Wie steht es um die Kulturtechnik des Lesens mit
zunehmenden digitalen Angeboten? Und wie sollen Kinder heute eigentlich das
Lesen erlernen? Eine internationale Forschergruppe hat nun in der sogenannten
Stavanger-Erklärung Empfehlungen dazu abgegeben. Der Universitätsprofessor
Gerhard Lauer ist Mitglied dieser Gruppe und erklärt im Interview den
Unterschied zwischen digitalem und analogem Lesen.
Bildschirm versus Buch - "Digitales Lesen müssen wir zuerst lernen", SRF, 18.2. von Sarah Herwig
SRF: Welchen Unterschied macht es, wenn wir einen
Text digital an unserem Bildschirm lesen, statt ihn vor uns in einem Buch oder
einer Zeitung zu haben?
Gerhard Lauer: Die meisten von uns sind es gewohnt,
am Bildschirm eher oberflächlich und schnell zu lesen. Dadurch betreiben sie
nicht wirklich eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Inhalten des Textes.
Wieso liest man Papiertexte besser oder weniger
oberflächlich?
Der Hauptgrund ist die Gewohnheit. Wir haben das so
eingeübt. Der zweite Grund ist das Buch selbst. Wenn Sie ein Buch vor sich
haben und sie ungefähr in der Mitte des Buches sind, dann wissen Sie, dass der
Held jetzt nicht sofort sterben kann, denn die andere Hälfte des Buches braucht
den Helden ja auch noch. Sie haben also ein Gefühl für die Geschichte
entwickelt, welches sich aus der Grösse des Buches speist.
In der Stavanger Erklärung heisst es, dass der
Befund des oberflächlichen Lesens im Digitalen vor allem für Sachtexte gilt,
nicht für Romane und Geschichten. Warum ist das so?
Wenn wir einen Roman lesen, rezipieren wir einen
Text anders, als wenn wir einen Text auf Informationen hin lesen. Bei einem
Roman lesen wir immersiv. Das heisst, wir vergessen uns, schauen nicht nach
links und rechts. Wir wollen einfach von der Geschichte weitergetragen werden.
Bei Sachtexten hingegen ist es wichtig, dass wir sie argumentativ verstehen.
Wir suchen nach einer Hierarchie im Text: Welches sind die Hauptargumente und
welches sind stützende Argumente?
Hat die Generation der «Digital Natives» Vorteile,
weil sie mit dem digitalen Lesen aufwächst und nicht wie die ältere Generation
von Papier auf die Bildschirme umsteigen muss?
Sie haben nur dann Vorteile, wenn sie das digitale
Lesen richtig eingeübt haben. Und genau das ist der springende Punkt.
Digital Natives haben nur dann Vorteile beim
digitalen Lesen, wenn sie gelernt haben, auch analoge Texte sorgfältig zu
lesen.
Also ist es nicht nur eine Frage der Generation,
sondern auch der Bildung?
Ja. Es gibt diejenigen, die gelernt haben, nicht
nur schnell durchs Internet zu gehen oder bloss kurze Nachrichten zu schreiben,
sondern umfangreiche Texte zu lesen und auch zu schreiben.
Das sind meist jene Kinder und Jugendliche, die in
der Gesellschaft eher privilegierter und bildungsnäher aufgewachsen sind.
Andere, welche diese Art von Lesen und Schreiben nicht so umfangreich erlernt
haben, stehen teilweise vor einer Reihe von Problemen.
Sie geben nun als Forschernetzwerk in der
Stavanger-Erklärung eine Empfehlung ab. Was empfehlen Sie Lehrpersonen und
Erziehern?
Wir empfehlen, dass man sich weiterhin in der
Schule mit dem vertieften Lesen auseinandersetzt und dazu gehört auch, dass wir
lernen, wann welches Medium für einen das Beste ist.
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