Zwischen Sommer- und Herbstferien greifen die
Medien gerne Schulthemen auf. Schliesslich beginnen die Schulen nach den
Sommerferien. In den letzten Monaten hat vor allem ein Thema dominiert: das der
benachteiligten Buben in den Primarschulen und der diskriminierten männlichen
Jugendlichen in der Oberstufe. Der Lehrplan 21 setze auf Fleiss,
Einsatzfähigkeit, Zuverlässigkeit, Lernbereitschaft und Teamfähigkeit – alles
Eigenschaften, die den Mädchen zugutekämen. In der Oberstufe würden die
mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer zu wenig beachtet und gewichtet,
was ebenfalls zulasten der männlichen Jugend ausfalle. Die Defizite werden
teilweise als so gravierend angesehen, dass vor kurzem ein Vater einen
biologischen Nachteilsausgleich für Knaben in der schulischen Ausbildung
forderte und mit diesem kuriosen Begehren auf grosse Beachtung stiess.
Überbewertete Diskriminierung der Buben in der Schule, Aargauer Zeitung, 7.10. von Esther Girsberger
Das ständige Gejammere über das diskriminierte
«starke Geschlecht» geht mir als Mutter von zwei Söhnen kräftig auf die Nerven.
Sicher, Buben werden in der Primarschule mehrheitlich durch weibliche
Lehrpersonen unterrichtet, und es wäre wünschenswert, der Beruf würde lohn- und
prestigemässig aufgewertet, sodass die nötige Durchmischung erreicht wird, die
sich im Übrigen auch in anderen Berufen bewährt. Und es mag durchaus sein, dass
mit dem Lehrplan 21 eine gewisse Verlagerung stattgefunden hat, die auf
den ersten Blick zuungunsten der Knaben ausfällt. Ebenso richtig ist, dass in
den Langzeitgymnasien die Sprachen stark gewichtet werden, zumindest in den
ersten beiden Jahren. Was bei der Profilwahl im dritten Jahr durchaus
korrigiert werden kann.
Alle diese vermeintlichen Benachteiligungen werden
jedoch masslos überbewertet und führen zu ungesunden Entwicklungen.
Lehrpersonen überreden überforderte Eltern, ihre «verhaltensauffälligen» Söhne
schulpsychologisch abklären zu lassen mit der nicht seltenen Konsequenz, dass
ihnen ohne Not Ritalin verschrieben wird. Der bekannte Kinderarzt und
Sachbuchautor Remo Largo, den wohl alle Eltern nur schon von seinem nach wie
vor lesenswerten Buch «Babyjahre» kennen, hat schon vor Jahrzehnten moniert,
dass die immer geringere Toleranz gegenüber einer Normabweichung zu
hanebüchenen Resultaten führe. Die ständige Thematisierung der diskriminierten
männlichen Jugendlichen in der Oberstufe schliesslich verleitet die Jungs,
solches Gerede zu verinnerlichen und bei schlechten Noten achselzuckend zu
sagen, sie seien halt schulisch benachteiligt.
Viele der vermeintlichen Nachteile lassen sich
ausserschulisch ausgleichen: Jungs können zum Beispiel im Sport nicht nur ihren
Bewegungsdrang ausleben, sie lernen dort auch Fleiss, Einsatzfähigkeit,
Zuverlässigkeit und Teamfähigkeit. Was von den Eltern allerdings verlangt, dass
sie sich nicht auf die schulischen Defizite stürzen. Und die oft beklagte
Sprachlastigkeit – wird sie nicht durch die Profilwahl korrigiert – kann auch
nicht so schlimm sein, wenn man sich im späteren Berufsleben umsieht: Die
Jugendarbeitslosigkeit bewegt sich in der Schweiz im internationalen Vergleich
nach wie vor auf sehr tiefem Niveau. Zwar ist die Arbeitslosenquote bei den
Männern mit 2,9 Prozent höher als bei den Frauen (2,4 Prozent). Was aber nicht
in erster Linie mit mangelnder Zuverlässigkeit oder mangelndem Fleiss zu tun
hat, sondern viel eher damit, dass der männlich dominierte Industriesektor
unter Druck gerät.
Natürlich ist es unabdingbar, dass wir die Schule
regelmässig thematisieren. Als rohstoffarmes Land mit der Bildung als
wichtigster Ressource ist es wichtig und richtig, dass wir uns ständig darüber
Gedanken machen. Aber bitte mit der richtigen Gewichtung. Statt dass wir uns
auf die vermeintlich diskriminierten Buben konzentrieren, dürfen wir uns daran
erinnern, wie erfolgreich unsere Schulen sind: Unzählige Länder versuchen,
unser duales Bildungssystem zu übernehmen, die ETH Zürich figuriert im Ranking
der besten Hochschulen weltweit als einzige staatliche Schule unter den ersten
zehn.
Mir scheint, dass sich in der Schweiz ausgebildete
Männer grundsätzlich gut im Berufsleben behaupten – auch die jüngeren.
Seltsam: Wenn es um "Gleichstellung" zwischen Mann und Frau geht, ist Frau Girsberger immer dabei.
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