Das Wichtigste vorab: Dieser Artikel basiert auf den Erlebnissen und
Erfahrungen aus zwei Workshops mit insgesamt etwa 120 Lehrkräften. Also keine
wissenschaftliche Studie, aber doch ein unzweifelhaftes Ergebnis: Unsere
Schulen wären dazu in der Lage, von heute auf morgen eine neue Kreativ-Kultur
zu etablieren, ohne auf Lehrpläne oder Ansagen aus der Politik zu warten.
Ein paar einfache Ideen, wie Schweizer Schulen die Kreativität anregen können, NZZaS, 7.4. von Dennis Lück
Fangen wir von vorne an. Schulen haben die Aufgabe, unsere Kinder aufs
Leben vorzubereiten. Dass Kreativität als überfachliche und transversale
Kompetenz dabei eine tragende Rolle spielt, ist eine Binsenweisheit. Aber wie
man es tatsächlich schafft, Kreativität in die Klassenräume zu bringen, darüber
scheiden sich die Geister.
Unternehmen sind da schon viel weiter. Design-Thinking, Creative
Sprints, Scrum-Prinzip, Kollabo-Sessions, Collision Zones – es sprudelt nur
so vor Massnahmen, um Rahmenbedingungen für Denk- und Kreativ-Prozesse zu
ermöglichen. Was in diesen Prozessen immer wieder auftaucht, sind
Kreativitäts-Techniken.
Meine Grundidee lautete darum: Wenn es in Unternehmen sogenannte
Kreativitäts-Toolboxen gibt, wieso nicht auch an Schulen? Also habe ich die Prinzipien
solcher Werkzeugkästen einfach auf den schulischen Alltag übertragen: Um eine
Toolbox zu erstellen, muss man erst einmal alle Werkzeuge einsammeln.
Ich habe die Lehrer gefragt, welche Techniken sie schon einmal
eingesetzt hätten, um Wissen überraschend, spannend und unterhaltsam zu
vermitteln. Jeder Lehrer sollte seine besten Tipps und Tricks notieren. Was
dann passierte, war überhaupt nicht überraschend. Die Kreativität sprudelte nur
so aus den Lehrkräften heraus. Kaum verwunderlich, wenn man jeden Tag das
anspruchsvollste Publikum der Welt vor sich sitzen hat.
Das Anwenden kreativer Techniken zum Vermitteln von Lehrstoff bietet
gleich mehrere Vorteile: Neben dem Unterhaltungsfaktor verwandelt es rezeptives
in produktives Lernen. Also weg vom Auswendiglernen, hin zum angewandten
Wissen. Und angewandtes, direkt in die Praxis umgesetztes Wissen bleibt
nachhaltiger im Kopf.
Eine andere Lehrerin hat den Unterricht einfach unter den Bänken
abgehalten, als es um das Thema «Leben in Höhlen» ging.
Beim rezeptiven Lernen heisst es «Liebe Schüler, ich zeige euch nun, wie
das Herz funktioniert». Jetzt die produktive, kreative Lern-Variante: «Liebe
Schüler, zeigt mir bitte, wie das Herz funktioniert. Mit einem kleinen Comic.»
Die Schüler müssen das Wissen direkt anwenden und ideenreich verpacken. Die
Schüler haben gar keine andere Wahl, als kreativ zu werden.
Neben diesem Wissens-Comic tauchten in beiden Workshops etliche weitere
Methoden auf. Unter anderem auch der Klassiker der Kreativitäts-Techniken, das
Rollenspiel. Schüler sollten ein Problem, beispielsweise die
Umweltverschmutzung, aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Aus der Sicht
des Ölmagnaten, aus der Sicht der Tiere oder der Kinder aus dem Jahre 2100.
Spüren Sie, wie spannend das den Unterricht macht?
Eine andere Lehrerin hat den Unterricht einfach unter den Bänken
abgehalten, als es um das Thema «Leben in Höhlen» ging. In einer anderen Klasse
wurde ein «Weltwirtschaftskuchen» gebacken. Im Anschluss sollten die Schüler
den Kuchen so verteilen, wie man ihn auch in der Wirtschaft verteilen würde. So
erhielten wenige Schüler viele Stücke, manche nur Krümel, und ein paar Stücke
gingen in die Nachbarklasse. Ein junger Lehrer liess den Stoff der Klasse in
einer Instagram-Story zusammenfassen.
Auch strenge Massnahmen wurden aufgegriffen. Die Technik einer Lehrerin
hiess «Der Spiegel». Wenn sich ein Schüler danebenbenommen hatte, schlug man
ihn symbolisch mit den gleichen Waffen. Hatte er immer gestört, bat man ihn,
eine Geschichte zu erzählen und störte ihn dann ebenfalls auf lustige Art und
Weise. Paradoxe Intervention auf kreativ.
Besonders spannend war die Technik «Der Superfehler». Schüler durften
etwas absichtlich so falsch machen wie überhaupt nur möglich. Nicht nur, dass
das sicher unterhaltsam ist, es lehrt auch eine gute Fehlerkultur.
Dass unsere Lehrer und Lehrerinnen Wissen kreativ vermitteln, ist nichts
Neues. Neu wäre es, die ganzen Techniken digital zu sammeln und allen
zugänglich zu machen. Man stelle sich das einmal vor: Jede der 25 000
Lehrpersonen der Schweiz würde nur eine Technik hochladen. Das ergäbe eine
Onlineplattform, auf der die kreativen Unterrichtstechniken nach Klassenstufe,
Fach und Stoff sortiert würden. Alles wäre für alle zugänglich, kreativer
Unterricht wäre digitalisiert. Und schon hätte man sie: Die
Kreativitäts-Toolbox für Schweizer Schulen.
Dennis Lück ist Kreativchef der Kommunikationsagentur Jung von
Matt/Limmat.
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