7. Mai 2019

Wie furchtbar muss Freiheit sein?


Gerade an Universitäten macht sich ein Ungeist breit, der besorgniserregend ist. Der Ruf nach Vorschriften und Verboten kommt dabei von den Studenten selber.
Woher dieser fanatische Hass auf jene, die für sich die Freiheit des Denkens noch in Anspruch nehmen wollen? NZZ, 30.4. von Konrad Liessmann


Neulich erreichte mich die elektronische Nachricht eines Studenten, der ein etwas seltsames Anliegen vorbrachte. Er schreibe an einer Arbeit über die Vorschriften des «geschlechtsneutralen Sprachgebrauchs» an seiner Universität, und er habe gelesen, dass ich es den Studenten in meinen Seminaren freistelle, ob sie «gendern» oder nicht. Das habe ihn doch sehr gewundert, dass da jemand gegen den akademischen Common Sense verstosse. Da er sich aber auch für «konträre» Argumente interessiere, wolle er mir die Gelegenheit einräumen, meinen Standpunkt darzustellen.

Ich gestehe, ich war verwundert. Verteidigen muss sich heute also jemand, der jungen Erwachsenen, die an einer Universität studieren, also zur geistigen Elite des Landes gehören, die Freiheit zugesteht, in sprachpolitisch sensiblen Fragen selbst zu entscheiden, wie sie es damit halten wollen. Freiheit ist zu einem «konträren» Standpunkt geworden, der unter Rechtfertigungsdruck gesetzt wird. Das kann nur bedeuten, dass das Gegenteil der Freiheit, der Zwang, die Unterwerfung, als beglückende Norm empfunden wird. Zum Störenfried des Common Sense wird, wer sich dieser Norm nicht einmal widersetzt, sondern darauf verweist, dass es in diesen und ähnlichen Fragen unterschiedliche Zugangsweisen gibt, die jeder für sich entscheiden und verantworten könne.

Gerade an Universitäten macht sich ein Ungeist breit, der besorgniserregend ist
Das Anliegen des Studenten passt ins Bild. So wurde dieser Tage gefordert, dass ein Symposion an der Universität Frankfurt, das von einer renommierten Islamwissenschafterin organisiert wurde, abgesagt und die Professorin entlassen werde, da auch die Islamkritikerin Necla Kelek eingeladen wurde. Der Vorwurf des antiislamischen Rassismus ist in diesem Zusammenhang zwar vollkommen unzutreffend, zeigt aber, dass die Denunziation, die sich als Empörung tarnt, mittlerweile in bestimmen Kreisen zum Common Sense geworden ist.

Gerade an Universitäten, die die Freiheit von Forschung und Lehre noch irgendwo in ihren Satzungen verankert haben, macht sich ein Ungeist breit, der besorgniserregend ist. Der Ruf nach Vorschriften, nach Verboten, nach Regelungen des Sprachgebrauchs, nach Normierung von Leselisten, nach Verbannung aller Positionen, die einem vermeintlich unfehlbaren Zeitgeist widersprechen, wird dabei nicht von übergeordneten Instanzen autoritär vorgeschrieben, sondern er kommt von unten. Von der Basis. Von den Studenten. Von kleinen, aber lautstarken Gruppierungen.

Dass Universitätsleitungen auf solche Rufe, mit der Freiheit des Denkens, Sprechens und Schreibens doch endlich Schluss zu machen, nur sehr zögerlich reagieren, wenn sie sich diesen illiberalen Anliegen gegenüber nicht überhaupt als willfährig erweisen, kann durchaus als fatales Signal gewertet werden. Und dass jene, die sonst mit der Phrase «Wehret den Anfängen» schnell bei der Hand sind, hierzu schweigen und keine Anfänge sehen wollen oder können, stimmt auch nicht gerade zuversichtlich.

Immanuel Kant hat in seiner kleinen Schrift über die Aufklärung angemerkt, dass es vor allem Faulheit und Feigheit seien, die die Menschen daran hindern, ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu entkommen. Faulheit kommt heute dafür wohl nicht mehr infrage. Gerade an Universitäten wird so viel publiziert, getalkt, evaluiert und dokumentiert wie nie zuvor, Leitbilder, Zielvereinbarungen, Kompetenzkataloge und grandiose Selbstdarstellungen werden am laufenden Band produziert. Dann bleibt wohl nur noch die Feigheit.

Dass jemand, aus welchen persönlichen Motiven auch immer, Freiheitszumutungen abwehrt, mag man ja noch akzeptieren. Aber woher diese Wut, woher diese Indolenz, woher dieser fanatische Hass auf jene, die für sich die Freiheit des Denkens noch in Anspruch nehmen wollen? Freiheit muss in der Tat etwas Furchtbares sein.

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