In den Bündner Asylzentren gibt es spezielle
Schulen nur für Kinder von Asylbewerbern. Wie das «Regionaljournal Graubünden»
berichtete, besuchen sie diese teilweise jahrelang. Dies kritisieren
Bildungsexperten und Politiker.
Brisant in diesem Zusammenhang sind zwei
Bundesgerichtsentscheide zu zwei jugendlichen Asylbewerbern im Kanton Zug. Das
Bundesgericht hielt im Mai fest: «Asylbewerber sind grundsätzlich in die
Regelschule zu integrieren». Dies erleichtere den Kontakt zu anderen
Gleichaltrigen, «was einer gesellschaftlichen Eingliederung zuträglich ist».
Eine spezielle Schule sei zwar sinnvoll, um Sprachkenntnisse zu vermitteln,
müsse aber «so rasch wie möglich durch die Beschulung in der Regelschule
abgelöst werden».
In Graubünden besuchen aktuell rund 80 Kinder und
Jugendliche eine interne Schule in einem Asylzentrum, davon mehr als die Hälfte
länger als zwei Jahre. Haben die Bundesgerichtsurteile Auswirkungen auf
Graubünden und wieso stellt sich das höchste Gericht auf diesen Standpunkt?
Dazu die Einschätzungen von Johannes Reich, Rechtsprofessor an der Universität
Zürich.
Kinder von Asylbewerbern haben ein Recht auf Volksschule, SRF Regional, 20.9. von Stefanie Hablützel
SRF: Das Bundesgerichtsurteil sagt, dass die
geflüchteten Kinder und Jugendliche grundsätzlich in einer normalen Volksschule
zu integrieren sind. Wie ist dieses Urteil zu verstehen?
Johannes Reich: Die Bundesverfassung ist da klar.
Jedes Kind hat Anrecht auf einen Schulunterricht, der ihn vorbereitet auf ein
selbstverantwortliches Leben im modernen Alltag. Dazu gehört, dass der
Unterricht eine gewisse thematische Breite hat – und dass ein Kind auch lernt,
sich in einen Klassenverband zu integrieren, der unterschiedlich
zusammengesetzt ist.
Laut dem gleichen Urteil können Kinder und
Jugendliche vorübergehend auch separat beschult werden. Also genau das, was in
Graubünden passiert. Wie lange bedeutet vorübergehend?
Das kann man so ganz absolut nicht sagen. Wichtig
ist, dass der Grundschulunterricht chancengleich erteilt werden muss. Alle
müssen die gleichen Möglichkeiten haben. Wenn gewisse Kinder dauernd eine
separate Klasse besuchen müssen, dann besteht das Risiko, dass sie sich nicht
in der gleichen Art auf einen modernen Alltag vorbereiteten können – weil ihr
Umfeld dort nur ganz spezifische Erfahrungen gemacht hat. Chancengleiche
Ausbildung auf Stufe Grundschulunterricht, genau dieses Recht verschafft die
Bundesverfassung jedem Kind.
In Graubünden gilt die Praxis, dass Kinder und
Jugendliche mit einem negativen Asylbescheid grundsätzlich nicht in die
Volksschule eingeschult werden. Ist das noch haltbar?
Die Bundesverfassung ist klar. Jedes Kind hat
Anrecht auf einen unentgeltlichen und ausreichenden Grundschulunterricht – und
zwar unabhängig vom ausländerrechtlichen Status. Diesen Unterschied zu machen,
ist aus meiner Sicht nicht zulässig.
In Graubünden gibt es Kinder, die länger als zwei
Jahre die interne Schule im Asylzentrum besuchen, deren Unterricht sich von der
Volksschule unterscheidet. Müsste man hier nach diesem Bundesgerichtsentscheid
über die Bücher?
Hier gibt es zwei Aspekte. Einerseits der eingeschränkte
Unterrichtsinhalt, was ein Problem im Hinblick auf die Chancengleichheit ist.
Andererseits die zeitliche Dauer. Hier kann es sein, dass man eine gewisse
Eingewöhnung braucht und dass die Sprache erlernt werden muss. Da kann man
wahrscheinlich einen gewissen Schematismus akzeptieren – beispielsweise, dass
ein Jahr nötig ist. Darüber hinaus braucht es aber, ganz spezifische Gründe.
Über ein Jahr zu gehen, wird in aller Regel nicht zulässig sein.
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