24. Februar 2020

Berufswahl konkret


Ego und Akasya, beide 15, klammern sich an ihre schwarzen Mappen und vergleichen ihre Anstrengungen der letzten Wochen.
«Wie viele Bewerbungen hast Du geschrieben?», fragt Akasya.
«Sieben. Du?»
«Ungefähr dreissig.»
Ein Jahr mit der Abschlussklasse: "Aber schreiben Sie nicht, dass ich voll lost bin", Schweiz am Wochenende, 23.2. von Benjamin Rosch


Es ist ein kühler Mittwochmorgen. Unter der Decke der Messehallen stehen scharweise Jugendlichen herum. Alle hoffen sie darauf, an der Lehrstellenbörse einen Job zu finden. Der Basler Gewerbeverband organisiert jedes Jahr diesen Markt für Berufseinsteiger. 58 Lehrbetriebe mit fast 500 offenen Lehrstellen präsentieren sich als Arbeitgeber. Ihnen gegenüber stehen fast 600 junge Menschen, die sich im besten Licht zeigen wollen.

Unter ihnen sind auch Ego und Akasya, zwei Schülerinnen der Klasse 3d an der Sek St. Alban. Sie müssen heute nicht zum Unterricht. Lehrer Samuel Stirnimann hat aus der Klasse einige ausgewählt, für die diese Lehrstellenbörse Sinn macht. Besonders Akasya steht unter grossem Druck. 30 Bewerbungen hat sie bereits verschickt. Einige Angeschriebene sagten ihr freundlich ab, viele antworteten nicht. Eine Zusage hat sie keine.

Nervös seien sie heute nicht. «Vielleicht ein bisschen», sagt Akasya. Aber gestresst schon. Stetig nimmt der Druck zu: in der Schule, zu Hause, und natürlich macht sie sich auch selber Gedanken zu ihrer Zukunft. «Ich glaube, manchmal wissen die Leute gar nicht, wie es so ist in dieser Zeit», sagt Akasya vage.

Ego hat sich viel vorgenommen. Sie trägt ihre Zöpfchen zusammengebunden zu einem Rossschwanz, eine weisse Bluse und einen dunklen Blazer. Als die Türen der Messe aufgehen, steuert sie zielstrebig den Stand des Bürgerspitals an und setzt sich auf den Stuhl. Sofort verwickelt sie die Verantwortlichen am Stand in ein Gespräch. Ego ist auf der Suche nach einer Lehrstelle als Fachfrau Gesundheit. «Darf ich mir Deine Bewerbung ansehen?», bittet die Dame um die vierzig freundlich. Ego nickt. Das Gespräch läuft gut. Schon nach wenigen Minuten zückt Ego ihre glitzernde Agenda. Sie hat eine Schnupperwoche ergattert.

«Aber schreiben Sie nicht, dass ich voll lost bin»
Wenige Meter weiter steht Akasya. Am liebsten möchte sie Pharma-Assistentin werden. Doch sie ist unsicher. «Ich fühle mich schlecht vorbereitet», sagt sie. «Aber schreiben Sie bitte nicht, dass ich voll lost bin», sagt sie. Nein, verloren wirkt Akasya eigentlich nicht. Vielmehr etwas überfordert von dieser Halle, die suggeriert: So viele Möglichkeiten stehen Dir offen!

Ihre Bewerbung hat sie nicht dabei. «Ich kann nur in der Schule daran arbeiten, zu Hause nicht.»

Schliesslich findet sie doch einen Stand, der bietet, was sie sucht. Akasya zögert. Das hat einen Grund: «Ich habe mich schon bei dieser Firma beworben und nichts mehr gehört.» Erst als Mitschüler Ilia sie in Richtung des Stands schubst, gibt sich Akasya einen Ruck und setzt sich vis-à-vis den beiden jungen Frauen.

«Ich habe leider keine Bewerbung dabei, aber Sie haben meine Unterlagen schon», sagt eine angespannte Akasya.

«Wieso möchtest Du denn Pharma-Assistentin werden?», fragt die junge Frau rechts.
Akasya redet schnell, sie zählt alle ihre Vorstellungen und Vorzüge gleichermassen auf. Dass sie zwar schlecht in Französisch, dafür aber sehr gut in den naturwissenschaftlichen Fächern sei, dass sie sich Abwechslung und Kontakt mit Menschen wünsche und sie gut mit Stresssituationen und Kritik umgehen könne. Ihre beiden Interviewerinnen sind sehr freundlich, sagen aber auch bestimmt: «Eigentlich suchen wir jemanden mit einem 5er-Schnitt.»

Für Akasya ist das eine Enttäuschung: Sie steht im Moment bei einer 4,25.
«Wie gehst Du mit Kritik um?»

«Kritik ist mir wichtig. Besser man sagt mir, was ich falsch mache. Dann kann ich an mir arbeiten.»

Die beiden Frauen nicken sich anerkennend zu. «Schick uns doch noch einmal Deine Bewerbung. Dann sehen wir, was wir machen können. Vielleicht kannst Du dennoch eine Woche bei uns schnuppern», sagt die junge Frau.

«Mach ich!», verspricht Akasya sofort.

Akasya habe ihre Sache gut gemacht, urteilen die beiden Frauen später. Natürlich sei sie nervös gewesen, «aber sie wusste viel über den Beruf.» Vielleicht könne man da etwas machen. Akasyas Noten sind dennoch ein Problem. «Die Schule zur Pharma-Assistentin ist sehr hart», erzählen die beiden Frauen. Die Erfahrung zeige: Wer in der Sekundarschule Mühe bekunde, wird es später beim Auswendiglernen der Medikamente, Symptome und Krankheiten nicht leichter haben.

Akasya ist mit ihrer Präsentation überhaupt nicht zufrieden. «Ich habe nicht einmal gesagt, dass ich im Moment sogar Nachhilfe nehme, weil mir das Ganze so wichtig ist», stöhnt sie. Sie ist entmutigt. «Und ein 5er-Schnitt? Damit könnte ich ja sogar ans Gymnasium!» Findet sie keine Lehrstelle, muss sie noch ein Jahr Schule anhängen. Keine besonders tolle Vorstellung, schliesslich drängen nicht zuletzt die Eltern auf eine Lehre. «Mein Vater sieht mich irgendwann als Polizistin.» Akasya selbst ist sich da nicht so sicher. Zunächst will sie einmal die Aufnahmeprüfung an die Fachmaturitätsschule versuchen: «Verlieren kann ich ja nichts.»

Ego hat sich nach oben gekämpft
Inzwischen ist auch Ego wieder aufgetaucht. Sie hat bereits zwei Gespräche absolviert und beide sind gut verlaufen. Gut möglich, dass sie gleich in zwei Lehrbetrieben schnuppern darf – dann stehen ihre Chancen nicht schlecht. Ihren Erfolg hat sie sich hart erarbeitet: Gestartet ist sie im A-Zug, dem schwächsten Niveau der Sekundarstufe. Mit einem klaren Plan hat sie sich im mittleren Niveau etabliert, jetzt steht sie vor dem Sprung in die Berufswelt. Viel fehlt nicht mehr, nur noch ein bisschen Glück.

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