Auch in Zürich haben über
3200 Primarschülerinnen und Sekundarschüler am Computerbildschirm
Multiple-Choice-Antworten zu kurzen Texten angeklickt oder mathematische
Ergebnisse eingetippt. Die gute Nachricht: Ihre durchschnittlichen Ergebnisse
unterscheiden sich in keinem Fach signifikant vom Schweizer Durchschnitt. Sie
liegen demnach bezüglich ihrer Grundkompetenzen in Mathematik und Sprachen im
Mittelfeld. Die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner (cvp.) – die als
Präsidentin der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) am
Freitagmorgen noch zu den nationalen Ergebnissen in Bern referierte – sprach
denn nachmittags in Zürich auch von einem guten Ergebnis.
Nationaler Schulvergleich: Zürich liegt im Mittelfeld und rätselt über gewisse Besonderheiten, NZZ, 24.5. von Lena Schenkel
«Kopfzerbrechen»
bereiteten ihr national wie kantonal die Ergebnisse im Fach Mathematik, über
die sie zunächst «erschrocken» sei. Vor allem, weil man in der früheren
internationalen Pisa-Studie im Fach Mathematik zu den Spitzenreitern gehöre.
Zürich weicht dort auch im Schlechten kaum vom Schweizer Durchschnitt ab: Bloss
59 Prozent verfügen nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit über die
geforderten Grundkompetenzen, sogar leicht weniger als die schweizweiten 62.
Ausserdem unterscheiden sich die Zürcher Werte beträchtlich nach Schultyp.
Während an den Gymnasien 99 Prozent die in Mathematik geforderten nationalen
Bildungsziele erreichen, sind es an den C-Abteilungen der Sekundarschule
lediglich 4 Prozent. Auch auf der nächsthöheren Anforderungsstufe, der
Abteilung B, verfügt nicht einmal ein Viertel (23%) über die nach
Abschluss der Sekundarstufe geforderten Grundkompetenzen.
Schwierige Vergleichbarkeit
Das liege aber auch an der
sehr kleinen Gruppe von Sek-C-Schülerinnen, die im Gegensatz zu der viel
grösseren Gruppe von Gymnasiasten erhoben wurden, sagte die stellvertretende
Chefin Bildungsplanung Sybille Bayard beschwichtigend vor den Medien und
brachte damit gewisse Vorbehalte ein. Auch die Bildungsdirektorin sah deswegen
das Schulsystem der Sekundarstufe noch nicht infrage gestellt. «Ein
Sek-C-Schüler muss naturgemäss schlechter abschneiden als eine Gymnasiastin»,
sagte sie. Das schliesse überdies nicht aus, dass manche nach der
obligatorischen Schulzeit noch aufholten, sagte Steiner und verwies auf das
durchlässige Schweizer Bildungssystem. «Wir können nicht den Anspruch haben,
dass alle zum gleichen Zeitpunkt gleich weit sind», stellte sie klar.
Silvia Steiner zeigte sich
auch sehr zurückhaltend in Bezug auf zu ergreifende Massnahmen. Vieles sei
schon auf den Weg gebracht, aber in den Erhebungen von 2016 und 2017 noch nicht
abgebildet. So ist etwa der harmonisierte Lehrplan in Zürich erst im letzten
Jahr eingeführt worden. Verbesserungen verspricht sich der Kanton auch vom
Pilotprojekt Alle, kurz für aktive Lernzeit und Lernerfolg. Es ist mit einer
Weiterbildung für das Lehrpersonal und Klassenassistenzen darauf ausgelegt, die
Leistungsschwachen in den Fächern Deutsch und Mathematik zu fördern, ohne die
Leistungsstarken zu vernachlässigen. Zudem will der Kanton die frühe Förderung
stärken, um die Startvoraussetzungen beim Kindergarteneintritt für
benachteiligte Kinder zu verbessern.
Ausländeranteil irrelevant
Im schweizerischen Mittel
verfügten 30,6 Prozent der getesteten Schüler über einen Migrationshintergrund,
in Zürich 39 Prozent der geprüften Primar- und 34 Prozent der
Sekundarschülerinnen. Die Vermutung, dass Zürich deswegen je nach Blickwinkel
«nur» oder «trotzdem» im nationalen Mittelfeld liegt, lässt sich dagegen nicht
bestätigen. Die jeweilige Schülerzusammensetzung vermöge die Unterschiede
zwischen den Kantonen kaum zu erklären, hält die EDK fest (vgl. Haupttext). Zudem
sind in Zürich in den letzten Jahren im Gegensatz zu anderen Kantonen viele
Hochqualifizierte eingewandert. So erklärt sich, dass die Schüler mit
Migrationshintergrund der ersten Generation bei den Mathematikaufgaben in
Zürich erstaunlicherweise sogar besser abschnitten als jene der zweiten. Das
Beispiel zeigt, wie schnell man sowohl in der innerkantonalen als auch der
interkantonalen Gegenüberstellung Äpfel mit Birnen vergleicht.
Der wissenschaftliche
Bericht legt aber dar, inwiefern die individuellen Merkmale der Schülerinnen
und Schüler ihre Ergebnisse beeinflussen. Erhoben wurden die soziale Herkunft,
der Migrationsstatus, die zu Hause gesprochene Sprache und das Geschlecht.
Wenig erstaunlich erwies sich dabei die soziale Herkunft als Merkmal mit dem
stärksten Einfluss. Erstaunlich ist allerdings, dass die Merkmale nicht überall
gleich wirken. So war das Merkmal soziale Herkunft auffallend häufig «nur im
Kanton Zürich statistisch signifikant», namentlich beim Lesen und bei der
Orthographie der Schulsprache sowie dem Hörverstehen der ersten Fremdsprache,
also Englisch.
Faktor urbanes Umfeld
Hat Zürich demnach ein
grösseres Problem mit der Bildungsgerechtigkeit als bisher angenommen? Silvia
Steiner warnt vor voreiligen Schlüssen: Dieser Effekt spiele in Zürich zwar
offenbar stärker, aber noch sei völlig unklar, warum. «Wir müssen das sehr
genau anschauen», sagte sie am Rande des Medienanlasses. Solche Faktoren
dürften nie isoliert betrachtet werden, sondern spielten immer mit anderen
zusammen. Denkbar sei sogar, dass die soziale Herkunft in einem städtischen
Kanton stärker ins Gewicht falle als in einem ländlichen. Das seien jedoch
bloss unqualifizierte Mutmassungen: «Das sind Fragen, die wir nun an die
Wissenschaft stellen werden.»
Fragezeichen hat die Bildungsdirektion
auch bei der statistischen Anlage der Erhebung, denn, anders als etwa im
kleinen Appenzell Innerrhoden, wurde in Zürich nicht die gesamte Schülerschaft,
sondern nur eine repräsentative Zahl geprüft. Der Kanton will die Zürcher
Ergebnisse deshalb vertiefter analysieren und verifizieren. Er will sie etwa
mit anderen Erhebungen wie den Pisa-Studien und eigenen Studien abgleichen, um
aussagekräftigere Schlüsse ziehen zu können.
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