21. März 2019

Initiative für Politik als Schulfach


Seit dreizehn Jahren setzen sich die Basler Jungfreisinnigen für ein Schulfach Politik ein. Doch als ihre Initiative zum Thema im Grossen Rat diskutiert wird, ist niemand von ihnen anwesend. Der Präsident der Partei, Titus Hell, sitzt in einer Vorlesung an der juristischen Fakultät. Er verfolgt das Geschäft auf seinem Smartphone – so gut es geht. Mit FDP-Präsident und Grossrat Luca Urgese ist das Initiativ-Komitee immerhin mit einem Mitglied vertreten. Zur Freude von Titus Hell: Luca Urgese habe ein sehr gutes Votum abgegeben, sagt er im Telefongespräch mit der Basler Zeitung.
Volk soll über Politikfach entscheiden, Basler Zeitung, 21.3. von Alesandra Paone


Tatsächlich darf Titus Hell zufrieden sein. Nicht nur mit Luca Urgese. Sondern grundsätzlich mit dem Ausgang der Debatte. Der Grosse Rat unterstützt die Initiative der Jungfreisinnigen «Ja zum Fach Politik». Er hat gestern zwar mit 78 gegen 15 Stimmen klar den Gegenvorschlag der Bildungs- und Kulturkommission beschlossen, aber gleichzeitig das Begehren zur Annahme empfohlen, und zwar mit 48 gegen 35 Stimmen bei zehn Enthaltungen. Bei der Stichfrage setzte sich ebenfalls die Initiative durch mit 47 gegen 43 Stimmen bei drei Enthaltungen.

Kein Links-rechts-Schema
Die Initiative verlangt mindestens ein Jahr politische Bildung in der obligatorischen Schulzeit. Die Schüler sollen jede Woche während einer Stunde mit den Grundlagen des politischen Systems vertraut gemacht werden, über aktuelle Themen diskutieren und sich eine eigene Meinung bilden. Dazu biete der Lehrplan 21 kaum Gelegenheit, so die Kritik der Initianten.

Der Gegenvorschlag der Bildungs- und Kulturkommission will hingegen kein separates Fach. Stattdessen soll das Thema Politik in Form einer bestimmten Kompetenz im Lehrplan 21 für den Schulunterricht verbindlich erklärt werden. Das Erziehungsdepartement muss bei einer Annahme die Umsetzung aufgleisen, also den Lehrplan anpassen.

Grundsätzlich waren sich alle einig, dass politische Bildung in der Schule zwingend ist. Bei der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden könne, gingen die Meinungen aber auseinander – ohne dabei dem traditionellen Links-rechts-Schema zu folgen.

FDP, SVP und SP sprachen sich für das Anliegen der Jungpartei aus, LDP, CVP/EVP und Grünes Bündnis dagegen. «Es ist beängstigend, wie viele junge Menschen keine Ahnung haben von Politik», sagte SVP-Sprecher Pascal Messerli. Deshalb sei es wichtig, dass die Schüler eine politische Bildung erhalten, und das nicht nur nebenbei. Für Mustafa Atici ist das Begehren der Jungfreisinnigen eine Möglichkeit, die jungen Leute zu motivieren, später an die Urne zu gehen. «Wir müssen nicht warten, bis sie auf die Strasse gehen oder streiken», sagte er.

Remo Gallacchi gehörte gestern zu den schärfsten Gegnern eines Pflichtfachs Politik. Er unterrichtet Physik- und Mathematik am Gymnasium am Münsterplatz, wo er auch Konrektor ist. Der CVP-Grossrat verwies auf die Belastung der Schüler, die jetzt schon an der oberen Grenze sei. Mit 16 Fächern und zwei bis vier Prüfungen pro Woche liege einfach nicht mehr drin. Beinahe schon flehend wandte er sich an den Rat: «Ich bitte Sie inständig, im Namen der Schüler die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen.»

Catherine Alioth von der LDP nahm den Klimastreik als Beispiel dafür, wie Politik an der Schule vermittelt werden sollte. Sie warnte davor, in die Stundentafel einzugreifen und die verschiedenen Fächer gegeneinander auszuspielen. Die politische Bildung solle vernetzt und farbig erfolgen – «wie die Politik selbst und wie es der Gegenvorschlag will». Die Grüne Lea Steinle setzte sich hingegen auf den Standpunkt, dass Politik zu komplex sei, um sie in einer Stunde pro Woche abzuhandeln. Sie schlug stattdessen eine Projektwoche zum Thema vor.

Bereit für Kompromiss
Für Luca Urgese war das keine akzeptable Alternative, der Gegenvorschlag schon gar nicht. Bei einer Annahme bleibe alles wie gehabt, sagte er. Und das komme nicht infrage. Zu sehr habe man sich in der Vergangenheit vom früheren Bildungsdirektor Christoph Eymann vertrösten lassen. Ihm geglaubt, dass mit dem Lehrplan 21 alles geregelt werde. Dessen Nachfolger, Conradin Cramer, betreibe nun dieselbe «Hinhalte-Politik». Der Gegenvorschlag fokussiere zu sehr auf den Inhalt. «Doch um über Inhalte zu sprechen, braucht es Zeit», sagte er. Und diese sei nirgends festgeschrieben.

Erziehungsdirektor Conradin Cramer, am Ende der Debatte etwas entnervt, wies auf die Verteilkämpfe unter den Lehrern hin. Jeder halte berechtigterweise sein Fach für wichtig. Wenn jetzt noch ein zusätzliches Fach hinzukomme, werde dieser Kampf nur noch schlimmer. Er bat die Gegner des Vorschlags deshalb, doch mehr Vertrauen in die Lehrer zu haben, dass sie ihre Pflicht gemäss Auftrag erfüllen. Ausserdem seien Schulen keine Kasernen, mahnte er.

Doch Luca Urgese rückte nicht von seiner Haltung ab. «Für diesen Gegenvorschlag werden wir die Initiative sicher nicht zurückziehen», kündigte er an. Sollte aber der Erziehungsrat sich bereit erklären, einen Schritt auf die Initianten zuzugehen und ein Zeitfenster für den politischen Unterricht in der Stundentafel festzuschreiben, könne man noch einmal darüber reden.
Der nächste Abstimmungstermin ist im November. Das Initiativkomitee wird nun das Gespräch mit dem Erziehungsrat suchen, wie der Präsident der Jungfreisinnigen, Titus Hell, bestätigt. Im Sinne eines Kompromisses.


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