14. April 2019

Nicht Schulreform, sondern Totalumbau


Unter diesem Titel lud der Verein «Starke Volksschule Zürich» am 12. April zu einem Vortragsabend mit Diskussion im Pfarreizentrum Liebfrauen in Zürich ein. Im gut besetzten Saal legte Prof. Dr. phil. Mario Andreotti der gebannt lauschenden Zuhörerschaft eine breite Auslegeordnung der Irrwege vor, denen unsere Jugend in den heutigen Schulen ausgesetzt ist.
Nicht Schulreform, sondern Totalumbau, 13.4. von Marianne Wüthrich

Von den Anfängen zu Beginn der 90er Jahre, als unter dem Einfluss von Organisationen wie Economiesuisse und OECD die EDK zum Umbau der Schule als Produktionsstätte des Homo oeconomicus ansetzte, über die fatale Herabminderung der Lehrerpersönlichkeit zum Coach und Kreuzchensetzer auf endlosen Beobachtungsbögen bis zum alleingelassenen Kind, das sich «selbstorganisiert» mit seinem Tablet irgendwie beschäftigen soll. Besonderes Gewicht legte der Referent auf die unentbehrliche Lernbeziehung zwischen Lehrerin und Schülern, auf die sozial formende Lerngemeinschaft in der Schulklasse, denn Freude am Lernen entsteht nicht durch SOL, sondern in Beziehung. Digitale Medien können diese nie und nimmer ersetzen, sie dürfen nur als Hilfsmittel verwendet werden, und zwar erst ab der Oberstufe, so der Referent. Weitere angesprochene Bereiche waren

- die irrige Vorstellung gewisser Wirtschaftskreise, mit Kompetenzen anstelle von Lerninhalten könnten die Leistungen der Kinder besser gemessen werden

- das Frühfremdsprachenmodell, das ausser Acht lässt, dass – abgesehen von Kindern, die von klein auf zweisprachig aufwachsen – zuerst die Grundlagen in der Muttersprache sitzen müssen

- die unsinnige Abschaffung sinnvoll eingesetzter Hausaufgaben, und anderes mehr.

Im Raum stehen blieb der schwerwiegende Vorwurf an die Reformer, den Schulen unerprobte Konzepte aufzuzwingen. – Prof. Dr. Stefan Wolter, Leiter der Forschungsstelle für Bildungsökonomie und Verfasser des «Bildungsberichts Schweiz 2018» auf die Frage nach der Wirkung der 20jährigen Reformen: «Wir wissen die Wirkung nicht»!

Als ermutigender Schlusspunkt blieb aber auch das Auftauchen erster Korrekturen: Nidwalden schafft als erster Kanton das unselige «Schreiben nach Gehör» ab, untaugliche Sprachlehrmittel werden aus dem Verkehr gezogen, Eltern und Lehrer fordern wieder Kleinklassen, in denen Kinder mit verschiedensten Problemen nicht abgehängt, sondern gefördert werden, um dann als Vollteilnehmer in die Regelklassen zurückkehren zu können.

Nach dieser reichen Palette, die Professor Andreotti mit spürbarem Engagement herüberbrachte, entstand eine lebhafte Diskussion, mit berührenden Erlebnisberichten von Müttern (z. B. «nur Ihr Kind hat Probleme»), von Kindergärtnerinnen und Lehrern, die sich nach zermürbenden Jahren aus ihrem Beruf zurückziehen wollen, und einer Ärztin, die zuweilen vier oder fünf Kinder aus derselben Schulklasse in ihrer Praxis hat.

Was können wir tun? Unsere Kräfte zusammenlegen, miteinander überlegen, wo und wie wir gemeinsam Widerstand leisten können. Stellung nehmen, in Leserbriefen und Communiqués oder in der Politik. Und unsere Kräfte vervielfachen, indem wir Eltern, Lehrer, Politiker und andere Menschen in unserem Umkreis einladen und ihnen Informationsmaterial zukommen lassen – Flyer, Zeitungsartikel, den «Einspruch 2», den Newsletter des Vereins «Starke Volksschule Zürich». Diesen haben wir ins Leben gerufen, um zu informieren und dazu beizutragen, dass der Kreis von Menschen, die etwas gegen die Schulmisere tun wollen, grösser wird und sich Gehör verschafft.

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