17. September 2019

Jugendliche wollen sich die Hände nicht mehr schmutzig machen


In der Schweiz scheint es für viele Jugendliche keinen anderen Ausbildungsweg mehr zu geben als das Gymnasium. Der Bund lässt jedes Jahr im Frühjahr Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren zu ihren unmittelbaren Zukunftsplänen interviewen und fasst die Resultate im sogenannten Nahtstellenbarometer zusammen. Bei der jüngsten Erhebung im vergangenen April gaben mit 48 Prozent weniger als die Hälfte der Befragten an, sich für eine Berufslehre zu interessieren. 37 Prozent dagegen erwähnten, sie planten eine Maturitätsschule oder vergleichbare Ausbildungsstätte zu besuchen. Von den befragten Mädchen sprachen sich sogar nur noch 41 Prozent für eine Lehre aus, während es bei den Knaben immerhin noch 55 Prozent waren.
Verkannter Wert der Berufslehre: Es muss nicht immer das Gymnasium sein, NZZ, 17.9. von Dominik Feldges


In einem Land, in dem der duale Berufsweg traditionell einen hohen Stellenwert geniesst, muss diese Entwicklung sorgenvoll stimmen. Kein Wunder, beklagen sich denn auch Unternehmen landauf, landab darüber, zu wenig Nachwuchs für viele ihrer Lehrstellen zu finden. Angespannt ist die Situation besonders bei Berufen, die im Ruf stehen, dass man sich bei ihrer Ausübung die Hände schmutzig macht. Bei Dachdeckern, Gipsern, Sanitären oder Heizungsmonteuren fehlt es allerorten zunehmend an Nachwuchs. Verstärkt einen schweren Stand haben auch Branchen wie das Gastgewerbe oder der Detailhandel, die wegen unregelmässiger Arbeitszeiten (Abend- und Wochenendarbeit) gemieden werden.

Im vergangenen August waren trotz dem Beginn des neuen Schuljahrs in der gesamten Schweiz noch rund 8500 Lehrstellen unbesetzt; viele von ihnen in den erwähnten – als problematisch aufgefassten – Berufen. Einen Ansturm erleben dagegen die Mittelschulen, wie beispielsweise im Kanton Zürich die Jahr für Jahr steigenden Teilnehmerzahlen beim Zulassungstest (Gymiprüfung) zeigen. Als Erklärung dafür erwähnen Führungsverantwortliche vor allem von Handwerksbetrieben und Industrieunternehmen oft schulterzuckend, dass es vielen Eltern am Verständnis für den Wert des dualen Berufsbildungsweges fehle. Besonders ausgeprägt sei dies bei Zuwanderern aus dem Ausland der Fall, für die oft nur der Besuch einer Universität zähle.

Tatsächlich ist selbst in den Nachbarstaaten Frankreich und Italien das Konzept der Berufslehre nach Schweizer Machart so gut wie unbekannt. Grosse Teile eines Jahrgangs drücken in diesen Ländern ebenso wie in Teilen Deutschlands zwölf oder sogar dreizehn Jahre lang die Schulbank, um danach – an einer Hochschule – gleich weiter Theorie zu büffeln. Wenn Firmen jedoch ihr Unvermögen, genügend Lehrlinge zu finden, lediglich mit der Attraktivität des gymnasialen Wegs begründen, machen sie es sich zu einfach. Es wäre an der Zeit, die Vorteile der dualen Berufsbildung besser hervorzuheben. Wo sonst als in einer Lehre sammelt man schon als 16-Jähriger erste Erfahrungen im Wirtschaftsleben und hat mit 18 oder 19 einen Abschluss in der Tasche, der einen zur Teilnahme an zahlreichen weitergehenden Ausbildungslehrgängen befähigt?

Hinzu kommt, dass Handwerker und die Absolventen vieler technischer Berufslehren wie Automatiker oder Polymechaniker so gefragt sind wie schon lange nicht mehr. Sie gelten zunehmend als Gewinner der Digitalisierung, weil ihre Tätigkeiten durch elektronische Hilfsmittel aufgewertet statt verdrängt werden. Längst nicht alle der heutigen Hochschulabgänger werden dies von sich behaupten können.


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