Katja
Danuser unterrichtet Englisch in einer fünften Primarklasse im
deutschsprachigen Teil des Kantons Graubünden. In den ersten Wochen des
Schuljahrs behandelt sie mit den Kindern das Thema Farben/colours. Die Kinder
lernen seit der dritten Klasse Italienisch. Da sich Frau Danuser regelmässig
mit dem Italienischlehrer ihrer Klasse abspricht, weiss sie, dass die Kinder in
der dritten Klasse im Fach Italienisch die Farben/ i colori gelernt haben.
Eine Sonderprofessur für den Sprachunterricht von morgen, Südostschweiz, 24.10. von Vincenzo Todisco und Lydia Bauer
Die
Sprachdetektive ordnen Farben
Ein Grundpfeiler der Didaktik der
Mehrsprachigkeit ist, dass Sprachen nicht mehr voneinander getrennt gelernt,
sondern miteinander verknüpft werden. Lernende aktivieren ihr Vorwissen beim
Sprachenlernen. Das setzt voraus, dass sich Lehrpersonen absprechen und dass
Lehrmittel und Unterrichtsmaterialien aufeinander abgestimmt sind. Frau Danuser
knüpft ans Vorwissen der Kinder an. Sprachvergleiche verbunden mit entdeckendem
Lernen eignen sich besonders gut dafür.
Katja Danuser bittet die Kinder, sich
die Farben auf Italienisch in Erinnerung zu rufen: rosso, giallo, verde,
bianco, nero, blu … Sie weist darauf hin, dass the colours sehr ähnlich klingt
wie i colori. Ob auch die Wörter für die Farben auf Englisch und Italienisch
ähnlich aussehen? Frau Danuser sagt den Kindern, sie seien nun Sprachdedektive
und lässt sie der Frage nachgehen, ob es Ähnlich keiten zwischen der
Bezeichnung der Farben in den beiden Sprachen gibt: red, yellow, green, white,
black, blue … Die Kinder stellen fest, dass es Farben gibt, die sehr ähnlich
geschrieben und gesprochen werden, z. B. blu – blue, andere wie giallo – yellow
eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen und wieder andere, wie nero – black, sich
überhaupt nicht ähneln. Dafür merken die Kinder, dass im Deutschen einige
Farben sehr oder ziemlich ähnlich wie im Englischen sind: red – rot, green –
grün, white – weiss, blue – blau. Die Kinder erstellen eine Tabelle und ordnen
die Farben in den drei Sprachen Englisch, Deutsch und Italienisch nach ihrer
Ähnlichkeit.
Veränderungen als Chancen
Globalisierung, Digitalisierung,
Mobilität und Migrationsbewegungen haben in den letzten Jahrzehnten die
gesellschaftlichen Strukturen und die Sprachlandschaft in der Schweiz
grundlegend verändert. Von einem viersprachigen ist die Schweiz zu einem
vielsprachigen Land geworden. Sprachliche und kulturelle Heterogenität haben
auch in den Schulstuben Einzug gehalten. Gerade in der Schule bedeuten die
neuen Entwicklungen in vielerlei Hinsicht eine Chance, sie sind aber auch mit
grossen Herausforderungen verbunden. Frau Danuser nutzt geschickt dieses
mehrsprachige Potenzial in ihrer Klasse.
Sprachenaustausch zwischen Kindern
In
der Klasse gibt es Kinder mit anderen Herkunftssprachen als das Schweizerdeutsch.
Sie berichten einander, wie die Farben in ihren Sprachen heissen. Auf Spanisch
sagt man für rot rojo – und man spricht rojo anders aus, als es geschrieben
wird. Auf Albanisch sagt man für grün gjelbër. «Das hört sich eher wie gelb
an», meint ein Kind. Dafür sagt man auf Portugiesisch branco für weiss, also
ähnlich wie bianco auf Italienisch. Aber auf Portugiesisch kann man für weiss
auch alvo sagen. Die Kinder vervollständigen die Tabelle mit den Farben der
anderen Sprachen und unterhalten sich über Ähnlichkeiten und Unterschiede
zwischen den einzelnen Sprachen. Ganz nebenbei und ohne es zu merken haben sie
dabei die Vokabeln für die englischen Farben gelernt.
Spielerisch Sprachen
lernen
Beim frühen Fremdsprachenlernen stehen Grammatik und Ortho grafie nicht
an erster Stelle. Wichtig ist, dass die Kinder die Gelegenheit haben, die
Fremdsprache möglichst häufig und in lebensnahen Situationen zu gebrauchen.
Entscheidend sind die Kommunikation und ein angstfreier Umgang mit der zu
lernenden Sprache. Kinder sind aber sehr wohl dazu bereit, sich auf
spielerische und entdeckende Weise mit grammatikalischen Fragen
auseinanderzusetzen.
Die Kinder in der Klasse von Frau Danuser üben die Farben,
indem sie Spiele machen, Sätze bilden, Geschichten lesen und erzählen, Übungen
im Buch lösen. Dabei achtet die Lehrerin darauf, dass die Schülerinnen und
Schüler bei allen Aktivitäten die Gelegenheit haben, häufig zu sprechen und
miteinander zu interagieren. Natürlich machen die Kinder dabei auch Fehler, die
Sätze sind grammatikalisch nicht immer korrekt, aber die Lehrerin ist
zurückhaltend mit Korrigieren, die Kinder sollen vorerst ihre Sätze bilden und
sollen sich nicht gehemmt fühlen.
Da sie schon beim Sätzebilden sind, weist die
Lehrerin darauf hin, dass im Italienischen mit den Farben in den Sätzen je
nachdem etwas geschieht, il cane è nero, aber i cani sono neri, la banana è
gialla und le banane sono gialle. Und wie steht es
damit im Englischen? The dog is black, the dogs are black, the banana is
yellow, the bananas are yellow. Da gibt es keine Veränderung. Und warum sagt
man im Italienischen il cielo è blu und i cieli sono blu? Die Kinder übernehmen
wieder die Rolle der Sprachdedektive und machen sich Überlegungen im Bereich
der Wortbildung und der Angleichung der Wörter.
Aus diesem Beispiel wird klar,
weshalb die Mehrsprachigkeitsdidaktik als «die Wissenschaft und Lehre vom
kombinierten und koordinierten Unterrichten und Lernen mehrerer Fremdsprachen
innerhalb und ausserhalb der Schule» bezeichnet wird. In diesem Sinn sieht auch
der Lehrplan 21 vor, dass in der Volksschule durchaus immersive
Unterrichtssequenzen eingebaut werden können. Im Fachjargon der
Sprachdidaktikerinnen nennt sich diese Vorgehensweise bilingualer
Sachfachunterricht und bedeutet, dass die entsprechende Fremdsprache auch in
anderen Fächern eingesetzt wird.
Potenziale besser nutzen
In der Schule, an der
Katja Danuser unterrichtet, ist es gang und gäbe, dass die Fremdsprachen, in
diesem Fall Englisch, punktuell auch in anderen Fächern zum Zuge kommen. Die Lehrerin
nutzt die Gelegenheit und gestaltet eine Lektion Zeichnen in Englisch, bei der
es um das Mischen der Farben geht. Die Kinder beschränken sich natürlich nicht
darauf, die einzelnen Farben nochmals auf Englisch zu benennen, sondern die
Lehrerin hat die Lektion so vorbereitet, dass ganze Sätze möglichst korrekt auf
Englisch gesprochen werden müssen. Dasselbe macht sie auch im Turnen. Sie
organisiert ein Farbenfangis, bei dem sich die Kinder bewegen, die Farben und
Gegenstände auf Englisch benennen und Sätze wie «Jetzt bist du dran», «du bist
gefangen», «das gilt nicht», «das Spiel ist zu Ende» usw. auf Englisch
sprechen.
Mit Ausnahme der zweisprachigen Schulen fehlen im Moment in
Graubünden einschlägig erprobte Modelle und Konzepte für die Umsetzung der IMD,
aber vor allem wird Mehrsprachigkeit oft immer noch als Hindernis gesehen, das
dem Ideal des monolingualen Sprechers entgegensteht. Die Notwendigkeit und der
Sinn, potenzielle schulische und ausserschulische Mehrsprachigkeit positiv zu
nutzen und im Unterricht einzubinden, muss noch den Sprung von der Forschung in
das Klassenzimmer schaffen. Erst dann kann IMD zum Regelfall an Schulen und
Hochschulen werden – damit die Lernenden bei ihrem Spracherwerb profitieren
können.
Vincenzo Todisco ist Leiter der Sonderprofessur IMD Italienisch an der
Pädagogischen Hochschule Graubünden, Lydia Bauer ist Assistentin der
Hochschulleitung.
Dieser Text spiegelt vorzüglich die Mängel der heutigen Lehrerausbildung in den Fremdsprachen. Naivität und Ignoranz treffen sich hier und erzeugen zusammen jene Art von Arroganz, die zum Markenzeichen unserer Pädagogischen Hochschulen geworden ist.
AntwortenLöschenDas muntere Sprachvergleichen mit allen möglichen Migrantensprachen mag lustig sein, und solche Wortverwandtschaften können im Einzelfall auch helfen, aber neu ist dies ja nicht. Zusätzlich verleiten solch simple Vergleiche oft zu völlig falschen Schlussfolgerungen. Das ist ein Hauptgrund, weshalb sich die Mehrsprachigkeitsdidaktik im Unterricht nicht durchsetzen kann.
Gemäss den Autoren soll die Lehrerin zurückhaltend mit Korrigieren sein. Viel wichtiger als sprachliche Korrektheit sei das spielerische Element. Fremdsprachenlernen solle Spass machen, wird da suggeriert. Nur lernt man Sprachen leider nicht ohne Mühe und grossen Aufwand. Und die Fehler, die sich früh eingeschliffen haben, bringt man später kaum mehr weg. Das gilt auch für den Deutschunterricht, wo nun immerhin schon einige Kantone reagieren und die Methode «Schreiben nach Gehör» verbieten. Wir wissen mittlerweile dank umfangreichen Untersuchungen, dass das Konzept des spielerischen Sprachenlernens in der Schweiz krachend gescheitert ist.
Schliesslich noch zur Verwendung der Fremdsprache in anderen Fächern. Auch diese Idee ist alles andere als neu. Damit will man die fehlende Unterrichtszeit in den Fremdsprachen in anderen Fächern kompensieren. Doch das Ganze hat einen Haken: Wenn man in der Primarschule gleich zwei Fremdsprachen und dazu Hochdeutsch und eventuell noch Rumantsch Grischun lernen muss, wird der Spielraum für die ohnehin fehlende Zeit durch die Vielzahl der zu fördernden Sprachen noch enger. Dazu kommt, dass Primarlehrer, welche fliessend englisch und italienisch sprechen, kaum zu finden sind.
Was uns hier als Sprachunterricht der Zukunft vorgegaukelt wird, ist in Wirklichkeit bloss ein Sammelsurium von in der Praxis gescheiterten Konzepten.