Mario
Andreotti, Sie lehren heute an einer Pädagogischen Hochschule. Erleben Sie es
da, dass Studierende auf Whatsapp schreiben, während Sie unterrichten?
Ja, das
kommt vor, vor allem in Vorlesungen, und ärgert mich denn auch, zumal ich mich
bemühe, inhaltlich und rhetorisch ansprechende Vorlesungen zu halten.
Allerdings kann ich wenig dagegen tun, wenn sich Studierende hinter ihren
Laptops «verbergen» oder auf ihren Handys Nachrichten schreiben. Zum einen
fehlt dazu die rechtliche Legitimation und zum andern befinde ich mich fast
immer in einem Beweisnotstand. Ist es aber offensichtlich, dass Studierende durch
Laptops und Handys abgelenkt sind, reagiere ich und verweise sie auf ihre
künftige Rolle als Lehrpersonen. Das nützt dann meistens.
"Selbstgesteuertes Lernen ist oft ziellos", St. Galler Tagblatt, 14.2. von Felix Mätzler
In Ihren
Vorträgen und Gastkommentaren kritisieren Sie immer wieder die
Bildungsreformen, beziehen sich aber vor allem auf die Situation in der
Volksschule und am Gymnasium. Sind Sie ähnlich kritisch gegenüber den
Entwicklungen in der höheren Bildung und der Weiterbildung?
Natürlich ist die
Lernsituation auf der tertiären Stufe und in der Weiterbildung eine andere. Die
Lernenden besitzen mehr Eigenverantwortung. Das heisst aber nicht, dass
jegliche Führung durch den Lehrenden fehlen darf. Genau das passiert aber beim
Selbstorganisierten Lernen, bei dem sich die Lernenden selber Lernziele setzen
können. Dabei haben verschiedene Studien gezeigt, dass direkte Instruktion auch
auf der tertiären Stufe die erfolgreichste Lehrmethode ist.
Studierende
kommen heute mit einer unglaublichen Erwartungshaltung und auch mit viel
Vorwissen in Vorlesungen und Kurse. Wie soll die Bildung damit umgehen?
Die
verstärkte Erwartungshaltung hängt vor allem mit zwei Faktoren zusammen: Zum
einen zählt nicht mehr die Amtsautorität der Lehrenden, sondern ihre fachliche
und didaktische Kompetenz, und zum andern definieren Studierende Bildung
zunehmend pragmatisch, also im Hinblick auf ihren praktischen Nutzen. Dass sie
in der Regel mit einem recht grossen Vorwissen in die Lehrveranstaltungen
kommen, hängt natürlich auch mit der Digitalisierung zusammen. Lehrende müssen daher
immer wieder aufzeigen, dass dieses Wissen erst dann Bildung ist, wenn es zum
Nachdenken anregt.
Ist
«Flipped Classroom» ein Modell, das die Bildung reformieren könnte?
«Flipped
Classroom» oder «Umgedrehter Unterricht», bei dem der Lehrstoff von den
Lernenden individuell erarbeitet wird und die Vertiefung im Unterricht
geschieht, ist als Unterrichtsmethode nicht so neu, wie sie sich gibt. In der
Erwachsenenbildung wird sie schon lange praktiziert. Den Studierenden bietet
die Methode die Möglichkeit, den Lehrstoff selbstgesteuert und im eigenen Tempo
zu erarbeiten. Das hat aber den grossen Nachteil, dass sich die Studierenden
mit dem Lehrstoff zunächst einmal allein gelassen fühlen, was vor allem bei den
schwächeren unter
ihnen Überforderung und Stress auslöst.
Sie
mokieren sich in Ihren Kolumnen immer wieder über Lehrer, die zu reinen
«Lernbegleitern» herabgestuft werden. Was sagen Sie denn zu Dozenten, die zu
Moderatoren werden?
Der Wandel vom Dozenten zum Moderator hängt mit den offenen
Lernformen – Selbstorganisiertes Lernen, E-Learning – zusammen. Im Gegensatz zu
Dozenten als Wissensvermittler geben Moderatoren in der Regel nur noch Inputs.
So können die Studierenden ihren Lernprozess weitgehend selber steuern. Aber
dieses selbstgesteuerte Lernen ist häufig ziellos und führt zu stofflichen
Defiziten. Vor allem schwächere Studierende bleiben da auf der Strecke.
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