Im Postauto baumelt ein Plakat. Mit dem Foto eines jungen Mannes wirbt
die Pädagogische Hochschule Bern für die Lehrerausbildung. Genau gleich, wie es
andere Ausbildungsinstitute seit Jahren auch tun. Und wie alle anderen auch:
mit tiefen Erfolgsaussichten.
In der Westschweiz unterrichten tendenziell mehr Männer
Wo am wenigsten Männer unterrichten, Basler Zeitung, 5.4. von Mathias Born
Das öffentliche Bildungswesen ist in der Schweiz klar in weiblicher
Hand: Bei 69 Prozent der insgesamt rund 120’000 Lehrkräfte handelt es sich um
Frauen. Die Männer sind mit 31 Prozent in den Schulstuben stark untervertreten.
Das zeigt eine Auswertung neuer Zahlen des Bundesamts für Statistik für das
Schuljahr 2017/2018. Berücksichtigt wird in der Erhebung die Anzahl Personen an
öffentlichen Schulen, nicht aber deren Pensum.
Besonders gravierend ist die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auf
der Primarstufe 1-2, also in den Kindergärten und den ersten Klassen, wo rund
die Hälfte aller Schweizer Lehrkräfte tätig ist: Auf dieser Stufe arbeiten zu
95 Prozent Frauen. Ein Unterstufenlehrer steht 19 Unterstufenlehrerinnen
gegenüber. In der Vergangenheit war der Männeranteil noch desolater: 2010
handelte es sich lediglich bei 3 Prozent der Unterstufen-Lehrkräfte um Männer.
Nachdem der Anteil 2014 kurzzeitig auf 6 Prozent gestiegen war, ging er wieder
leicht zurück.
Je älter die Schülerinnen und Schüler werden, desto öfter werden sie von
Männern unterrichtet: Während ihr Anteil auf der Eingangsstufe bei 5 Prozent
und in der gesamten Primarstufe bei 14 Prozent liegt, ist das
Geschlechterverhältnis auf der Sekundarstufe I ausgeglichen. Auf der
Sekundarstufe II hingegen sind die Männer mit 57 Prozent in der Überzahl.
Allerdings gibt es einen grossen Unterschied zwischen allgemeinbildenden
Schulen und der beruflichen Ausbildung: An Gymnasien ist das
Geschlechterverhältnis fast ausgeglichen, in der Berufsausbildung sind zu 60
Prozent Männer tätig.
Über alle Stufen gesehen, sind die Männer in der Minderheit. Mehr noch:
Der Prozentsatz nimmt in der ausgewerteten Zeitspanne von 2010 bis 2017 Jahr
für Jahr ab. Stellten die Männer im Jahr 2010 35 Prozent des Lehrkörpers, waren
es 2017 nur noch 31 Prozent.
Beat W. Zemp, der Präsident des Dachverbands Schweizer Lehrerinnen und
Lehrer LCH, versucht das Positive des in absoluten Zahlen geringen Anstiegs in
den Primarschulen hervorzustreichen. Geglückt sei die Erhöhung aus zwei
Gründen: Einerseits haben die Pädagogischen Hochschulen und die Lehrerverbände
für mehr Männer auf der Unterstufe der Primarschule geworben. Und andererseits
sind durch die Öffnung des Studiums für Quereinsteiger aus anderen Berufen mehr
Männer in den Primarlehrerberuf gekommen.
«Trotzdem ist der Anteil der männlichen Lehrpersonen über die gesamte
Primarstufe immer noch zu tief», sagt Zemp. Der Verband habe immer wieder auf
die zu tiefen Löhne auf der Primarstufe hingewiesen. Die Schweiz sei zudem das
einzige Land in Westeuropa, das die Primarlehrpersonen auf Bachelor-Stufe
ausbilde.
«Wir brauchen dringend mehr Männer an den Primarschulen», sagt auch Ron
Halbright. Der Präsident des Vereins «Männer an die Primarschule» argumentiert,
dass insbesondere kleinere Kinder oft in einer Frauenwelt lebten. «Die Kinder
benötigen aber auch reale männliche Rollenvorbilder», sagt Halbright. Die
Arbeitsteilung auf vielen Eingangsstufen sei indes oft stereotyp: «Dort
arbeiten ausschliesslich Frauen – mit Ausnahme des Schulleiters und des
Hauswarts.» Auch für die Kollegen sei es wichtig, wenn eine Vielfalt von
Perspektiven, Lebenserfahrungen, sozialen und kulturellen Hintergründen
vertreten ist. «Ein diversifiziertes Team ist stabiler, leistungsfähiger und
flexibler.»
«Die Schule steckt in einem Teufelskreis», sagt Halbright: Fehlende
männliche Vorbilder erschwerten es den jungen Männern, den Weg zum Primarlehrer
einzuschlagen. «Es braucht eine koordinierte Anstrengung, um diese Dynamik zu
durchbrechen.» Helfen könnten etwa Schnupperpraktika, in denen Interessenten,
die während ihrer frühen Schulzeit vorab Lehrerinnen erlebt haben, einen
Einblick in die Lebenswelt eines Mannes erhalten.
Das Problem mit dem Lohn
«Es ist aber schwierig, die Gymnasiasten für den Primarlehrerberuf zu
begeistern», sagt er – weil die jungen Männer andere Ziele vor Augen hätten,
aber auch, weil Primarlehrer vielerorts noch immer 20 Prozent weniger verdienen
als ihre Kollegen auf der Sekundarstufe I. Und: Weil der Primarlehrerberuf an
Gymnasien wenig gelte. Weitaus erfolgreicher seien die Ausbildungen für
Quereinsteiger. Oftmals veränderten sich die Wertvorstellungen im Laufe der
Zeit, sagt er. Und er erzählt von einem Software-Ingenieur, der «nicht mehr
sein ganzes Leben vor dem Bildschirm verbringen möchte».
Besserung ist kaum in Sicht. An der Pädagogischen Hochschule Zürich etwa
lassen sich derzeit 14 Männer und 394 Frauen für die Arbeit auf der
Eingangsstufe ausbilden. Der Männeranteil beträgt also 3,5 Prozent. Etwas
besser siehts in der Ausbildung für die Primarstufe aus: Dort stieg die
Männerquote in den letzten fünf Jahren langsam aber stetig an. Seit zwei Jahr
liegt sie bei über 20 Prozent.
An der Pädagogischen Hochschule Bern nahm der Anteil Männer leicht zu,
die eine Ausbildung für die Vorschul- und Unterstufe machen. Er liegt derzeit
aber auch erst bei 5 Prozent. Weitaus mehr Männer interessieren sich für die
Mittelstufe-Ausbildung. Dort liegt ihr Anteil bei 25 Prozent. «Es ist
schwierig, junge Männer in dieser Lebensphase für den Primarlehrerberuf zu
begeistern», räumt Daniel Steiner ein, Leiter des Instituts Vorschulstufe und
Primarstufe. Männer fänden eher auf dem zweiten Bildungsweg in den Lehrerberuf,
sagt er. «Das weitaus grössere Potenzial sehen wir deshalb in den alternativen,
nicht gymnasialen Zulassungswegen. Wir müssen die Umsteiger unbedingt abholen.»
Tatsächlich liegt der Männeranteil bei den Studierenden mit einem
Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis bereits jetzt bei 45 Prozent.
Grosse Unterschiede zwischen den Kantonen
Nicht überall ist das Problem gleich gravierend, wie die Datenanalyse
zeigt: Während die Lehrerinnen in den Kantonen Solothurn über alle Stufen
gesehen mit 73 Prozent sowie Luzern und Freiburg mit 72 Prozent stark
übervertreten sind, ist das Verhältnis im Wallis und im Jura mit 63 Prozent
sowie im Tessin mit 64 Prozent ausgeglichener. Trotz der Genderdiskussion und
aller Werbeanstrengungen der Pädagogischen Hochschulen nahm der Anteil der
männlichen Lehrkräfte in den letzten Jahren aber fast überall ab. Einzig
Neuenburg konnte den Anteil halten.
Sehr unterschiedlich hat sich der Anteil der Männer auf der Grundstufe
entwickelt. Das Wallis, das 2010 lediglich 5 Männer auf dieser Stufe
beschäftigte, verfügt heute über 386 Unterstufenlehrer. Das entspricht 17
Prozent aller Lehrkräfte – ein Rekordwert in der Schweiz. Ganz anders im Kanton
Appenzell Innerrhoden: Dort sprangen laut Statistik inzwischen alle drei Lehrer
ab, die an der Basisstufe tätig waren. Männeranteil: null. Im Kanton Glarus
wiederum arbeiteten gemäss den Zahlen des Bundesamts in den letzten sieben
Jahren überhaupt keine Männer in den Kindergärten und der Eingangsstufe – mit
Ausnahme eines Lehrers, der im Schuljahr 2013 bis 2014 in einer mehrstufigen
Klasse einige kleine Kinder mitunterrichtete.
Der Anteil der Frauen und Männer an den öffentlichen Schulen variiert
weltweit sehr stark, wie Zahlen der UNO zeigen. In Afrika südlich der Sahara
etwa ist der Lehrerinnenanteil insbesondere auf der Sekundarstufe sehr gering.
«In diesem Gebiet erfüllen viele Frauen die schulischen Anforderungen
für eine Aufnahme in den Lehrerberuf nicht», sagt Sabina Handschin, die beim
Eidgenössischen Aussendepartement den Bildungsbereich bei der Agentur für
Entwicklung und Kooperation leitet. In postsozialistischen Ländern hingegen
hätten beide Geschlechter in der Regel einen guten Zugang zur Bildung. «Deshalb
gibt es viele weibliche Schulabgängerinnen in Russland, die sich für eine
Lehrerausbildung ausbilden lassen», sagt Handschin.
Dass die Männer dort kneifen, dürfte einen anderen Grund haben: Im
Gegensatz zu Subsahara-Afrika ist in Russland der Lehrerberuf im Vergleich zu
anderen Berufen, die einen Universitätsabschluss benötigen, eher unattraktiv:
Der Lohn ist – wie in der Schweiz – vergleichsweise tief.
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