16. Februar 2020

Der Wandtafel-Graben


In der Welt von gestern lernten Kinder schreiben, indem sie mit Wandtafelkreide Buchstaben und Wörterformten. Lehrer verwendeten die Kreide manchmal als Munition, um störende Schüler in Schach zu halten. 
Eine klassische Wandtafel hält fast ewig. Bild: Florian Bärtschiger
Schulmobiliar für die Ewigkeit, Basler Zeitung, 14.2. von Martin Furrer


In der Welt von heute üben Erstklässler das Abc mit dem Digitalstift auf ihrem Tablet. Analog ist out, digital ist in. Zumindest glauben das viele. Doch sie irren sich. In Basels Schulzimmern findet sich zwar moderne Technologie, doch in den Primar- und Sekundarschulen setzt der Kanton noch immer auf ein Möbel, von dem man glaubte, es sei längst auf der Entsorgungshalde der Geschichte gelandet: die klassische Wandtafel. 

Als vor knapp drei Jahren die neuen Primarschulen Schoren und Erlenmatt eröffnet wurden, fanden die Schüler in ihren Klassenzimmern keine interaktiven Tafeln vor, keine elektronischen Hightech-Geräte – sondern Wandtafeln, wie sie schon seit Jahrzehnten in Basler Schulzimmern hängen. Dazu Kreide in vielen Farben und Formen. 

Nachschub bleibt gesichert 
Kürzlich hat Basel-Stadt mit der Luzerner Firma Novex AG einen Rahmenvertrag zur «Lieferung von Wandtafeln für die Primar- und Sekundarschulen» abgeschlossen, wie dem Kantonsblatt zu entnehmen ist. Damit bleibt der Nachschub gesichert. «Laufzeit fest über fünf Jahre, vom 1.3.2020 bis 28.2.2025 und optionale Verlängerung bis maximal 28.2.2030», heisst es. Das Beschaffungsvolumen beträgt 842525 Franken. 

«Die Wandtafel, die old fashioned erscheinen mag, ist in Tat und Wahrheit noch immer sehr modern», sagt Dieter Baur, Leiter Volksschulen im Erziehungsdepartement (ED). FlavioTiburzi, ehemaliger Primarlehrer und heute Stufenleiter Primarschule im ED, pflichtet Baur bei: «Die Wandtafel bleibt in der Didaktik äusserst aktuell.» 

Tiburzi schätzt, dass es in Basel-Stadt, Riehen und Bettingen mit seinen insgesamt 29 Primar- und 10 Sekundarschulen insgesamt gut 600 Klassenzimmer gibt, in denen derzeit eine Wandtafel installiert ist. Einzig in der Sekundarschule Sandgruben setzen die Lehrer auf sogenannte White-Board-Tafeln mit integriertem Beamer. Und statt zur Kreide greifen sie dort zu Filzstiften. 

Diese Ausnahme bestätigt eine Regel: dass nämlich Basel-Stadt auf der unteren Schulstufe in einem Bereich der Didaktik anders tickt als beispielsweise der Kanton Basel-Landschaft. 

Dort sind die Gemeinden für die Ausstattung der Schulen verantwortlich. Wenn immer sie es sich finanziell leisten können, schaffen sie sich elektronische Tafeln an. Das ist etwa in Therwil der Fall. Dort stehen in der Primarschule Wilmatt, die vor eineinhalb Jahren eröffnet wurde, interaktive Tafeln mit Touchscreens. 

In Basel gilt eine andere Philosophie. «Das Schreiben mit Kreide auf der Wandtafel hat den Vorteil, dass die Schriftführung besser unterstützt wird als etwa beim Beschreiben eines White Board mit Filzstift», sagt Tiburzi. «Der Schreibfluss ist besser.» Punkto Haftung und Reibung seien Wandtafeln einem elektronischen Tablet weit überlegen. «Es gibt noch keine digitale Art des Schreibenlernens», sagt Tiburzi und fügt an: «Das digitale Schreibenlernen wird das analoge nie ersetzen.» 

Magnete statt Klebstreifen 
Wandtafel ist nicht gleich Wandtafel. Es gibt die bis zu vier Meter breite, grün-gräuliche Buch Wandtafel. Man handhabt sie – der Name sagt es – wie ein überdimensioniertes Buch, indem man verschiedene Tafeln umklappt. Diese können uni sein oder karierte oder horizontale Linien aufweisen. Sie werden im Siebdruckverfahren aufgetragen. Und es gibt die Säulen-Wandtafel. Sie lässt sich vertikal nach oben oder unten schieben und braucht weniger Platz. 

«Das Grundprinzip der Wandtafel ist noch immer dasselbe», sagt Tiburzi, «nur technisch hat sie sich verändert.» Die Tafeln bestehen heute nicht mehr aus Schiefer, sondern sind mit Kunststoff beschichtet. Und wo früher Lehrer mit Klebband hantieren mussten, um Dinge daran zu befestigen, können sie heute dank integrierten Metallflächen Magnete verwenden. 

Gut investiertes Geld 
Eine Buch-Wandtafel kostet nach Auskunft der Abteilung Raum und Anlagen im ED etwa 3300 bis 3500 Franken, eine Säulen-Wandtafel 4300 bis 4500 Franken. Es scheint gut investiertes Geld zu sein. Denn im Gegensatz zu Hightech-Tafeln, die Updates brauchen und nach ein paar Jahren womöglich schon veraltet sind und als Elektroschrott enden, sind die klassischen Wandtafeln «ein gutschweizerisches Produkt», wie Tiburzi betont: «Wenn man sorgfältig damit umgeht, halten sie eine halbe Ewigkeit.» Alles in allem gibt das für die praktisch unzerstörbare Wandtafel die Bestnote. Die Firma Novex prophezeit jedenfalls auf ihrer Homepage:«Die Schrift ist Ausdruck der Persönlichkeit: Wir müssen sie über Jahre erlernen, sei es auf Papier oder auf Tafeln – ganz werden beide nicht aus dem Schulzimmer verschwinden.» Geändert hat sich bloss, dass es Lehrer heutzutage kaum mehr wagen dürften, mit Kreide nach ihren Schülern zuwerfen.

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