5. Februar 2019

Junglehrer zum Thema Begabtenförderung unterstützen


Der Lehrerverband fordert in einem Positionspapier vom 24.  November 2018 mehr «Förderung von Begabtenpotenzialen». Jede Lehrperson in der Schule weiss heute, dass differenzierter Unterricht in hoch heterogenen Klassen nach Lehrplan  21 gefordert wäre, in der Praxis jedoch ungleich schwieriger zu realisieren ist. Deshalb benötigen Lehrpersonen heute auch eine bessere Grundausbildung an Pädagogischen Hochschulen. Um Missverständnissen vorzubeugen, muss ich vorausschicken: Begabte oder teilbegabte Schülerinnen gibt es. Dass die Schule und die Klassenlehrperson deswegen neue Prioritäten und Ressourcen bereitstellen müssen, bezweifle ich und halte ich für bildungspolitisch wenig realistisch. 
Begabtenförderung ist zu haben, Aargauer Zeitung, 29.1. von Martin Straumann




Die Krux liegt im Problem der Entdeckung der Begabung, der Feststellung, dass ein Kind speziell begabt ist. Bei vielen begabten Schülerinnen ist die Begabung nicht ersichtlich. Diese Schüler kaschieren ihre Begabung – wer will schon ein Streber sein? – oder die Begabung ist hinter sekundär bedingtem negativen sozialen Verhalten wie Langeweile oder Aggressivität versteckt. Also liegt das Problem nicht einfach auf der Hand. Dazu kommen die Helikopter-Eltern, die von der Schule verlangen, dass ihr «hochbegabtes» Kind in der Schule besser oder anders gefördert wird. 


Diese «underchievers», also Schülerinnen, die dank Begabungspotenzial mehr leisten könnten, zu entdecken und zu fördern, soll nun eine Priorität im Unterricht werden. Wie eine Lehr person das handhaben soll, steht jedoch nicht im Positionspapier des Dachverbands. Da ist nur die Rede von Priorität in den Schulen, mehr Ressourcen, Zeit, Weiterbildung, Evaluation und Koordination der Fachlehrpersonen. Die Klassen lehrpersonen sind jedoch schon heute überfordert, den hetero genen Leistungen ihrer Schüler mit differenzierten Angeboten zu begegnen. Ich denke, die Prioritäten für die Begabtenförderung werden falsch gesetzt. Was wäre demnach zu tun? 


Die Elterngespräche müssten in diesem Punkt professionalisiert werden. Die Lehrperson muss auf der Basis ihrer Beobachtungen mit den Eltern nach möglichen «Underchievern» fragen. Ebenso darf sie die Ansprüche von Helikopter-Eltern zurückweisen, wenn sie nicht berechtigt sind. Dazu braucht es nicht mehr Elterngespräche, sondern eine Professionalisierung der bestehenden Gefässe. Die Elterngespräche sind der Ort, wo sich unentdeckte Begabungen am ehesten zeigen. Das bedingt aber andere Fragen als bloss Gespräche über Noten. Unsere Forschung (Straumann, Lehmann und Egger 2015) zur Praxis von Elterngesprächen in Primarschulen zeigt eine grosse Varianz von professionellem bis zu völlig unprofessionellem Lehrerhandeln, das zumeist den sozialen Kontext der Eltern im Sinne einer sozialen Erwünschtheit abbildet. Dies bessert sich nur, wenn in der Schule einheitliche Standards gehandhabt und evaluiert werden. 


Voraussetzung hierfür in der Gemeinde ist die Verbesserung der Sprachkenntnisse von fremdsprachigen Eltern, damit sie in der Lage sind, an einem professionell geführten Elterngespräch ohne Übersetzer teilzunehmen. Dies müsste nicht so sehr durch Ressourcen abgegolten als durch eine Pflicht von Eltern zu Sprachkursen verfügt werden.

Es gehört schon heute zur Aufgabe der Lehrpersonen, im differenzierten Unterricht die Schülerinnen und Schüler aus sozialen Unterschichten, seien das nun Schweizer oder Ausländer, vermehrt zu fördern. Das gilt sowohl für die kognitiven wie auch insbesondere die sozialen Defizite dieser Kinder sowie deren Gegenteil im Sinne einer speziellen Begabung. Insofern ist die Sonderbegabung und das Entdecken von «Underchievern» nicht eine neue Aufgabe, sondern die Professionalisierung einer bestehenden Aufgabe. 


Seit Einführung der Pädagogischen Hochschulen in der Schweiz verfügen alle dort ausgebildeten Lehrpersonen über ein Grundwissen an Begabtenforschung. Wenn es hapert, dann eher in der Praxis, wo Junglehrer und Junglehrerinnen stärker und professioneller unterstützt werden sollten. Auch hier ist das keine Frage der Ressourcen, sondern des Akzents der Unterstützung in der bestehenden Berufseinführung. Allenfalls sind die Schulleitenden weiterzubilden, allenfalls ältere Lehrpersonen auf bestehende Weiterbildungsangebote an den Pädagogischen Hochschulen zu verpflichten. 


Wenn eine Sonderbegabung entdeckt und mithilfe des schulpsychologischen Dienstes ab gesichert ist, kann auf der Basis der kantonalen Schulgesetze der Unterricht für diese Kinder umorganisiert werden und mit freiwilligen regionalen Angeboten (Matheklub, Literaturklub, Naturforscherklub oder auch Tanzklub) ergänzt werden. Die freiwilligen Angebote müssen die Schule nichts kosten, sondern können mit dem Zurverfügungstellen der Infrastruktur der Schule in der Freizeit und mit Elternvereinen realisiert werden.

Gesamthaft ist in der Bildungspolitik darauf zu achten, dass Schulen und Lehrpersonen pädagogisch nicht noch stärker belastet werden. Weder mit mehr Elterngesprächen noch mit mehr Schulentwicklung, noch mit mehr obligatorischer Weiterbildung in Begabtenförderung. Priorität hat die Einführung des Lehrplans 21 sowie dessen pädagogische Konzepte. Denn: «Der Esel läuft nicht schneller, wenn der Karren stärker beladen wird.»

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