Seit dreizehn Jahren setzen sich die Basler
Jungfreisinnigen für ein Schulfach Politik ein. Doch als ihre Initiative zum
Thema im Grossen Rat diskutiert wird, ist niemand von ihnen anwesend. Der
Präsident der Partei, Titus Hell, sitzt in einer Vorlesung an der juristischen
Fakultät. Er verfolgt das Geschäft auf seinem Smartphone – so gut es geht. Mit
FDP-Präsident und Grossrat Luca Urgese ist das Initiativ-Komitee immerhin mit
einem Mitglied vertreten. Zur Freude von Titus Hell: Luca Urgese habe ein sehr gutes
Votum abgegeben, sagt er im Telefongespräch mit der Basler Zeitung.
Volk soll über Politikfach entscheiden, Basler Zeitung, 21.3. von Alesandra Paone
Tatsächlich
darf Titus Hell zufrieden sein. Nicht nur mit Luca Urgese. Sondern
grundsätzlich mit dem Ausgang der Debatte. Der Grosse Rat unterstützt die
Initiative der Jungfreisinnigen «Ja zum Fach Politik». Er hat gestern zwar mit
78 gegen 15 Stimmen klar den Gegenvorschlag der Bildungs- und Kulturkommission
beschlossen, aber gleichzeitig das Begehren zur Annahme empfohlen, und zwar mit
48 gegen 35 Stimmen bei zehn Enthaltungen. Bei der Stichfrage setzte sich
ebenfalls die Initiative durch mit 47 gegen 43 Stimmen bei drei Enthaltungen.
Kein
Links-rechts-Schema
Die
Initiative verlangt mindestens ein Jahr politische Bildung in der
obligatorischen Schulzeit. Die Schüler sollen jede Woche während einer Stunde
mit den Grundlagen des politischen Systems vertraut gemacht werden, über
aktuelle Themen diskutieren und sich eine eigene Meinung bilden. Dazu biete der
Lehrplan 21 kaum Gelegenheit, so die Kritik der Initianten.
Der
Gegenvorschlag der Bildungs- und Kulturkommission will hingegen kein separates
Fach. Stattdessen soll das Thema Politik in Form einer bestimmten Kompetenz im
Lehrplan 21 für den Schulunterricht verbindlich erklärt werden. Das
Erziehungsdepartement muss bei einer Annahme die Umsetzung aufgleisen, also den
Lehrplan anpassen.
Grundsätzlich
waren sich alle einig, dass politische Bildung in der Schule zwingend ist. Bei
der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden könne, gingen die Meinungen aber
auseinander – ohne dabei dem traditionellen Links-rechts-Schema zu folgen.
FDP,
SVP und SP sprachen sich für das Anliegen der Jungpartei aus, LDP, CVP/EVP und
Grünes Bündnis dagegen. «Es ist beängstigend, wie viele junge Menschen keine
Ahnung haben von Politik», sagte SVP-Sprecher Pascal Messerli. Deshalb sei es
wichtig, dass die Schüler eine politische Bildung erhalten, und das nicht nur
nebenbei. Für Mustafa Atici ist das Begehren der Jungfreisinnigen eine
Möglichkeit, die jungen Leute zu motivieren, später an die Urne zu gehen. «Wir
müssen nicht warten, bis sie auf die Strasse gehen oder streiken», sagte er.
Remo
Gallacchi gehörte gestern zu den schärfsten Gegnern eines Pflichtfachs Politik.
Er unterrichtet Physik- und Mathematik am Gymnasium am Münsterplatz, wo er auch
Konrektor ist. Der CVP-Grossrat verwies auf die Belastung der Schüler, die
jetzt schon an der oberen Grenze sei. Mit 16 Fächern und zwei bis vier
Prüfungen pro Woche liege einfach nicht mehr drin. Beinahe schon flehend wandte
er sich an den Rat: «Ich bitte Sie inständig, im Namen der Schüler die
Initiative zur Ablehnung zu empfehlen.»
Catherine
Alioth von der LDP nahm den Klimastreik als Beispiel dafür, wie Politik an der
Schule vermittelt werden sollte. Sie warnte davor, in die Stundentafel
einzugreifen und die verschiedenen Fächer gegeneinander auszuspielen. Die
politische Bildung solle vernetzt und farbig erfolgen – «wie die Politik selbst
und wie es der Gegenvorschlag will». Die Grüne Lea Steinle setzte sich hingegen
auf den Standpunkt, dass Politik zu komplex sei, um sie in einer Stunde pro
Woche abzuhandeln. Sie schlug stattdessen eine Projektwoche zum Thema vor.
Bereit
für Kompromiss
Für
Luca Urgese war das keine akzeptable Alternative, der Gegenvorschlag schon gar
nicht. Bei einer Annahme bleibe alles wie gehabt, sagte er. Und das komme nicht
infrage. Zu sehr habe man sich in der Vergangenheit vom früheren
Bildungsdirektor Christoph Eymann vertrösten lassen. Ihm geglaubt, dass mit dem
Lehrplan 21 alles geregelt werde. Dessen Nachfolger, Conradin Cramer, betreibe
nun dieselbe «Hinhalte-Politik». Der Gegenvorschlag fokussiere zu sehr auf den
Inhalt. «Doch um über Inhalte zu sprechen, braucht es Zeit», sagte er. Und
diese sei nirgends festgeschrieben.
Erziehungsdirektor
Conradin Cramer, am Ende der Debatte etwas entnervt, wies auf die Verteilkämpfe
unter den Lehrern hin. Jeder halte berechtigterweise sein Fach für wichtig.
Wenn jetzt noch ein zusätzliches Fach hinzukomme, werde dieser Kampf nur noch
schlimmer. Er bat die Gegner des Vorschlags deshalb, doch mehr Vertrauen in die
Lehrer zu haben, dass sie ihre Pflicht gemäss Auftrag erfüllen. Ausserdem seien
Schulen keine Kasernen, mahnte er.
Doch
Luca Urgese rückte nicht von seiner Haltung ab. «Für diesen Gegenvorschlag
werden wir die Initiative sicher nicht zurückziehen», kündigte er an. Sollte
aber der Erziehungsrat sich bereit erklären, einen Schritt auf die Initianten
zuzugehen und ein Zeitfenster für den politischen Unterricht in der
Stundentafel festzuschreiben, könne man noch einmal darüber reden.
Der
nächste Abstimmungstermin ist im November. Das Initiativkomitee wird nun das
Gespräch mit dem Erziehungsrat suchen, wie der Präsident der Jungfreisinnigen,
Titus Hell, bestätigt. Im Sinne eines Kompromisses.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen