Kaum sind die Resultate
der neusten Pisa-Studie publik, schon hängt der Bildungsturm schief – ein
Ritual, das sich seit 2000 alle drei Jahre wiederholt. Ein Ächzen und Stöhnen
geht durch die Lande ob unserer unfähigen Schülerinnen und Schüler; alle melden
sich zu Wort: Bildungsexperten, echte und selbst ernannte, Lehrer,
Politikerinnen, Bäcker, Taxifahrerinnen, Chemiker und Kaminfegerinnen. Alle
sind ja mal zur Schule gegangen, werden so automatisch zu Experten, wissen,
dass dringend reformiert werden muss, dass früher eh alles besser war, dass
iPhones Teufelswerkzeuge sind, dass das halt davon kommt, dass die heutige
Jugend freitags für das Klima streikt, statt die Hauptstädte von Burkina Faso
und Französisch-Guyana auswendig zu lernen.
"Weshalb die Pisa-Studie nicht funktioniert", Basler Zeitung, 11.12. ohne Nennung des Autors
Was
aber wird da überhaupt verglichen? Ich behaupte mal, Äpfel mit Birnen – oder
noch schlimmer: Regenwürmer mit Giraffen, Ölsardinen mit Braunkohle. Wie um
Himmels willen sollen die Schulleistungen in der Dorfschule im appenzellischen
Trogen mit denen in den Lehmhütten der Slums von Rio de Janeiro und der
Eliteschule von Singapur verglichen werden? Wundert es tatsächlich jemanden,
dass Schweizer Schüler viel besser lesen als ihre Gschpänli in Kasachstan oder
in der Dominikanischen Republik, dass deutsche Schüler besser rechnen können
als Milan in Kosovo oder Aisha in Algerien?
Die
USA glänzen auch nicht wirklich, dümpeln etwa in Mathe weit abgeschlagen knapp
vor Kroatien und Kasachstan, im Gesamtdurchschnitt zwischen Tschechien und
Lettland. Testergebnisse eines Landes können negativ verzerrt werden, wenn in
der nationalen Pisa-Stichprobe die 15-Jährigen aus unteren sozialen Schichten,
die in der Regel schlechtere Testergebnisse liefern, überrepräsentiert sind.
Dies war der zentrale Kritikpunkt einer Studie, die zwei Wissenschaftler vom
Economic Policy Institute in Washington zu den Pisa-Ergebnissen der USA 2009
vorgelegt haben.
Und
das vor Jahren so hochgelobte Finnland? Hurra, die Schweizer haben die Streber
aus dem Norden endlich überflügelt. Nur über das Warum schweigt die
Pisa-Studie. In den 90er-Jahren durchlitt Finnland eine Wirtschaftskrise.
Viele, vor allem junge Leute waren lange arbeitslos; sie werden heute die
verlorene Generation genannt. Deren Kinder sind vor ein paar Jahren im
Pisa-Alter angekommen. Die Eltern bieten ihnen keinen Halt, keine Visionen.
Verschärfend wirkt die aktuelle Jugendarbeitslosigkeit von rund 20 Prozent. Die
Schüler haben ein Motivationsproblem – da prallt auch ein vorbildliches
Schulsystem auf neue Herausforderungen.
Nicht
zu vergessen der neidvolle Blick Richtung Ostasien, nach Tokio, Seoul und
Shanghai mit ihren jungen Pisa-Intelligenzbestien. Nur: Seit 2014 ist in Japan
Selbstmord die erste Todesursache unter Kindern im Alter zwischen 10 und 19
Jahren – Hauptursache ist der Druck in den Schulen. Oder die 15-jährige
Koreanerin, die gegenüber dem «Spiegel» gesagt hatte: «Wenn du eine Zwei
bekommst, denkst du schon ans Sterben.» Manche Schüler denken nicht nur daran:
Im vergangenen Jahr nahmen sich in Korea 265 Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren
das Leben.
Vielleicht,
weil sie den Satz des Pythagoras nicht auf Anhieb verstanden haben, den sie eh
in ihrem ganzen Leben nie mehr gebraucht hätten.
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