Zweifellos
besteht zwischen den offenkundigen Sprachdefiziten vieler Vorschulkinder und
dem PISA-Debakel bei den Schulabgängern im Deutsch ein Zusammenhang. Dennoch
wäre es verfehlt, den Hebel nur bei der Frühförderung anzusetzen, wie dies
allgemein gefordert wird. Lesen und Schreiben lernen ist ein Grundauftrag der
Volksschule. Was so banal tönt, ist letztlich ein komplexer Lernprozess, der
systematisch und fächerübergreifend gefördert werden muss.
Deutsch lernen – ein unterschätzter Grundauftrag der Volksschule, 9.2. von Hanspeter Amstutz
Sprachbildung durch Erzählen und
anschauliches Erklären
Kinder haben
Hunger nach Geschichten, bei denen sie in eine andere Welt eintauchen und sich
mit Erzählfiguren identifizieren können. Dabei spielt die Rolle der Lehrerin
eine zentrale Rolle. Kinder lesen im Gesicht und in der Gestik der Erzählerin,
was sich in der Geschichte abspielt. Wortwahl und Tonfall der Sprache
verstärken das Emotionale, aber auch die Logik des Handlungsablaufs muss für
die Kinder einsichtig sein. Lebendige Erzählungen sind enorm sprachfördernd und
Bausteine eines guten Sprachunterrichts.
Jugendliche
öffnen sich für Neues, wenn ein von einer Sache begeisterter Lehrer ihnen ein
Stück Welt anschaulich erklärt. Ihr Wortschatz kann so mit einer gewissen
Leichtigkeit entscheidend erweitert werden. Eine auf wesentliche Inhalte
beruhende sprachliche Horizonterweiterung in den Realienfächern ist die beste
Voraussetzung für das Verstehen der meisten Texte. Wo eine Sache oder ein Geschehen
fasziniert, wollen die Schüler die Zusammenhänge verstehen und darüber reden.
Nicht selten sind es lesescheue Buben, die über einen fesselnden Realienunterricht
zum sprachlichen Ausdruck finden.
Mehr Zeit in Sprachtraining und Aufsätze
investieren
Eine
Lehrperson muss kreative Übungsformen finden und zeigen, dass sie Freude an den
sprachlichen Formen hat. Ähnlich wie ein guter Fussballtrainer beim Training
auf dem Fussballplatz höchste Präsenz ausstrahlt, wird dies auch eine Lehrerin
beim Sprachtraining Im Klassenzimmer tun. Sie wird sich nicht hinter einem
Computer verstecken und sich mit der Rolle als Coach zufrieden geben. Wie die
Erfahrung zeigt, macht gemeinsames Üben im Klassenverband den meisten Schülern
durchaus Spass. Erst wenn diese primäre Unterrichtsform gelingt, kann individualisierendes
Lernen mit digitalen Programmen eine gute Ergänzung sein.
Aktuell
wird erwartet, dass Jugendliche die Qualität und den Wahrheitsgehalt von Texten
erkennen können. Doch wie gelingt es, diese wichtigen Fähigkeiten in der Schule
zu fördern? Mit etwas Medienkunde allein ist es nicht getan. Wer hingegen selber
zu einigen Themen differenziert etwas schreiben kann, wird generell eine kritischere
Grundhaltung einnehmen. Jugendlichen Vertrauen
ins eigene Schreiben zu vermitteln ist für die Orientierung in der Medienwelt
von zentraler Bedeutung. Der Weg zum eigenen schriftlichen Ausdruck fällt aber nicht
allen Schülern leicht. Für Lehrpersonen bedeutet die Arbeit in der schulischen
Schreibwerkstatt oft eine Herkulesarbeit. Doch die Korrekturarbeiten und
individuellen Nachbesprechungen lohnen sich. Gelingt es einer Lehrerin in einem
lebendigen Aufsatzunterricht einen Dialog mit den Schülern zu entwickeln, trägt
dies in hohem Mass zur sprachlichen Sensibilisierung bei.
Ganzheitliche Deutschförderung hat
Vorrang
Im
mündlichen Bereich gibt es unzählige Möglichkeiten für ein tägliches Sprachbad.
So lässt eine Ballade wie Fontanes John Maynard keinen Schüler gleichgültig,
wenn das Gedicht packend vorgetragen, erhellend interpretiert und
sprachlich-spielerisch von den Jugendlichen gestaltet wird. Für manche
Schülerin geht eine Türe zur sprachlichen Form weit auf, wenn sie Goethes tollem
Zauberlehrling zuhört. Ähnlich verhält es sich mit geeigneten Theaterstücken
oder der gemeinsamen Klassenlektüre eines Jugendbuch-Klassikers. Anregende
Bibliotheksbesuche und die Ermunterung zum Lesen in der Freizeit helfen mit,
einen weiteren Zugang zur deutschen Sprache zu öffnen.
Deutsch
lernen ist sehr zeitintensiv. Abkürzen kann man dabei nicht. Doch genau bei
dieser Aussage wird es bildungspolitisch brisant. Vor allem die Primarschule
ist arg unter Druck, ausserhalb der Bildungs-Kernbereiche noch eine ganze Reihe
von Wunschzielen erreichen zu müssen. Wer die Schüler im Deutsch ganzheitlich
fördern will, wird mit einer Geschichtsstunde pro Woche und dem
standardisierten schmalen Zeitbudget beim Aufsatzunterricht nicht zufrieden
sein. Nötig ist eine Neubewertung der Prioritäten
und eine stärkere Fokussierung des Bildungsprogramms auf die schulische
Erstsprache.
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