Ein Drittel aller
Lehrkräfte in Thurgauer Primarschulen und Kindergärten arbeitet weniger als 50
Prozent. Ein weiteres Drittel weniger als 90 Prozent. Anne Varenne betont:
«Sie
arbeiten nicht Teilzeit, weil sie keine Lust haben oder weil sie es sich
leisten können.»
"Der Lehrerberuf soll mit einer Familie vereinbar sein": Berufsverband verteidigt Teilzeit-Pensen, St. Galler Tagblatt, 11.4. von Larissa Flammer
Die Präsidentin der
Berufsorganisation Bildung Thurgau zählt zwei Hauptgründe auf, warum so viele
Lehrpersonen im Thurgau – und auch schweizweit – nicht 100 Prozent arbeiten:
Einerseits die Haus- und Familienarbeit, die vor allem Lehrerinnen übernehmen,
andererseits beruflich bedingte gesundheitliche Probleme.
Teilzeitlehrer leisten mehr Überzeit
Vor einigen Tagen
berichtete unsere Zeitung darüber, dass manche Schulen keine kleinen
Teilzeitpensen mehr vergeben. Die Schulen Frauenfeld zum Beispiel streben an,
dass jede Lehrperson mindestens ein 50-Prozent-Pensum hat.
Die Lehrer haben auf der
einen Seite selber ein grosses Interesse daran, dass auf Kindergarten- und
Primarstufe möglichst wenige Lehrpersonen für eine Klasse zuständig sind. Je
weniger Bezugspersonen ein Kind hat, desto besser, erklärt Anne Varenne:
«Denn
ein Kind lernt in erster Linie für seine Lehrerin.»
Auf der anderen Seite kann
die heutige Schule ohne Teilzeitlehrpersonen gar nicht mehr funktionieren.
Gemäss verschiedenen Studien würden Teilzeitlehrer mehr Überzeit leisten als
Vollzeitlehrer, so Varenne. «Davon profitieren die Schulen.»
Auch der Verband Bildung
Thurgau setzt sich für Teilzeit ein. Die Präsidentin sagt: «Ich bin auch nicht
für mehrere 10- oder 20-Prozent-Pensen an einer Schule. Aber 40 Prozent muss
möglich sein.» Im Thurgau sind Dreiviertel der Lehrpersonen an obligatorischen
Schulen weiblich. Frauen reduzieren ihr Pensum vor allem wegen der Haus- und
Familienarbeit. Varenne wirft die Frage auf:
«Will
die Gesellschaft wirklich Lehrerinnen mit einer teuren Ausbildung, die 15 Jahre
lang ihren Beruf gar nicht mehr ausüben können?»
Der Staat spare zudem
Milliarden durch die Gratisarbeit vieler Frauen: zum Beispiel durch die Pflege
der Eltern und Schwiegereltern im Alter. «Der Lehrerberuf soll mit einer
Familie vereinbar sein», fordert Varenne.
Lehrer müssen jederzeit sofort auf alles
reagieren
Jede fünfte Lehrperson
reduziert ihr Pensum aus beruflich bedingten Gesundheitsproblemen. Das zeigt
eine schweizweite Studie auf. Anne Varenne sagt:
«Für
die Kinder ist es besser, wenn Lehrpersonen ihr Pensum reduzieren, als wenn sie
gesundheitlich angeschlagen weiterarbeiten.»
Mehrere Stunden pro Tag
von 20 bis 25 Kindern umgeben zu sein, die ständig nach Aufmerksamkeit
verlangen, sei «sehr sehr anspruchsvoll». Man müsse jederzeit voll präsent sein
und sofort auf alles reagieren, sonst habe ganz schnell jemand anders das Sagen
im Schulzimmer.
Nicht von allen
Angestellten an einer Schule wird ein hohes Arbeitspensum gefordert. Die
Verbandspräsidentin weist in diesem Zusammenhang auf die Schulischen
Heilpädagogen hin: «Ihnen wurden die Pensen gekürzt, um stattdessen mehr
günstigere Assistenzpersonen anzustellen.» Aus diesem Grund könnten Schulische
Heilpädagogen heute zum Teil nur noch 20, 30 oder 40 Prozent in einer
Schulgemeinde arbeiten. Anne Varenne sagt: «Wir finden, dass auch sie das
Anrecht darauf haben, 100 Prozent zu arbeiten – wenn sie dies wollen.»
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