Ego und Akasya, beide 15, klammern sich an ihre
schwarzen Mappen und vergleichen ihre Anstrengungen der letzten Wochen.
«Wie viele Bewerbungen hast Du geschrieben?», fragt
Akasya.
«Sieben. Du?»
«Ungefähr dreissig.»
«Sieben. Du?»
«Ungefähr dreissig.»
Ein Jahr mit der Abschlussklasse: "Aber schreiben Sie nicht, dass ich voll lost bin", Schweiz am Wochenende, 23.2. von Benjamin Rosch
Es ist ein kühler Mittwochmorgen. Unter der Decke
der Messehallen stehen scharweise Jugendlichen herum. Alle hoffen sie darauf,
an der Lehrstellenbörse einen Job zu finden. Der Basler Gewerbeverband
organisiert jedes Jahr diesen Markt für Berufseinsteiger. 58 Lehrbetriebe mit
fast 500 offenen Lehrstellen präsentieren sich als Arbeitgeber. Ihnen gegenüber
stehen fast 600 junge Menschen, die sich im besten Licht zeigen wollen.
Unter ihnen sind auch Ego und Akasya, zwei
Schülerinnen der Klasse 3d an der Sek St. Alban. Sie müssen heute nicht zum
Unterricht. Lehrer Samuel Stirnimann hat aus der Klasse einige ausgewählt, für
die diese Lehrstellenbörse Sinn macht. Besonders Akasya steht unter grossem
Druck. 30 Bewerbungen hat sie bereits verschickt. Einige Angeschriebene sagten
ihr freundlich ab, viele antworteten nicht. Eine Zusage hat sie keine.
Nervös seien sie heute nicht. «Vielleicht ein
bisschen», sagt Akasya. Aber gestresst schon. Stetig nimmt der Druck zu: in der
Schule, zu Hause, und natürlich macht sie sich auch selber Gedanken zu ihrer
Zukunft. «Ich glaube, manchmal wissen die Leute gar nicht, wie es so ist in
dieser Zeit», sagt Akasya vage.
Ego hat sich viel vorgenommen. Sie trägt ihre
Zöpfchen zusammengebunden zu einem Rossschwanz, eine weisse Bluse und einen
dunklen Blazer. Als die Türen der Messe aufgehen, steuert sie zielstrebig den
Stand des Bürgerspitals an und setzt sich auf den Stuhl. Sofort verwickelt sie
die Verantwortlichen am Stand in ein Gespräch. Ego ist auf der Suche nach einer
Lehrstelle als Fachfrau Gesundheit. «Darf ich mir Deine Bewerbung ansehen?»,
bittet die Dame um die vierzig freundlich. Ego nickt. Das Gespräch läuft gut.
Schon nach wenigen Minuten zückt Ego ihre glitzernde Agenda. Sie hat eine
Schnupperwoche ergattert.
«Aber schreiben Sie nicht, dass ich voll lost bin»
Wenige Meter weiter steht Akasya. Am liebsten
möchte sie Pharma-Assistentin werden. Doch sie ist unsicher. «Ich fühle mich
schlecht vorbereitet», sagt sie. «Aber schreiben Sie bitte nicht, dass ich voll
lost bin», sagt sie. Nein, verloren wirkt Akasya eigentlich nicht. Vielmehr
etwas überfordert von dieser Halle, die suggeriert: So viele Möglichkeiten
stehen Dir offen!
Ihre Bewerbung hat sie nicht dabei. «Ich kann nur
in der Schule daran arbeiten, zu Hause nicht.»
Schliesslich findet sie doch einen Stand, der
bietet, was sie sucht. Akasya zögert. Das hat einen Grund: «Ich habe mich schon
bei dieser Firma beworben und nichts mehr gehört.» Erst als Mitschüler Ilia sie
in Richtung des Stands schubst, gibt sich Akasya einen Ruck und setzt sich
vis-à-vis den beiden jungen Frauen.
«Ich habe leider keine Bewerbung dabei, aber Sie
haben meine Unterlagen schon», sagt eine angespannte Akasya.
«Wieso möchtest Du denn Pharma-Assistentin
werden?», fragt die junge Frau rechts.
Akasya redet schnell, sie zählt alle ihre
Vorstellungen und Vorzüge gleichermassen auf. Dass sie zwar schlecht in
Französisch, dafür aber sehr gut in den naturwissenschaftlichen Fächern sei,
dass sie sich Abwechslung und Kontakt mit Menschen wünsche und sie gut mit Stresssituationen
und Kritik umgehen könne. Ihre beiden Interviewerinnen sind sehr freundlich,
sagen aber auch bestimmt: «Eigentlich suchen wir jemanden mit einem
5er-Schnitt.»
Für Akasya ist das eine Enttäuschung: Sie steht im
Moment bei einer 4,25.
«Wie gehst Du mit Kritik um?»
«Kritik ist mir wichtig. Besser man sagt mir, was
ich falsch mache. Dann kann ich an mir arbeiten.»
Die beiden Frauen nicken sich anerkennend zu. «Schick uns doch noch einmal Deine Bewerbung. Dann sehen wir, was wir machen können. Vielleicht kannst Du dennoch eine Woche bei uns schnuppern», sagt die junge Frau.
«Mach ich!», verspricht Akasya sofort.
Akasya habe ihre Sache gut gemacht, urteilen die
beiden Frauen später. Natürlich sei sie nervös gewesen, «aber sie wusste viel
über den Beruf.» Vielleicht könne man da etwas machen. Akasyas Noten sind
dennoch ein Problem. «Die Schule zur Pharma-Assistentin ist sehr hart», erzählen
die beiden Frauen. Die Erfahrung zeige: Wer in der Sekundarschule Mühe bekunde,
wird es später beim Auswendiglernen der Medikamente, Symptome und Krankheiten
nicht leichter haben.
Akasya ist mit ihrer Präsentation überhaupt nicht
zufrieden. «Ich habe nicht einmal gesagt, dass ich im Moment sogar Nachhilfe
nehme, weil mir das Ganze so wichtig ist», stöhnt sie. Sie ist entmutigt. «Und
ein 5er-Schnitt? Damit könnte ich ja sogar ans Gymnasium!» Findet sie keine
Lehrstelle, muss sie noch ein Jahr Schule anhängen. Keine besonders tolle
Vorstellung, schliesslich drängen nicht zuletzt die Eltern auf eine Lehre.
«Mein Vater sieht mich irgendwann als Polizistin.» Akasya selbst ist sich da
nicht so sicher. Zunächst will sie einmal die Aufnahmeprüfung an die Fachmaturitätsschule
versuchen: «Verlieren kann ich ja nichts.»
Ego hat sich nach oben gekämpft
Inzwischen ist auch Ego wieder aufgetaucht. Sie hat
bereits zwei Gespräche absolviert und beide sind gut verlaufen. Gut möglich,
dass sie gleich in zwei Lehrbetrieben schnuppern darf – dann stehen ihre
Chancen nicht schlecht. Ihren Erfolg hat sie sich hart erarbeitet: Gestartet
ist sie im A-Zug, dem schwächsten Niveau der Sekundarstufe. Mit einem klaren
Plan hat sie sich im mittleren Niveau etabliert, jetzt steht sie vor dem Sprung
in die Berufswelt. Viel fehlt nicht mehr, nur noch ein bisschen Glück.
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