Seit
Jahren wird im Baselbiet um neue Regeln für die Sonderpädagogik an der
Volksschule gestritten. Eine erste, vom damaligen Bildungsdirektor Urs Wüthrich
erarbeitete Vorlage wurde im Juni 2014 vom Landrat zurückgewiesen. Es war eine
der bittersten Niederlagen für den SP-Regierungsrat, die ihn über einen vorzeitigen
Rücktritt nachdenken liess. Wüthrichs Nachfolgerin Monica Gschwind (FDP) hat
das schwierige Thema unter neuen Vorzeichen wieder aufgerollt. Nach jahrelanger
Arbeit und umfassendem Vernehmlassungsprozess überweist die Regierung dem
Parlament nun eine neue Vorlage. Die bz beantwortet zum komplexen Geschäft die
sieben wichtigsten Fragen.
Förder-Kontingente für Schulen, Basellandschaftliche Zeitung, 14.2. von Hans-Martin Jermann
1. Was sind
die wichtigsten Neuerungen in der Sonderpädagogik?
Den Baselbieter Primar- und
Sekundarschulen werden künftig LektionenPools zugewiesen, die nach der Anzahl
Schüler berechnet werden. So erhält zum Beispiel eine Primarschule im Bereich
der Speziellen Förderung 4,3 Lektionen pro 10 Schüler, eine Sekundarschule 4,7
Lektionen. Förderangebote für fremdsprachige Schüler werden in einem separaten
Lektionen-Pool definiert, der sich an der Anzahl fremdsprachiger Schüler an der
entsprechenden Schule orientiert. Ebenfalls einen separaten Pool gibt es für
die Sonderschulung. Die Schulen können selbst entscheiden, ob sie die
Kontingente für separative oder integrative Förderung im Rahmen der
Regelklassen verwenden wollen.
2. Doch
weshalb die Neuregelung mit den Lektionen-Pools?
Integrative Schulungsformen
haben in der Deutschschweiz in den letzten Jahren fast überall zu einem Anstieg
der Kosten geführt. Die Regierung erhofft sich von der neuen Lösung einen
effizienteren Einsatz der zur Verfügung gestellten Gelder, also eine
Stabilisierung der Kosten. Neu entscheiden die Schulleitungen, wie sie
Lektionen einsetzen – ob sie zum Beispiel eine Fremdsprachenintegrationsklasse
einführen oder integrativ einzelnen Schülern Deutsch als Zweitsprache anbieten.
«Bisher war der Förderapparat schwerfällig», sagt Marianne Stöckli, Leiterin
der Abteilung Sonderpädagogik im Amt für Volksschulen (AVS). So seien die
Ressourcen bisher meist für ein ganzes Schuljahr gesprochen worden. Künftig
können die Schulleitungen flexibel entscheiden,
wie viele Lektionen Unterstützung ein Schüler, für welche Dauer erhalten soll.
Vermehrt sollen mit dem neuen Modell ganze Klassen unterstützt werden. Die Pools
müssen nicht ausgeschöpft werden.
3. Ist das
eine Sparmassnahme?
Nein, sagen die Verantwortlichen des Kantons. In der
Sonderpädagogik sollen gleichviel Mittel zur Verfügung stehen wie bisher, wobei
die Kosten im Jahr 2017 als Berechnungsbasis dienen. Im Kantonsbudget 2020 sind
68,3 Millionen Franken vorgesehen. Der Gesamtbetrag wird jeweils an die Zahl
der Schüler angepasst, also zumindest in den folgenden Jahren leicht ansteigen. Bei den
Kostenträgern gibt es keine Änderungen: Alle Angebote an der Primarschule, die
bereits bisher von den Gemeinden finanziert wurden, verbleiben in deren
Zuständigkeit.
4. Die
Lektionen-Pools sind umstritten. Weshalb?
Die Baselbieter SP hält den
Ressourcen-Pool für Förderlektionen für zu starr. Dieser orientiere sich nicht
am tatsächlichen Bedarf in den einzelnen Gemeinden und Sekundarschulorten. Die
SP fordert, zur Berechnung der Förderkontingente einen Sozialindex
einzubeziehen, der die unterschiedliche Bevölkerungsstruktur der Gemeinden
berücksichtigt. AVS-Leiter Beat Lüthy
hält entgegen, dass ein solcher Sozialindex zu kompliziert sei. Zugleich betont
er, dass durch die Schaffung eines separaten Pools für fremdsprachige Schüler
der Tatsache Rechnung getragen werde, dass der Ausländeranteil stark variiere.
Zudem betonen Lüthy und Stöckli, dass Kanton und Gemeinden Härtefallgesuche
bewilligen können. Ein Härtefall liegt zum Beispiel vor, wenn eine
fremdsprachige Familie mit vier Kindern in ein kleines Oberbaselbieter Dorf
zieht, und die dortige Primarschule über Nacht mit einem stark erhöhten
Förderbedarf konfrontiert wird.
5. Welche
Einflussmöglichkeiten haben die Eltern auf Fördermassnahmen für ihre Kinder?
Sie verfügen über ein Antrags- und Beschwerderecht. Allerdings haben die Eltern
keinen Anspruch auf eine bestimmte Massnahme. Ebenfalls können sie die
Abklärung ihres Kindes nicht verhindern, wenn die Schulleitung dies wünscht und
das AVS grünes Licht gegeben hat. Die Eltern dürfen aber den Ort bestimmen und
können ihre Kinder auch von sich aus beim Schulpsychologischen Dienst anmelden.
6. Unter das
neue Gesetz fallen Sonderschulung und Spezielle Förderung. Was ist der
Unterschied?
Spezielle Förderung unterstützt Schüler, die im Regelunterricht
nicht ausreichend gefördert werden können. Das sind Schüler mit
Lernbeeinträchtigungen, mit besonderen Begabungen oder fremdsprachige Schüler.
Die Sonderschulung unterstützt Schüler mit einer geistigen oder körperlichen
Behinderung sowie solche mit schweren Lernoder Verhaltensstörungen. In der
Sonderschulung hat der Anteil der Schüler mit Verhaltensauffälligkeiten
gegenüber jenen mit einer Behinderung in den vergangenen Jahren zugenommen.
7. Bevorzugt
das Gesetz die integrative oder separative Schulung?
«Weder noch», sagt
AVS-Leiter Beat Lüthy. Der Kanton gehe einen pragmatischen Mittelweg. Das
Baselbieter Stimmvolk hat 2010 den Beitritt zum Sonderpädagogik-Konkordat
gutgeheissen. Dieses verpflichtet den Kanton dazu, die Schüler «vorzugsweise»
integrativ, also mit spezieller Förderung neben dem Regelunterricht, zu
schulen. Dennoch will der Kanton an separativen Formen wie Einführungsoder
Kleinklassen im neuen Gesetz ausdrücklich festhalten.
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