Ein paar
tausend Lehrstellen sind unbesetzt geblieben, das Gymnasium ist begehrt wie eh
und je, die Schulabgänger befinden sich insgesamt in einer komfortablen
Situation: All diese Befunde haben Stefan Wolter nicht überrascht, als er die Resultate
des neusten Nahtstellenbarometers studiert hat. Doch da war auch dieses Rätsel,
vor dem der Bildungsforscher stand. Und für das Professor Wolter, als Direktor des
Schweizerischen Instituts für Bildungsforschung ein renommierter Experte auf dem
Gebiet, noch keine wirkliche Erklärung gefunden hat.
Auf Umwegen in die Lehre, BZ Basel, 19.11. von Dominic Wirth
Etwas über 79000 neue
Lehrlinge, das geht aus dem Nahtstellenbarometer des Bundes hervor, haben diesen
Sommer bei einem Schweizer Unternehmen einen Lehrvertrag erhalten. Gleichzeitig
gaben nur rund 36000 Sekundarschulabgänger an, eine Lehrstelle anzutreten. Woher
kommen all die anderen, über rund 43000 Lehrlinge? Und was haben sie vor ihrem Lehrantritt
gemacht, seit sie die obligatorische Schule verlassen haben? Das ist die Frage,
die Bildungsforscher Wolter seither umtreibt. Sie hat sich zwar schon im
letzten Jahr, als das Nahtstellenbarometer zum ersten Mal in dieser Form erhoben
wurde, gestellt. Doch heuer ist die Zahl der Lehrstellen, die nicht von Schulabgängern
angetreten werden, nochmals stark angestiegen.
Die Mär vom klassischen Bildungsweg
«Wir
wussten zwar, dass bei weitem nicht jede Lehrstelle mit einem Schulabgänger
besetzt wird», sagt Wolter. Doch dass heutzutage mehr als die Hälfte der Lehrlinge
allem Anschein nach nicht den klassischen Bildungsweg–nach der obligatorischen
Schule direkt in die Berufsbildung–gewählt hat, ist für den Bildungsforscher
«eine grosse Überraschung. Dieses Phänomen ist uns bisher noch nicht so ins Auge
gestochen.» Woher kommen also die 43000 Lehrlinge? Stefan Wolter sagt, das gelte
es vertieft zu erforschen. Die eine oder andere Hypothese hat er indes. Ein
Teil hat nach dem Abschluss der obligatorischen Schule zuerst ein
Brückenangebot absolviert oder ein Zwischenjahr gemacht. 2018 entschieden sich
rund 13000 Jugendliche dafür. Andere Neo-Lehrlinge, vermutet Wolter, haben sich
zuerst am Gymnasium versucht und sind dort gescheitert. Beim Rest dürfte es
sich laut Wolter um Menschen handeln, die eine Zweitlehre antreten, weil sie den
Beruf wechseln wollen–oder die eine weitere Ausbildung machen, um auf dem Arbeitsmarkt
attraktiver zu werden.
Bald dreht die Demografie-Kurve
Insgesamt blieben diesen
Sommer rund11000 Lehrstellen unbesetzt.88 Prozent der Firmen fanden einen Lehrling,
das sind etwas mehr als im Vorjahr (86 Prozent). Insgesamt bestätigt sich auf
dem Lehrstellenmarkt ein Bild, das schon länger gilt: viele Schulabgänger bekommen
jene Lehrstelle, die sie wollen. Allerdings dürfte der Konkurrenzkampf aufgrund
der demografischen Entwicklung bald härter werden–zur Freude der Schweizer Firmen.
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