Die Lehrpersonenbildung steht in der Kritik. Auch
bei den Studierenden. Die Ausbildung sei zu theoretisch und zu akademisch,
heisst es. Doch welche Lehrpersonen braucht die Schule der Zukunft und wie
sollen sie ausgebildet werden?
Sabina Larcher, Direktorin der Pädagogischen
Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (PH FHNW), reagiert im Interview
auf die Kritik und erklärt, wie die Pädagogische Hochschule den
gesellschaftlichen Wandel zu antizipieren versucht und was das für die
Ausbildung bedeuten könnte.
Sabina Larcher ist seit 2015 Direktorin der Pädagogischen Hochschule der FHNW, Bild: AZ
Direktorin Sabina Larcher zur Kritik an der Lehrer-Ausbildung: "Ich mag den Begriff Lern-Coach nicht". Solothurner Zeitung, 24.5 von Jörg Meier
Verliert die Ausbildung zur Lehrperson angesichts
der schwierigen Berufsaussichten für die jungen Menschen an Attraktivität?
Sabina Larcher: Die
Anmeldezahlen für das neue Semester sagen das Gegenteil. Wir können bei der PH
FHNW fast schon von einem kleinen Boom sprechen: Rund 1100 Studienanfänger
haben sich für ein pädagogisches Studium angemeldet. Das sind 10 Prozent mehr
als im Vorjahr. Besonders gefragt sind die Studiengänge Primarstufe sowie
Kindergarten/Unterstufe. Auch das kommt doch etwas überraschend, da bestehen im
Moment ja Schwierigkeiten in der Stellenbesetzung. Die Pädagogische Hochschule
ermöglicht es in dieser Situation, im Studium flexibel auf Teilzeitmodelle
umzusteigen.
Können Sie heute noch mit gutem Gewissen einem
jungen Menschen empfehlen, Lehrerin oder Lehrer zu werden?
Ja, ganz klar. Wer als Lehrerin oder Lehrer tätig
ist, verfügt weiterhin und in teilautonomen Schulen erst recht über vielfältige
Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten und eine hohe Autonomie in der
täglichen Arbeit. Lehrpersonen stehen einerseits als «Bewahrer» gegenüber der
Gesellschaft in der Pflicht, anderseits sind sie stets mit Neuem konfrontiert.
Das ist anspruchsvoll, aber höchst spannend.
Aber das Ansehen der Lehrpersonen in der
Gesellschaft hat abgenommen?
Der Beruf hat an Ansehen verloren, zu Unrecht!
Lehrerinnen und Lehrer sind eminent wichtig für unsere Gesellschaft. Man
vergisst zum Beispiel gerne, dass die Schule der Ort ist, wo Kinder etwa
erfahren und lernen, was Demokratie ist und wie sie funktioniert. Man vergisst
ebenso häufig, dass wir ohne öffentliche Schule mit ihren Lehrpersonen nicht
diese Wirtschaftskraft hätten; auch viele kulturelle Leistungen haben ihren
Ursprung im Unterricht. Leider ist es eine Tatsache, dass die Arbeit der
Lehrpersonen in der Öffentlichkeit oft viel Kritik und wenig Wertschätzung
erfährt.
Den «klassischen» Lehrer wird bald nicht mehr
geben. Wird er vom «Lerncoach» abgelöst?
Ich mag den Begriff Lerncoach nicht. Er wertet den
Beruf ab. Auch wenn sich das schulische Umfeld verändert: Die ursprüngliche
Aufgabe der Lehrperson bleibt unverändert: die Interaktion mit dem Kind, mit
der Gruppe.
Viel mehr noch als heute können und sollen künftig Lehrpersonen ihre
Schule mitgestalten.
Lehrpersonen sollen fachlich und menschlich eine Instanz
sein. Daran ändern auch neue Formen der Zusammenarbeit im multiprofessionellen
Team genauso wenig wie der digitale Wandel. Viel mehr noch als heute können und
sollen künftig Lehrpersonen ihre Schule mitgestalten und sind nicht «Verwalter
des Bisherigen», wie das von aussen oft wahrgenommen wird.
Die Aussteigerquote ist hoch: 17 Prozent der
Lehrpersonen geben den Job bereits nach einem Jahr wieder auf. Was läuft da
falsch?
Mir ist dazu leider keine Studie bekannt, die
verlässliche Zahlen liefert. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob und wann junge
Frauen, die in der Familienphase vorübergehend aus dem Beruf aussteigen, wieder
zurückkommen. Wir wissen auch nicht, wie viele Lehrpersonen in andere Kantone
wechseln, weil sie teilweise mehr verdienen können.
Aber es gibt tatsächlich einige, die verlassen das
schulische Berufsfeld und etablieren sich in anderen Branchen. Wir stellen in
diesem Zusammenhang fest, dass manche junge Lehrpersonen Erwartungen an die
Praxis haben, die auf Missverständnissen beruhen. Das beschäftigt uns sehr.
Was sind denn das für «Missverständnisse?»
Während des Studiums unterrichten alle Studierenden
ein Jahr lang regelmässig an einer Partnerschule; da erleben sie alle
Begleiterscheinungen, die zum Schulbetrieb gehören, hautnah mit. Trotzdem
schaffen wir es nicht bei allen, dass die Vorstellungen und Erwartungen, welche
die Studierenden an den Berufseinstieg haben, realistisch sind. So wird manchen
erst im Klassenzimmer richtig bewusst, dass sie als Lehrperson auch die
Gesellschaft verkörpern. Sie können in ihrem Berufsalltag nicht so cool wie
Gleichaltrige sein, sondern müssen gegenüber Schülerinnen und Schülern,
gegenüber Eltern Werte und Regeln bewahren und vermitteln. Das ist für junge
Menschen im Alter von 25 Jahren oft ziemlich anspruchsvoll.
Spielt auch die fehlende Anerkennung eine Rolle?
Ja, das ist eine Tatsache. Wir haben einerseits die
Gesellschaft, die selbstverständlich gute Lehrpersonen fordert, aber
öffentliche Anerkennung für ihre Arbeit ist doch manchmal rar. Das ist besonders
für junge Lehrpersonen oft nur schwer auszuhalten. Für gute Leistungen wird man
nicht befördert und es gibt auch keine Lohnerhöhung.
Primarlehrer ist ein Frauenberuf geworden. Wie
reagiert die PH auf diese Entwicklung?
Die PH FHNW reagiert, indem sie zum einen über die
Teilzeitstudiengänge versucht, gezielt Männer anzusprechen. Zum andern sehen
wir in den Quereinsteigerprogrammen für Interessierte mit mehrjähriger
Berufserfahrung die Möglichkeit, vermehrt Männer für diesen Beruf zu
begeistern. Die breiten positiven Erfahrungen zeigen, dass diese Massnahmen
funktionieren können.
Wer an der PH FHNW studieren will, muss seit 2018
ein Assessment bestehen. Welche Erfahrungen machen Sie mit der Eignungsprüfung?
Die bisherigen Erfahrungen sind gut. Die Berufseignungsabklärung
dauert jeweils einen Tag. Rund 10 Prozent der Teilnehmenden bestehen die
Eignungsprüfung nicht; ihnen wird von einem Studium an der PH abgeraten.
Einmal an der PH aufgenommen, geht es darum, die
für den Studienerfolg erforderlichen Credits zu sammeln. Aber kann man Lehrer
werden, indem man Punkte sammelt?
Die PH FHNW ist in das Bologna-System eingebunden.
Dazu gehört zwingend, dass auf der Basis eines EDK-anerkannten Studienprogramms
studiert wird und die erbrachten Leistungen mit sogenannten Credits abgegolten
werden. Ich weiss, dass es Studierende gibt, die dabei auch ökonomisch
vorgehen. Ich mache mir da keine Illusionen. Dennoch: Wir verlangen konsequent
die geforderten Leistungen und haben strenge Ausschlussverfahren: Wer zweimal nicht
besteht, muss die Hochschule verlassen.
Die PH FHNW steht in Konkurrenz zu anderen
pädagogischen Hochschulen. Was macht die PH FHNW besonders attraktiv für
Studierende?
An der PH FHNW ist das Studium stark modular
aufgebaut. Das bietet den Studierenden die Möglichkeit, ihre Berufsausbildung
individuell mitzugestalten und Schwerpunkte zu setzen. Viele Studierende
schätzen diese Freiheiten, die unser modulares System gegenüber einem stärker
verschulten Studienaufbau bietet. Flankierend zur Ausbildung an der Hochschule
steht die Berufspraxis in Partnerschulen: Alle unsere Studierenden sind während
des Studiums ein Jahr lang regelmässig in einer unserer Partnerschulen tätig,
dazu kommen weitere Quartalspraktika. Eine weitere Stärke der PH FHNW besteht
darin, dass wir Aus- und Weiterbildung zusammendenken.
Wie muss man sich das vorstellen?
Die Schule verändert sich stetig; die Lehrpersonen
müssen, ausgehend vom Studium, entsprechend immer wieder Neues lernen,
zusätzliche Kompetenzen erwerben. Denken Sie etwa an die integrative Schulung,
an den neuen Lehrplan oder den digitalen Wandel; für viele Lehrpersonen ist
oder war das Neuland. Mit unserem Weiterbildungsangebot versuchen wir an der
PH, auf die Veränderungen nicht nur zu reagieren, sondern sie möglichst zu antizipieren
und dies bereits in der Ausbildung: Im letzten Studienjahr haben über 33'000
Lehrerinnen und Lehrer Weiterbildungen an der PH besucht; die meisten Kurse
waren ausgebucht.
Wer an der PH unterrichtet, muss idealerweise hohe
fachliche und didaktische Kompetenz mitbringen, selber Erfahrung als Lehrperson
haben und den Bildungsraum der PH gründlich kennen. Gibt es genügend
Dozierende, die dieses Anforderungsprofil erfüllen?
Ja, die gibt es. Wer an der PH unterrichtet, sollte
idealerweise ein solches doppeltes Kompetenzprofil vorweisen können. Wobei das
nicht in jedem Fall möglich ist. Unser Anspruch ist aber, dass in jedem Team
diese Kompetenzen breit vorhanden sind. Sorge bereitet mir allerdings der
Umstand, dass wir im Bereich der Fachdidaktiken, wenn es um Fragen der
Vermittlung, um das Unterrichten in Mathematik oder Deutsch etc. geht, immer
weniger Experten und Expertinnen finden. Deshalb haben wir eine Zusammenarbeit
mit der Uni Basel lanciert mit dem Ziel, eigene Dozierende für den Unterricht an
der PH der Zukunft auszubilden.
Die Kritik an der Ausbildung an der PH ist
vielfältig. Ein Beispiel: Die Ausbildung ist zu theoretisch; brauchen
Kindergärtnerinnen tatsächlich einen Masterabschluss?
Provokative Gegenfrage: Warum eigentlich nicht?
Wenn wir die Frühförderung der Kinder wirklich ernst nehmen wollen, dann
brauchen wir doch genau auf dieser Stufe auch künftig die bestausgebildeten und
kompetentesten Lehrpersonen. Ob Master oder nicht: Wir müssen uns über die
Zukunft der Schule und des Berufs Gedanken machen.
Viele Lehrpersonen, die frisch von der PH kommen
und an der Sek I unterrichten, sind zwar didaktisch geschult, haben selber oft
wenig Fachwissen. Bekanntes Beispiel: Der Franzlehrer, der das Passé simple
nicht beherrscht.
Es gibt sicher immer wieder solche Fälle. Aber als
Generalvorwurf kann ich das so nicht gelten lassen. Grundsätzlich gilt, dass
die Studierenden eigenverantwortlich im Rahmen ihres Studiums das notwendige
Fachwissen erwerben und das nachhaltig, nicht nur für Prüfungen. Wir bieten
ihnen gute fachliche Grundlagen an und verlangen auch entsprechende Leistungen.
Es sollte nicht vorkommen, dass eine Lehrperson nur das beherrscht, was die
Schüler können müssen.
In der Fachwelt gibt es innovative Entwicklungen
wie weg von den Noten, weg vom 45-Minuten-Takt, weg vom Denken in Fächern etc.
In der Politik hingegen gibt es starke Gegenströmungen: mehr Checks, weniger
integrative Schulung, eine «härtere Linie» etc. werden gefordert. Wie bewegt
sich die PH in diesem Spannungsfeld?
Die PH ist gut mit Verbänden, Politik und
Verwaltungen vernetzt. Denn wir müssen rechtzeitig wissen, was geplant ist,
damit wir uns damit auseinandersetzen und die Sicht von Wissenschaft und
Forschung einbringen können. Letztlich nehmen wir den Auftrag der Gesellschaft
an die Schule als Pädagogischen Hochschule entgegen und bearbeiten und erfüllen
diesen als autonome Hochschule. Es ist ein ständiger und intensiver Prozess in
allen vier Kantonen des Bildungsraumes Nordwestschweiz.
Was wünscht sich die Direktorin der Pädagogischen
Hochschule von der Politik?
Es wäre wichtig, dass wir auch ab und zu losgelöst
von politischen Alltagsfragen oder wirtschaftlichen Überlegungen gemeinsam
darüber nachdenken könnten, was für eine Schule der Zukunft unsere Gesellschaft
braucht.
Wie sieht denn die Schule der Zukunft aus?
Wir versuchen, Entwicklungen zu erkennen und zu
definieren, welche Konsequenzen sie für die Ausbildung und Weiterbildung haben.
Dazu nur ein Beispiel: Die OECD verlangt, dass die Schulen der Zukunft
Fähigkeiten wie Kreativität, Agilität oder Neugierde als zentrale Kompetenzen
fördern sollen.
Was bedeutet das für den Unterricht oder die
Lehrmittel? Und was für die Ausbildung oder Weiterbildung? Mit solchen Fragen
beschäftigen wir uns intensiv und im Austausch mit allen Beteiligten.
Was bewirkt der digitale Wandel?
Der digitale Wandel wird die Schule und die
Ausbildung sowie die Weiterbildung, aber auch die Arbeit der Lehrpersonen
verändern. Diese brauchen einerseits medienpädagogisches Wissen und
gleichzeitig aber auch informatische Bildung. Die Art der Stoffvermittlung wird
sich ändern, die Lehrmittel; die Schulzimmer werden anders genutzt, was auch
Konsequenzen auf die Schulraumplanung hat. Es stellt sich die Frage, ob es noch
Regelklassen braucht; gut möglich, dass es auch den «Lehrer» in seiner heutigen
Funktion nicht mehr geben wird. Damit die PH auf solche Veränderungen reagieren
kann, brauchen wir einen Planungsvorlauf von 15 bis 20 Jahren, damit die Veränderungen
im Schulsystem greifen. Daran arbeiten wir intensiv.
Was bedeutet das konkret?
Es wird neue, andere Studiengänge mit neuen
Profilen geben. Man wird auch darüber diskutieren müssen, wie oft die
Studierenden, etwa in Teilzeit oder mit digitalen Angeboten überhaupt noch
anwesend sein sollen oder dürfen. Ich sage «dürfen», weil die Studierenden
gerne auf den Campus kommen und ihn als identitätsstiftenden Ort wahrnehmen.
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