11. August 2019

Immer mehr "Assistenzlehrer"


Im aktuellen Bildungsbericht sind sie nicht vermerkt. Auch die Konferenz der Erziehungsdirektoren oder der Lehrerverband wissen nicht, wie viele es sind. Es heisst einzig, ihre Zahl nehme stetig zu: An Schulen in der ganzen Schweiz arbeitet immer öfter freiwilliges oder bezahltes Assistenzpersonal. Es sind keine Spezialisten wie Heilpädagogen, sondern Senioren, Eltern oder Zivildienstleistende, welche die Lehrer im Klassenzimmer unterstützen sollen. 
Lehrer, die keine sind, erobern die Klassenzimmer, Schweiz am Wochenende, 10.8. von Yannick Nock


Beat Schwendimann, Bildungsexperte des Schweizer Lehrerverbands, gibt eine Grössenordnung. «Aus Rückmeldungen wissen wir, dass viele Schulen Assistenzpersonen beschäftigen», sagt er. «Es dürfte sich daher schweizweit um mehrere Tausend Personen handeln.» Und die Zahl steigt von Jahr zu Jahr, wie eine Umfrage unter einigen Städten zeigt. In Zürich waren es 2015 bloss zwei Personen, 2018 bereits 336. In St. Gallen sind mittlerweile jährlich knapp 60 Senioren, 10 Praktikanten und 10 Zivildienstleistende tätig, in Basel sind es gar 65 Zivis und 110 Praktikanten. Auch die Kantone Luzern (115 Vollzeitstellen), Aargau (130 Vollzeitstellen) und Bern (730 Personen) beschäftigen zahlreiche Klassenassistenten. In Graubünden hingegen gibt es laut Kanton keine. 

Die Mondlandung nicht richtig wiedergegeben 
Die Helfer kommen auf den tiefen Stufen zum Einsatz. In Bern sind sie nur im Kindergarten tätig. Meistens handelt es sich um ein befristetes Engagement. Es geht darum, die Kindergarten- und Primarlehrer zu entlasten, sie auf Ausflügen zu begleiten und im kleinen Kreis den Stoff nochmals zu erklären, wenn Kinder nicht alles verstanden haben. Meistens handelt es sich bei den Assistenten um engagierte Personen mit einem Flair für den Unterricht. Eine spezielle Ausbildung haben nur die wenigsten absolviert. Mittlerweile bieten einige Pädagogische Hochschulen allerdings solche Kurse an. 

Laut Schulleitern sind die meisten Assistenten sehr hilfreich im Klassenzimmer. Allerdings gibt es auch negative Rückmeldungen. So berichten Eltern, dass ihren Kindern Unsinn in der Schule erzählt wurde. Beispielsweise hatte kürzlich ein Senior im Kanton Aargau einige Begebenheiten zum 50 Jahrestag der ersten Mondlandung verwechselt. 

Der Lehrerverband forderte bereits 2017 verbindliche kantonale Konzepte für Assistenzpersonal. Zudem brauche es mehr Angebote für Weiterbildungen. Viel ist seitdem allerdings nicht passiert. Es würden nach wie vor klare Regelungen der Qualifikation, der Tätigkeitsbereiche und der Anstellungsbedingungen fehlen, sagt Schwendimann. Gemäss Verband wurden zuletzt auch Assistenten aus Spargründen angestellt. Solche Notmassnahmen dürften allerdings nicht sein. 

Dass Schulen vermehrt auf Assistenten zurückgreifen, hat mehrere Gründe: Durch die steigenden Schülerzahlen und den akuten Lehrermangel werden die Klassen tendenziell grösser. Und in der integrativen Förderung, die auf Sonderklassen verzichtet, gibt es zudem öfter Buben und Mädchen im Unterricht, die spezielle Hilfe benötigen. 

Profitieren können Kinder mit Migrationshintergrund 
Welchen pädagogischen Wert die Hilfslehrer haben, ist dennoch umstritten. In der Schweiz gibt es keine Untersuchung dazu – im Ausland allerdings schon. Italienische Schulen kamen zum Schluss, dass Klassen mit Assistenzpersonal nicht besser abschneiden, als jene ohne. Das liegt aber nicht an der Hilfskraft, sondern weil der eigentliche Lehrer dann weniger Zeit in die Buben und Mädchen investierte. 

Anders sieht es in Österreich aus. Dort zogen die Schulen ein positives Fazit. Vor allem Kinder mit Migrationshintergrund würden davon profitieren. In Wien schnitten beispielsweise türkischstämmige Kinder mit Assistenten deutlich besser ab. Der Hilfslehrer hatte ebenfalls türkische Wurzeln. 

«In solchen Fällen können die Assistenten sehr nützlich sein», sagt Stefan Wolter, Bildungsökonom und Verfasser des Schweizer Bildungsberichts. «Die Schüler wüssten, wenn sie sich nicht anstrengen, kommt jemand zu ihnen nach Hause, vor dem die Eltern auch Respekt haben.» Zudem hätten die Assistenten manchmal einfach einen besseren Zugang zu den Jugendlichen als der Klassenlehrer.

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