Der Bidlungserfolg ist in Gefahr, Aargauer Zeitung, 12.12. von Hans Fahrländer
Lassen wir den ideologischen Widerstand gegen
den neuen Lehrplan, der vor allem noch im
Baselbiet liebevoll gepflegt wird, ruhig beiseite.
Der Lehrplan21 stellt die Schule nicht auf den
Kopf (er verlangt übrigens auch nicht, dass der Lehrer nur noch der«Coach» der Kinder ist).
Wo der Lehrplan eingeführt ist, sinkt der Widerstand. Man hat ihm wohl zuviel «revolutionäres» Potenzial unterstellt. Dies allerdings steht
fest: Die Anforderungen an die Schule werden mit dem Lehrplan 21nochmals grösser. Neue
Fächer, neue Lerninhalte, neue Stundentafeln,
neue Unterrichtsmodelle. Gefordert sind vor
allem die Lehrkräfte, die sich, oft im Schnellzugstempo, weiterbilden müssen.
Lassen wir die Grundsatzdebatte um die integrative Schulung ruhig beiseite. Der Beweis, dass von solch gemeinsamem Lernen alle «Stärkeklassen» profitieren,ist erbracht. Allerdings:
Das Lehrerteam ist bei diesem Modellstark gefordert.Das integrative Modell bedingt einen
intensiven Personal-, Zeit- und Mitteleinsatz.
Was unter idealen, sozusagen Laborbedingungen hervorragend funktionieren kann, gerät in
der Praxis des Lehrer-und Heilpädagoginnen-Mangels zu einer Überforderung für alle Beteiligten. Leider steigt gerade bei der Heilpädagogik die Zahl der jungen Menschen, die das
Fach zwar studieren, dann aber nicht in die
Praxis einsteigen. Es hat sich halt herumgesprochen, wie schwierig die Rahmenbedingungen in
den meisten Kantonen sind.
Sie spüren es, liebe Leserin, lieber Leser: Diese
Erörterungen streben ihrer zwingenden Schlussfolgerung zu. Sie lautet: Gute Lehrkräfte sind
nicht alles, doch ohne genügend gute Lehrkräfte
ist alles nichts.Der Star unter den Bildungsforschern, der Neuseeländer John Hattie, hat ja
mehrfach bestätigt, was wir eigentlich schon
lange wissen: Der wichtigste Einflussfaktor auf
die Leistungen der Kinder und Jugendlichen ist
die Lehrkraft. Es hat keinen Sinn, über Pisa-Resultate, Lehrpläne, Unterrichtsmodelle und
Strukturreformen zu streiten, wenn die Grundvoraussetzung für eine gelingende Schule fehlt:
genügend gutes Lehrpersonal. «Gut» heisst vor
allem:für die entsprechende Stufe ausreichend
qualifiziert. Da hapert es nämlich in den meisten
Kantonen gewaltig. Einerseits werden Lehrkräfte
auf der «falschen» Stufe eingesetzt, andererseits
unterrichten Personen überhaupt ohne Lehrerausbildung. Wie viele das sind, weiss niemand so
genau. Transparenz wird von der Verwaltung
nicht angestrebt und von der Politik kaum erfragt.
Die Antwort könnte unangenehm ausfallen.
Vor kurzem wurde wieder das «Sorgenbarometer» der Gesellschaft Schweiz publiziert. Der
Lehrermangel wurde darauf nicht gesichtet. Und
doch bahnt sich hier eine existenzielle Gefahr für
das anerkannt hohe Niveau des Schweizer Bildungssystems an. Das heute schon akute Problem
wird sich bei steigenden Schülerzahlen noch deutlich verschärfen. Die «Gefahrenstufe rot» ist
bald erreicht. Was hat die Politik für Antworten
darauf? Ist sie sich der Dramatik bewusst? Man
wird den Eindruck nicht los, dass unser Land hier
sehenden Auges in eine dramatische Situation hineinschlittert. Fast wie beim Klima.
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