Kein Mensch kann durch Noten erfasst werden. Und auch konkrete
Leistungen spiegeln sich naturgemäß in einer Ziffer nur bedingt wider.
Schulnoten sind eine Krücke – die aber notwendig ist, um zu bewerten und zu
gewichten. Sie sind deshalb stets auch ideologischer Zankapfel gewesen, wie der
schwarz-grüne Koalitionsvertrag in Hessen wieder einmal zeigt. Die Grünen sehen in der Abschaffung von Noten
einen zivilisatorischen Fortschritt, die Union fürchtete einst den Untergang
des Abendlandes. Doch das war einmal. Die Koalition will nun vermehrt Schulen
die Möglichkeit geben, auf Noten zu verzichten. Das ist auch deshalb
bemerkenswert, weil die CDU nicht zuletzt wegen der verkorksten
sozialdemokratischen Bildungspolitik überhaupt in Hessen an die Macht kam.
Note in Not, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.1. von Reinhard Müller
Einstweilen ist dieses Experiment begrenzt; im Fall von Schulwechseln
soll es weiterhin ein Zeugnis mit Ziffern geben. Und überhaupt: Die
schriftlichen Bewertungen, die anstelle von Noten möglich sind, stellen
natürlich auch Leistungsnachweise dar, die – ihrer freundlichen Einhüllung, wie
man sie aus Arbeitszeugnissen kennt, entkleidet – ebenfalls harte Aussagen
treffen können. Doch steckt hinter der Debatte ein grundlegender Streit über
das Menschenbild. Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich. Sie sind aber
nicht gleich. Auch Schüler sind es nicht. Das heißt gerade nicht, dass sie sich
nicht ändern (können). Genau das zeigt sich an Noten. Mit tatsächlichen oder
vermeintlichen Ungerechtigkeiten in der Beurteilung von Leistungen zu leben,
auch das lehrt die Schule – bisweilen müssen dabei die Eltern mehr dazulernen
als die Schüler.
Gegen eine ausführliche Beurteilung und kreative Konzepte ist nichts
einzuwenden. Das ist geradezu Pflicht des Staats, der eine Schulpflicht kennt
und durchsetzt. Aber pseudopädagogisches Herumgerede, das sich um notwendige
Aussagen zum Leistungsstand herumdrückt, dient den Kindern nicht. Richtig
bleibt aber auch: Wer aus guten Gründen Noten gibt, darf sie nicht zum Fetisch
machen. Der Spruch „Aus Dir wird nichts“ ist ohnehin unsäglich; erst recht,
wenn er sich auf eine Ziffer beruft. Die Kinder sollten auch lernen, ihr
Selbstwertgefühl nicht von Noten abhängig zu machen. Und nicht nur sie.
Arbeitgeber, die sich nach Jahrzehnten noch an (Schul-)Noten von Bewerbern festbeißen,
sind kaum ernstzunehmen – und selbst irgendwo sitzengeblieben.
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