Die
Schule prägt ihre Abgänger fürs Leben, ihr eigener Werdegang aber ist vielen
gänzlich unbekannt. «Die Geschichte der Volksschule stand bisher ganz im
Schatten jener des höheren Schulwesens, also der Universität, des Gymnasiums
und der Töchterschule», so Pierre Felder. Der Basler Historiker schafft nun mit
einem umfassenden Überblickswerk Abhilfe. In «Für alle! Die Basler Volksschule
seit ihren Anfängen» veranschaulicht der ehemalige Leiter der Basler
Volksschulen, mit welchen Problemen die Schule seit ihrer faktischen Gründung
im Jahr 1880 zu kämpfen hatte. Der Blick, der bis ins 17. Jahrhundert
zurückgeht, zeigt vor allem Eines: «Für alle» war die Volksschule lange Zeit
nicht. Bis heute sind es vor allem die integrativen Anforderungen, welche die
Schule vor Schwierigkeiten stellen.
Als in der Schule noch gebetet wurde, Basellandschaftliche Zeitung, 1.2. von Mélanie Honegger
«Psychopathen» wurden isoliert
Besonders
hart traf es die Kinder mit Behinderung. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
wurden sie komplett vom Unterricht ausgeschlossen. Mit der Einführung von
Spezialklassen 1888 fand zwar eine erste Annäherung statt, von einer
Gleichstellung kann aber nicht die Rede sein. Besonders schwer erziehbare
Jugendliche wurden ins «Psychopathenheim» Farnsburg geschickt, das 1927 eröffnet
wurde. Ziel war es, die Betroffenen ihrem Umfeld zu entziehen, da eine
schädigende Wirkung vermutet wurde.
Es ist in erster Linie den privaten
Sonderschulen zu verdanken, dass Kinder mit Behinderung nach und nach den
Anschluss an die Gesellschaft fanden. Zu den Vorreitern gehörte die 1968
gegründete Christophorus-Schule. Im Verlauf der Jahre verschob sich der Fokus
von separierenden hin zu integrierenden Massnahmen, was in der Schaffung von
Integrationsklassen kurz vor der Jahrtausendwende gipfelte.
Andere Debatten
sind in der Öffentlichkeit weitaus präsenter. Gerade die Integration von
ausländischen Schülern war in der Geschichte der Volksschule zentral. Vor dem
Ersten Weltkrieg lag der Ausländeranteil in Basel bei einem Höchstwert von 38,4
Prozent. Der Druck, fremdsprachige
Kinder bereits früh mit der deutschen Sprache zu konfrontieren, wuchs aber erst
im Jahr 2000, als die Schweizer Schüler mit ihren Leseleistungen bei der
PISA-Studie überraschend schlecht abschnitten.
Das ewige Religionsdilemma
Seither
vermischt sich die Debatte rund um die Sprachkenntnisse der ausländischen
Schüler mehr denn je mit jener rund um die Religionszugehörigkeit der Kinder.
Die damit verbundene Frage nach der Trennung von Kirche und Staat bildet den
wohl grössten Konflikt in der Geschichte der Volksschule.
Bis weit ins 20.
Jahrhundert blieb die Verflechtung von Kirche und staatlicher
Schule
bestehen. 1884 wurde die Katholische Schule geschlossen, nachdem eine Mehrheit
der Protestanten den wachsenden katholischen Bevölkerungsanteil mit Misstrauen
beobachtete. Trotz des Beschlusses zur Trennung von Kirche und Staat im Jahre
1910 wurde das Schulgebet erst in den Dreissigerjahren verboten.
Andere
Probleme sind in der Schulgeschichte schon beinahe Dauerbrenner, wie Felder in
seinem Buch eindrücklich demonstriert. So ist etwa der Streit um die
obligatorische Teilnahme am Schwimmunterricht nicht erst in den letzten Jahren
entstanden. Bereits 1931 wollte ein katholischer Pfarrer Eltern dazu bringen,
ihren Kindern den Besuch der geschlechtergemischten Familienbäder Eglisee und
Breite zu verbieten. Damals hielt der Grosse Rat aufgrund mehrerer
Interpellationen fest, dass der Besuch des Gemeinschaftsbads keine Verletzung
der Religionsfreiheit darstelle.
Es sind Anekdoten wie diese, die Felders Buch
zu einem reichen Fundus an Basler Stadtbegebenheiten machen. Felder bettet
aktuelle Schuldebatten in ihren historischen und gesellschaftlichen Kontext
ein. Entstanden ist ein umfassender Beitrag zur Basler Stadtgeschichte, der
erkennen lässt, was die hiesige Gesellschaft im Verlauf der Jahrhunderte
umtrieb, welche erheblichen Fortschritte dabei bereits erzielt wurden und
welche Herausforderungen noch auf diese Stadt und ihr Schulwesen warten.
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