In der Schweiz scheint es für viele Jugendliche keinen anderen
Ausbildungsweg mehr zu geben als das Gymnasium. Der Bund lässt jedes Jahr im
Frühjahr Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren zu ihren unmittelbaren
Zukunftsplänen interviewen und fasst die Resultate im sogenannten
Nahtstellenbarometer zusammen. Bei der jüngsten Erhebung im vergangenen
April gaben mit 48 Prozent weniger als die Hälfte der Befragten
an, sich für eine Berufslehre zu interessieren. 37 Prozent dagegen erwähnten,
sie planten eine Maturitätsschule oder vergleichbare Ausbildungsstätte zu
besuchen. Von den befragten Mädchen sprachen sich sogar nur noch 41 Prozent für
eine Lehre aus, während es bei den Knaben immerhin noch 55 Prozent waren.
Verkannter Wert der Berufslehre: Es muss nicht immer das Gymnasium sein, NZZ, 17.9. von Dominik Feldges
In einem Land, in dem der duale Berufsweg traditionell einen hohen
Stellenwert geniesst, muss diese Entwicklung sorgenvoll stimmen. Kein Wunder,
beklagen sich denn auch Unternehmen landauf, landab darüber, zu wenig Nachwuchs
für viele ihrer Lehrstellen zu finden. Angespannt ist die Situation besonders
bei Berufen, die im Ruf stehen, dass man sich bei ihrer Ausübung die Hände
schmutzig macht. Bei Dachdeckern, Gipsern, Sanitären oder Heizungsmonteuren
fehlt es allerorten zunehmend an Nachwuchs. Verstärkt einen schweren Stand
haben auch Branchen wie das Gastgewerbe oder der Detailhandel, die wegen
unregelmässiger Arbeitszeiten (Abend- und Wochenendarbeit) gemieden werden.
Im vergangenen August waren trotz dem Beginn des neuen Schuljahrs in der
gesamten Schweiz noch rund 8500 Lehrstellen unbesetzt; viele von ihnen in den
erwähnten – als problematisch aufgefassten – Berufen. Einen Ansturm erleben
dagegen die Mittelschulen, wie beispielsweise im Kanton Zürich die Jahr für
Jahr steigenden Teilnehmerzahlen beim Zulassungstest (Gymiprüfung) zeigen. Als
Erklärung dafür erwähnen Führungsverantwortliche vor allem von
Handwerksbetrieben und Industrieunternehmen oft schulterzuckend, dass es vielen
Eltern am Verständnis für den Wert des dualen Berufsbildungsweges fehle. Besonders
ausgeprägt sei dies bei Zuwanderern aus dem Ausland der Fall, für die oft nur
der Besuch einer Universität zähle.
Tatsächlich ist selbst in den Nachbarstaaten Frankreich und Italien das
Konzept der Berufslehre nach Schweizer Machart so gut wie unbekannt. Grosse
Teile eines Jahrgangs drücken in diesen Ländern ebenso wie in Teilen
Deutschlands zwölf oder sogar dreizehn Jahre lang die Schulbank, um danach – an
einer Hochschule – gleich weiter Theorie zu büffeln. Wenn Firmen jedoch ihr
Unvermögen, genügend Lehrlinge zu finden, lediglich mit der Attraktivität des
gymnasialen Wegs begründen, machen sie es sich zu einfach. Es wäre an der Zeit,
die Vorteile der dualen Berufsbildung besser hervorzuheben. Wo sonst als in
einer Lehre sammelt man schon als 16-Jähriger erste Erfahrungen im
Wirtschaftsleben und hat mit 18 oder 19 einen Abschluss in der Tasche, der
einen zur Teilnahme an zahlreichen weitergehenden Ausbildungslehrgängen
befähigt?
Hinzu kommt, dass Handwerker und die Absolventen vieler technischer
Berufslehren wie Automatiker oder Polymechaniker so gefragt sind wie schon
lange nicht mehr. Sie gelten zunehmend als Gewinner der Digitalisierung, weil
ihre Tätigkeiten durch elektronische Hilfsmittel aufgewertet statt verdrängt
werden. Längst nicht alle der heutigen Hochschulabgänger werden dies von sich
behaupten können.
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