Er ist seit fast 40 Jahren eine feste Grösse
im Walliser Bildungswesen. Damit ist aber bald Schluss. Marcel Blumenthal (61)
tritt als stellvertretender Dienstchef des kantonalen Bildungsdepartements ab
und geht in Pension. Im Gespräch blickt er auf eine spannende und interessante,
aber auch nicht immer einfache Amtszeit zurück.
"Die Löhne der Primarlehrer müssen erhöht werden", Bild: Andrea Soltermann
"Schule darf nicht nur Experten überlassen werden", 1815.ch, 14.11. von Peter Abgottspon
Marcel Blumenthal, Ihre Amtstage sind gezählt. Sie haben in den nächsten
Tagen Ihren letzten Arbeitstag. Freuen Sie sich auf die Zeit danach?
Jawoll (voll überzeugt).
Die Antwort kam wie aus der Kanone geschossen…
Absolut. Wissen Sie, ich habe in einem sehr intensiven Arbeitsumfeld
gearbeitet. Nach meiner Tätigkeit als Sekundarlehrer war ich Schuldirektor und
Schulinspektor, wechselte dann ins Bildungsdepartement und bin dadurch seit 38
Jahren in verschiedenen Tätigkeiten im Bildungswesen tätig. Ich habe viel
erlebt und es waren spannende Jahre. Jetzt ist die Zeit gekommen, die
Verantwortung abzugeben.
Was sind Ihre Pläne für die Zeit danach?
Vorerst will ich Abstand gewinnen und in den gemütlicheren Modus
schalten. Dann werde ich Sachen nachholen, welche während vielen Jahren zu kurz
gekommen sind. Als eifriger Skifahrer werde ich vermehrt auf den Skiern
anzutreffen sein, wobei ich wohl das Oberwalliser Abo lösen werde (lacht), und
ich werde vermehrt musikalische Anlässe besuchen. Dann werde ich mich zu Hause
in Visp um unseren grossen Garten kümmern. Während meiner Amtszeit war der
Bogen permanent gespannt. Nun freue ich mich, den Bogen loszulassen.
Halten wir den Bogen zumindest während diesem Gespräch noch gespannt und
blicken zurück. Die Schule muss sich immer wieder gesellschaftlichen
Veränderungen anpassen. Was ist für Sie die grösste Veränderung in all den
Jahren?
Da hätten wir einmal die neue Schülergeneration, die «Millennials», die
von der Wiege an mit Internet, Handy und Social Media ausgerüstet sind. Das
Informationsmonopol liegt nicht mehr bei der Lehrperson, sondern jeder Schüler
hat quasi das ganze Datenpaket in seiner Hosentasche. Der gesellschaftliche
Druck auf die Schule wächst. Auch die Medien haben ihren Blick geschärft. Heute
muss die Schule viel mehr begründen und sich rechtfertigen. Früher war das
Vertrauen den Lehrpersonen und Schulen gegenüber grösser. Man ist grundsätzlich
kritischer geworden, was zwar auch positiv sein kann, aber oft wird zu viel
hinterfragt. Für jedes Kind muss immer alles perfekt sein und das ganze Umfeld
hat sich anzupassen. Die Gesellschaft bewegt sich in Richtung
Vollkasko-Mentalität.
«Die Gesellschaft geht in Richtung Vollkasko-Mentalität»
Was meinen Sie damit?
Alles muss abgesichert sein, Stichwort Datenschutz. Eine Lehrperson muss
alles belegen. Wenn sie eine Beurteilung abgibt, muss über sämtliche Schritte
detailliert Buch geführt werden. Das wiederum bringt mit sich, dass die
Lehrpersonen viel mehr Zeit für administrative Arbeiten aufwenden müssen. Zeit,
welche wiederum für die eigentliche Kernkompetenz, das Unterrichten von
Kindern, fehlt. Das Bildungsdepartement muss offensiv dafür sorgen, dass die
Einführung des Lehrplans 21 nicht zu einer «Verkompetenzung» des Unterrichts
und somit Lähmung des Unterrichts führt. Die Gestaltungsfreiheit der Lehrperson
im Unterricht muss zwingend gewährleistet sein. Zudem musste ich leider feststellen,
dass die gesellschaftliche Anerkennung des Lehrerberufes gesunken ist. Das
wiederum ist mit ein Grund für den Lehrermangel.
Darüber wollte ich gerade mit Ihnen reden. Wie sieht es aktuell damit
aus?
Auf OS-Stufe geht es gerade so auf. Auf der PS-Stufe ist der Mangel
akut. So unterrichten in gewissen Schulen PH-Studenten, worauf wir notgedrungen
zurückgreifen mussten. Damit sich die Situation nachhaltig bessert, ist die
Politik gefordert.
Konkret?
Die Löhne der Primarschullehrer müssen erhöht werden. Auch die
Lohnwarteklasse im ersten Berufsjahr muss verschwinden. Und dann muss zwingend
die gesellschaftliche Anerkennung des Lehrerberufs verbessert werden. Dafür
braucht es aber eine gezielte Strategie. Das geht nicht von heute auf morgen.
Sie mussten sich in Ihrer Amtszeit auch mit Schulschliessungen befassen.
Gehen im Oberwallis in absehbarer Zeit weitere Schulen zu?
Zuerst muss gesagt werden, dass Schulschliessungen alles andere als
populäre Entscheide sind. Es ist für jedes Dorf hart, wenn es keine Schule mehr
gibt. Der politische Rückhalt der Schule gegenüber ist aber erfreulicherweise
sehr hoch. Das heisst, dass hoffentlich in absehbarer Zeit genügend Gelder
gesprochen werden, damit wir die Schulen, so wie sie jetzt sind,
aufrechterhalten können. Doch auch dafür gibt es keine Garantie. Denn wir
müssen uns bewusst sein, dass dem Oberwallis der Nachwuchs ausgeht. Das wirkt
sich auf sämtliche Bereiche des täglichen Lebens aus. Das wird ein grosses
Problem, welchem wir uns stellen müssen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor
einigen Jahren fuhren drei volle Busse mit OS-Schülern von Visperterminen nach
Visp zur Schule. Heute fährt noch einer und ist knapp voll. Das ist die
Realität.
Ein Thema, welches auch immer wieder diskutiert wird, sind die
Schulkommissionen. Es gibt Stimmen, welche deren Abschaffung fordern, weil sie
nicht mehr notwendig seien. Was sagen Sie dazu?
Ich bin ein klarer Befürworter der Schulkommissionen. Die Schulen dürfen
nicht nur Experten, Fachleute und Technokraten überlassen werden. Es gibt
nämlich Dinge, welche einem Fachmann vielleicht gar nicht auffallen. Gerade
deshalb braucht es den Blick von aussen, den sogenannten Laienblick. Das
bedingt aber, dass man der Kommission auch gewisse Kompetenzen überlässt.
Ansonsten macht es keinen Sinn.
Was meinen Sie mit Fachleuten und Experten?
Dorf-Originale werden aussterben. Wissen Sie, jedes Kind unserer
Gesellschaft hat eine besondere Stärke in einem Gebiet, auch wenn es schulisch
grosse Schwierigkeiten hat. Dessen müssen sich unsere Lehrpersonen bewusst sein
und den Schüler von seinen Stärken überzeugen. Das bringt viel Motivation für
sein späteres Leben. Kinder werden heute früh schon erfasst. Zeigt eines
gewisse Auffälligkeiten, wird schon der Finger erhoben und die Maschinerie mit
fachlichen Anbietern wird losgetreten. Das Kind wird dann oft zur Therapie
geschickt. Es gibt zu viele Akteure, welche mit ihrem Wissen mitmischen und
helfen wollen. Damit geht eine gewisse Originalität des einzelnen Kindes
verloren, die Lehrperson wird destabilisiert und ihre Autorität untergraben.
Das ist auf die Dauer schlecht, weil die Lehrperson gleichzeitig dazu verleitet
wird, ein Problem abzuschieben, obwohl dieses allenfalls mit einfachen Mitteln
schon in der Klasse gelöst werden könnte.
Welche Stellen sollten denn abgebaut werden?
Ich passe. Namen nenne ich Ihnen keine. Den Gefallen mache ich Ihnen
nicht (lacht).
Es war zumindest einen Versuch wert. Wir wechseln das Thema. Reden wir
über Privatschulen. Solche sind mittlerweile Tatsache, weitere Standorte sind
im Aufbau oder aber werden geprüft. In welche Richtung geht die Entwicklung?
Zuerst muss gesagt werden, dass alternative Schulen ihre Berechtigung
haben. Konkurrenz belebt das Geschäft. Doch die Zahlen sprechen eine klare
Sprache. Im Oberwallis besuchen derzeit lediglich rund 70 Schüler eine
Privatschule. Das sind 0,4 Prozent. Das zeigt, dass der öffentlichen Schule im
Wallis, welche im interkantonalen Vergleich einen Spitzenplatz belegt, vertraut
wird.
Als Staatsbeamter müssen Sie ja so reden. Das ist legitim. Doch Hand
aufs Herz. Machen Sie es sich nicht etwas einfach, mit der tatsächlich tiefen
Zahl von 70 Privatschülern zu weibeln, wenngleich den Privatschulen per Gesetz
jegliche Luft und Nahrung in Form von fehlenden finanziellen Mitteln entzogen
wird?
Das ist eine politische Frage. Hierfür müsste eine Gesetzesänderung
vorgenommen werden, damit Privatschulen auch in den Genuss von öffentlichen
Geldern kommen könnten. Wir können nach heutigem Stand der Dinge Privatschulen
lediglich bewilligen, sofern diese sämtliche Auflagen erfüllen, und dem Kanton
obliegt per Gesetz die Oberaufsicht über alle Schulen im Kanton. Gelder gibt es
für Privatschulen hingegen keine. Das ist Fakt.
Ein Wort zu Ihren Chefs. Während Ihrer Amtszeit arbeiteten Sie mit
Claude Roch, Oskar Freysinger und jetzt mit Christophe Darbellay zusammen.
Welcher ist der angenehmste?
Das ist heikel (lacht). Spass beiseite. Ich hatte zu allen einen sehr
guten Draht. Claude Roch kam zwar die Sprachbarriere etwas in die Quere, aber
auch mit ihm war die Zusammenarbeit angenehm.
Zum Schluss noch ein Wort zu Ihrer Nachfolgerin Tanja Fux. Was wünschen
Sie ihr?
Viel Freude und Mut in diesem sehr dynamischen Amt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen