11. April 2019

Thurgauer Lehrerverband verteidigt Teilzeitlehrerinnen


Ein Drittel aller Lehrkräfte in Thurgauer Primarschulen und Kindergärten arbeitet weniger als 50 Prozent. Ein weiteres Drittel weniger als 90 Prozent. Anne Varenne betont:
«Sie arbeiten nicht Teilzeit, weil sie keine Lust haben oder weil sie es sich leisten können.»
"Der Lehrerberuf soll mit einer Familie vereinbar sein": Berufsverband verteidigt Teilzeit-Pensen, St. Galler Tagblatt, 11.4. von Larissa Flammer


Die Präsidentin der Berufsorganisation Bildung Thurgau zählt zwei Hauptgründe auf, warum so viele Lehrpersonen im Thurgau – und auch schweizweit – nicht 100 Prozent arbeiten: Einerseits die Haus- und Familienarbeit, die vor allem Lehrerinnen übernehmen, andererseits beruflich bedingte gesundheitliche Probleme.

Teilzeitlehrer leisten mehr Überzeit

Vor einigen Tagen berichtete unsere Zeitung darüber, dass manche Schulen keine kleinen Teilzeitpensen mehr vergeben. Die Schulen Frauenfeld zum Beispiel streben an, dass jede Lehrperson mindestens ein 50-Prozent-Pensum hat.

Die Lehrer haben auf der einen Seite selber ein grosses Interesse daran, dass auf Kindergarten- und Primarstufe möglichst wenige Lehrpersonen für eine Klasse zuständig sind. Je weniger Bezugspersonen ein Kind hat, desto besser, erklärt Anne Varenne:
«Denn ein Kind lernt in erster Linie für seine Lehrerin.»

Auf der anderen Seite kann die heutige Schule ohne Teilzeitlehrpersonen gar nicht mehr funktionieren. Gemäss verschiedenen Studien würden Teilzeitlehrer mehr Überzeit leisten als Vollzeitlehrer, so Varenne. «Davon profitieren die Schulen.»

Auch der Verband Bildung Thurgau setzt sich für Teilzeit ein. Die Präsidentin sagt: «Ich bin auch nicht für mehrere 10- oder 20-Prozent-Pensen an einer Schule. Aber 40 Prozent muss möglich sein.» Im Thurgau sind Dreiviertel der Lehrpersonen an obligatorischen Schulen weiblich. Frauen reduzieren ihr Pensum vor allem wegen der Haus- und Familienarbeit. Varenne wirft die Frage auf:
«Will die Gesellschaft wirklich Lehrerinnen mit einer teuren Ausbildung, die 15 Jahre lang ihren Beruf gar nicht mehr ausüben können?»

Der Staat spare zudem Milliarden durch die Gratisarbeit vieler Frauen: zum Beispiel durch die Pflege der Eltern und Schwiegereltern im Alter. «Der Lehrerberuf soll mit einer Familie vereinbar sein», fordert Varenne.

Lehrer müssen jederzeit sofort auf alles reagieren

Jede fünfte Lehrperson reduziert ihr Pensum aus beruflich bedingten Gesundheitsproblemen. Das zeigt eine schweizweite Studie auf. Anne Varenne sagt:
«Für die Kinder ist es besser, wenn Lehrpersonen ihr Pensum reduzieren, als wenn sie gesundheitlich angeschlagen weiterarbeiten.»

Mehrere Stunden pro Tag von 20 bis 25 Kindern umgeben zu sein, die ständig nach Aufmerksamkeit verlangen, sei «sehr sehr anspruchsvoll». Man müsse jederzeit voll präsent sein und sofort auf alles reagieren, sonst habe ganz schnell jemand anders das Sagen im Schulzimmer.

Nicht von allen Angestellten an einer Schule wird ein hohes Arbeitspensum gefordert. Die Verbandspräsidentin weist in diesem Zusammenhang auf die Schulischen Heilpädagogen hin: «Ihnen wurden die Pensen gekürzt, um stattdessen mehr günstigere Assistenzpersonen anzustellen.» Aus diesem Grund könnten Schulische Heilpädagogen heute zum Teil nur noch 20, 30 oder 40 Prozent in einer Schulgemeinde arbeiten. Anne Varenne sagt: «Wir finden, dass auch sie das Anrecht darauf haben, 100 Prozent zu arbeiten – wenn sie dies wollen.»


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