computergestütztem Lernen
an 380 Schulen. Bill Gates rief mit seiner Stiftung eine Datenbank ins Leben,
die Profile mit persönlichen Daten von 11 Millionen Schülern anlegen sollte.
Und Reed Hastings finanzierte ein Mathematik-Lernprogramm, das auf einem
ähnlichen Algorithmus wie Netflix basiert. Rasch und ohne öffentliche Kontrolle
verbreiten die Unternehmer aus dem Silicon Valley so eine breite Palette von
Technologien, die für Schüler und Lehrpersonen weitreichende Konsequenzen
haben.
Besonders sogenannte «intelligente tutorielle Systeme», die den
Unterricht mithilfe künstlicher Intelligenz individualisieren, treiben die
Tech-Unternehmer mit hohem Tempo voran. An US-Schulen wird diese
computergestützte Art des Lernens bereits vermehrt angewendet. Und sie soll -
wenn es nach Zuckerberg geht - den Schulbetrieb weltweit umgestalten.
2015 schrieb er in einem Brief an seine neugeborene Tochter: «Unsere
Generation wuchs in Schulzimmern auf, in denen alle dasselbe lernten,
ungeachtet individueller Interessen oder Bedürfnisse. Deine Generation hingegen
wird Technologie haben, die versteht, wie ihr am besten lernt und auf welche
Dinge ihr euch konzentrieren müsst.»
Ein Jahr später sagte der Facebook-CEO in einer Rede, er wolle in diesem
Jahrzehnt erst einen Grossteil der amerikanischen Schulen mit personalisiertem
Lernen ausstatten und es dann Schülern weltweit zugänglich machen.
Wohltätige Projekte prägen das unterfinanzierte amerikanische
Bildungswesen seit je. Doch die neue Generation von Philanthropen unterscheidet
sich von der vorhergehenden. Larry Cuban, emeritierter Professor für
Erziehungswissenschaften, sagt: «Ein Grossteil des Geldes, das gegenwärtig in
das Bildungswesen gepumpt wird, stammt von Tech-Unternehmern. Sie sind
überzeugt, dass sich alles durch Technologie lösen lässt - auch
Herausforderungen im Klassenzimmer. Das ist problematisch.»
Die neuen Bildungsreformer vergässen nämlich, wie wichtig
zwischenmenschliche Beziehungen im Unterricht seien. Tatsächlich fühlen sich
Schülerinnen und Schüler, die vorwiegend computergestützt unterrichtet werden,
überfordert und klagen über Kopfschmerzen oder Stressgefühle. Aber dazu später.
Geht es nach den Tech-Philanthropen, sollen digitale Medien leisten, was
Lehrpersonen aus Zeitgründen bisher unmöglich war: die individuellen
Lernbedürfnisse der Schüler zu erfüllen, indem nicht alle Kinder dasselbe im
gleichen Tempo und mit denselben Methoden lernen. Eigentlich ein sinnvoller
Wunsch.
Doch das Engagement ist nicht uneigennützig. Den Tech-Unternehmern wird
vorgeworfen, sich unter dem Vorwand der Philanthropie Zugang für den Verkauf
ihrer Produkte zu verschaffen. Denn der neue Lernansatz setzt voraus, dass
jedes Kind mit einem eigenen Gerät ausgerüstet ist und sich in die Ökosysteme
der Tech-Firmen einbindet. Und er wirft heikle Fragen hinsichtlich Datenschutz
auf.
Intelligente Lernsysteme funktionieren wie jene Instrumente, mit denen
die Technologieunternehmen ihr Geld machen. Wie Netflix oder Facebook erheben
die Programme Daten über Lernende aufgrund von deren Aktivitäten und Klicks.
Algorithmen leiten daraus Muster ab. Diese wiederum werden in massgeschneiderte
Lernpfade übersetzt.
Das funktioniert beispielsweise so: Das System definiert Kompetenzen,
die für die Lösung einer Mathe-Aufgabe benötigt werden. Kann ein Kind die
Aufgabe nicht lösen, merkt sich das Programm die fehlende Kompetenz. Wenn das
Kind mehrmals einen ähnlichen Fehler macht, registriert das Programm eine
Wissenslücke und stellt automatisch Aufgaben zur Aufarbeitung des Vorwissens
bereit.
Die Software erkennt mit der Zeit auch, ob ein Schüler den Stoff besser
anhand von Videos oder anhand schriftlicher Anleitungen lernt. Sie passt das
Lernangebot an und begleitet Schüler durch alle Schritte einer Problemlösung.
Intelligente Systeme definieren auch die Rolle von Lehrkräften neu: Sie sollen
nicht länger Wissen vermitteln, sondern als Mentoren zwischen Programm und
Schüler wirken.
Netflix-Chef Reed Hastings verglich dieses Zusammenspiel einmal mit
einem Röntgengerät. Das von ihm finanzierte Mathe-Lernprogramm «Dreambox»
zeichnet bis zu 50000 Datenpunkte pro Schüler und Stunde auf und gewährt den
Lehrkräften Einblick in die Daten. Wie ein Röntgengerät dem Arzt helfe, seinen
Patienten zu behandeln, könne das Programm dem Lehrer helfen, den Schüler zu
durchschauen und ihn individuell zu fördern, sagte Hastings der «New York
Times».
In den USA kritisieren Experten die übereilte Verbreitung der neuen
Technologie. Und auch bei Schülerinnen und Schülern, die unfreiwillig als
Testpersonen dienen, kommt das Bildungsexperiment nicht gut an. Ein von Mark
Zuckerberg vorangetriebenes Lernsystem erhält besonders schlechte Noten.
Im November 2018 erhielt der Facebook-Gründer einen Brief. Akila
Robinson und Kelly Hernandez, zwei Sekundarschülerinnen aus New York,
schrieben: «Lieber Herr Zuckerberg, das Summit-Lernprogramm hat unserer Schule
viel Leid und Not gebracht. Wir bitten Sie, es sofort einzustellen. Es
eliminiert zwischenmenschliche Interaktion, die Unterstützung durch Lehrkräfte,
die Diskussionen mit Mitschülern - die Dinge, die wir brauchen, um unser
kritisches Denken zu formen.»
Zuvor waren Robinson und Hernandez zusammen mit hundert Mitschülern auf
die Strasse gegangen und hatten die Abschaffung des Lernsystems an ihrer Schule
gefordert. Sie kritisierten, dass sie den Grossteil des Schultages vor dem
Computer verbringen müssten und dass Schüler und Lehrkräfte beim Umgang mit der
Plattform überfordert seien.
Zuckerberg hatte 2015 angekündigt, Facebook arbeite neu mit «Summit
Learning» zusammen. Die Plattform begleitet Schüler ab der Mittelstufe durch
ein individualisiertes Lernangebot in Fächern wie Mathematik, Englisch oder
Geschichte und nimmt Tests ab. Eine Schule im Silicon Valley hatte mit der
Entwicklung des Systems begonnen, Zuckerberg stellte ein Facebook-Team zur
Verfügung, das es weiterentwickelt und anderen Schulen zugänglich gemacht hat.
2016 wendeten in den USA bereits hundert Schulen die kostenlose Software
an. Heute erreicht sie unter dem neuen Namen «The Learning Program» 72000
Schüler an 380 Bildungseinrichtungen, viele liegen in unterfinanzierten
Schulbezirken. Bill Gates und Amazon-Gründer Jeff Bezos haben sich als
Geldgeber dazugesellt.
Das Lernsystem aus dem Silicon Valley trifft nicht nur in New York auf
Ablehnung. Auch an Schulen in Kansas, Connecticut oder Pennsylvania
protestierten Schüler, Eltern und Lehrer gegen Summit Learning. Jugendliche
klagten, sie litten seit der Einführung des Programms an Kopfschmerzen und
Stressgefühlen. Eltern bemängelten, das System leite die Kinder auf Websites mit
unangebrachten Inhalten. Lehrer beschwerten sich über ein schlechteres
Unterrichtsklima.
Auch Bedenken über die umfangreiche Datensammlung wurden laut. Daten
sind der Treibstoff adaptiver Systeme. Um zu funktionieren, müssen sie die
Lernaktivitäten von Schülern fortwährend aufzeichnen. Summit Learning beteuert,
die Daten seien sicher.
Bisher gibt es keinen Hinweis auf Missbrauch. Die Nähe zu Facebook und
dessen problematischen Datenpraktiken stimmt Eltern jedoch misstrauisch. Sie
fürchten sich vor der unkontrollierten Verbreitung und langfristigen
Speicherung der Daten ihrer Kinder: Detaillierte Profile von Schülerinnen und
Schülern könnten künftig für Zwecke verwendet werden, die derzeit noch nicht
absehbar sind.
Es ist etwa zu befürchten, dass solche Daten künftig über Berufschancen
entscheiden. Arbeitgeber könnten den Verlauf der Schulbildung detailliert
einsehen und daraus schliessen, ob eine Bewerberin fleissig und gewissenhaft
war. Mit umfassenden Schülerprofilen droht die Gefahr, dass Jugendliche ihre
Vergangenheit nie mehr loswerden können.
In den USA wird bereits an Projekten gearbeitet, die auf die
langfristige Speicherung und Aufbereitung von Schülerdaten abzielen. 2014 wurde
ein solches nach heftigen Elternprotesten gestoppt. Die Non-Profit Organisation
«Inbloom» hatte rund 400 Informationselemente über Schüler aus neun
Bundesstaaten gesammelt. Das Startkapital für das Projekt stammte von der
Stiftung von Bill und Melinda Gates.
Ortstermin in Sunnyvale im Silicon Valley. Die Schule, an der
Zuckerbergs Summit Learning entwickelt wurde, hat zum Besuchstag eingeladen. In
den Klassenzimmern surrt die Klimaanlage, die Pulte sind zu Inseln angeordnet,
an den Wänden hängen Motivationssprüche und Projektarbeiten. Die Kinder einer
5. Klasse sitzen einander gegenüber, alle haben einen Laptop for sich.
Die Primarschüler absolvieren gerade eine Geschichtslektion mit dem
intelligenten Lernsystem. Jedes der rund zwanzig Kinder lernt etwas anderes:
Ein Mädchen klickt sich durch einen Test zum Thema Naturkatastrophen. Ihre
Sitznachbarin trägt Kopfhörer und schaut ein Video über die Entstehung der
Globalisierung. Ein Knabe überarbeitet einen Aufsatz zum Thema.
Auch der Lehrer sitzt vor einem Computer. Ihm zeigt ein
Verwaltungs-Cockpit die Lernaktivität der einzelnen Schüler: Wer arbeitet
gerade woran? Wer muss eine Prüfung wiederholen? Daneben ein Chat-Portal mit
Fragen der Schüler.
Der Lehrer sagt: «Der Vorteil ist, dass sie mit ihren Anliegen nicht
warten müssen. Sie können mich jederzeit erreichen und müssen sich nicht mit
Fragen beschäftigen, die für sie nicht relevant sind.» Unsozial sei das Lernen
mit der Plattform nicht: Sie entlaste ihn von zeitraubenden Tätigkeiten wie
Prüfungskorrekturen, wodurch er letztlich mehr Zeit für seine Schüler habe.
An der Schule in Sunnyvale werden Lerninhalte ausschliesslich
computergestützt über das intelligente System vermittelt, das angeeignete
Wissen wird in Projektarbeiten vertieft. Die Schulleiterin Anica Bilisoly sagt:
«Mit Frontalunterricht sprechen wir höchstens 30 Prozent der Schüler an, alle
anderen sind entweder gelangweilt oder überfordert. Technologie hingegen kann
jeden Schüler auf seinem Lernniveau ansprechen.»
Soziale und kreative Kompetenzen fördert die Schule mit Exkursionen,
Gruppenaktivitäten oder Projektarbeit. Die Lehrkräfte absolvieren wöchentlich
eine Weiterbildung. Die Zahlen sprechen für sich: An nationalen Leistungstests
schneiden die Schüler überdurchschnittlich gut ab.
Der Erziehungswissenschaftler Larry Cuban, der die Schule untersucht
hat, sagt: «Hier funktioniert das computergestützte Lernen, weil es Teil eines
ganzheitlichen Ansatzes ist. Übernimmt man lediglich den technologischen Teil,
so wie es sich die Philanthropen aus dem Silicon Valley vorstellen,
funktioniert es nicht. Sie unterschätzen die Komplexität, die im Klassenzimmer
herrscht.»
Summit Learning hat nach den Protesten angekündigt, die Lernsoftware
vorerst nicht weiter zu verbreiten. Man arbeitet an Verbesserungen. Mark
Zuckerberg hält das nicht davon ab, zu einem wichtigen Akteur im Bildungswesen
zu werden.
Durch seine scheinbar gemeinnützige Organisation «Chan Zuckerberg
Initiative» hat er 50 Millionen Dollar in die kostenpflichtige Lern-App Byju
investiert. Sie erreicht in Indien 33 Millionen Schüler und gilt im
Bildungssektor als die App mit dem höchsten Marktwert.
Zudem ist er Investor von Altschool, einem Unternehmen, das eine
ähnliche Lernplattform wie Summit Learning entwickelt. Kürzlich schloss es
seine Testschulen in San Francisco. Die Schüler sollen während des Unterrichts
Bewegungstracker getragen haben und gefilmt worden sein - um das System intelligenter
zu machen. Das war selbst den Eltern im Silicon Valley zu viel.
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