Die Schweiz entwickelt sich zu einem Land der
Hochgebildeten. Bereits nächstes Jahr werden mehr Personen über einen
Tertiärabschluss verfügen als über einen Abschluss der Sekundarstufe II. Und ab
2030 wird rund jeder Zweite 25- bis 64-Jährige eine Hochschule oder eine höhere
Berufsbildung absolviert haben. 2017 waren es noch 43 Prozent.
Demgegenüber
sinkt der Anteil Personen, die höchstens über eine Berufslehre oder eine
gymnasiale Maturität verfügen, in den nächsten 20 Jahren von 45 auf 40 Prozent.
Immer häufiger schliessen sie danach noch eine Tertiärausbildung an. Stabil bei
rund 11 Prozent bleibt auch künftig der Anteil jener, die nach der
obligatorischen Schule keine weiterführende Ausbildung machen.
Bald hat jeder Zweite studiert, Basler Zeitung, 31.1. von Raphaela Birrer
Diese
Prognosen stellt der Bundesrat in seinem gestern verabschiedeten Bericht zu den
Folgen der demografischen Entwicklung für den Bildungsbereich. Der Analyse
liegt ein Auftrag der nationalrätlichen Bildungskommission zugrunde. Demnach
steigt das generelle Bildungsniveau in der Schweiz in den nächsten 20 Jahren.
Das entspreche der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, schreibt der Bundesrat.
Mehr
Stellen für Studierte
Daten
des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) legen das nahe: So arbeiten 70
Prozent der Personen mit einem Sek-II-Abschluss in Berufen mit einem
unterdurchschnittlichen Fachkräftebedarf.
Dagegen
sind zwei Drittel der Tertiär-Absolventen in Berufen mit überdurchschnittlichem
Bedarf tätig. Bereits in den letzten zwölf Jahren habe eine «klare Verschiebung
der Stellen» stattgefunden – hin zu Jobs, für die ein Hochschulabschluss
erforderlich ist, hält der Bundesrat fest. Die Nachfrage der Unternehmen nach
Personen mit einer Hochschulbildung ist gemäss dem Bericht so gross, dass sie
nur zu zwei Dritteln mit inländischen Arbeitskräften gedeckt werden kann; zu
einem Drittel ist die Wirtschaft auf hoch qualifizierte Zuwanderer angewiesen.
Der Bundesrat betont denn auch, dass das «künftige Gleichgewicht zwischen
Angebot und Nachfrage» entscheidend davon abhänge, wie sich die Migration
entwickle.
Der
Bildungsökonom Stefan Denzler bestätigt die erhöhte Nachfrage der Wirtschaft.
Deswegen seien weder die Löhne gesunken noch die Erwerbslosigkeit gestiegen,
obwohl die Zahl der Hochschulabsolventen stetig zugenommen habe, sagt der
stellvertretender Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für
Bildungsforschung. Die Entwicklung hin zu mehr Tertiärabschlüssen habe in der
Schweiz bereits Ende der 1990er-Jahre mit der Gründung der Fach- und
pädagogischen Hochschulen eingesetzt.
Zudem
habe in vielen Bereichen die Professionalisierung stark zugenommen. «Für viele
Berufe, die vor 20 Jahren noch auf Sekundarstufe II ausgebildet wurden, muss
man heute eine tertiäre Ausbildung absolvieren», sagt Denzler. Die damit
verbundene und häufig beklagte Akademisierung beunruhigt ihn nicht: «Solange
der Hochschulbereich nicht am Arbeitsmarkt vorbei ausbildet, ist eine weitere
Zunahme der Tertiärabschlüsse nicht problematisch.» Sowohl für Lehrabgänger als
auch für Gymnasiasten bestünden je spezifische Anschlusslösungen. Zudem sei das
System durchlässig. Einzig bei jenem Zehntel der Bevölkerung, das auch künftig
keinen Abschluss auf der Sekundarstufe II vorweisen wird, sieht Denzler
Handlungsbedarf: «Häufig sind Migranten betroffen. Hier muss die Politik
Lösungen finden.»
Befürchtete
Folgen
Die
Wirtschaft beurteilt das ähnlich – auch wenn sie Befürchtungen hegt, die Studie
stärke die universitären Hochschulen über Gebühr. «Es wäre eine
Fehlinterpretation, wenn man jetzt den universitären Bereich stark ausweiten
würde. Nicht jeder braucht einen Uni-Abschluss», sagt Jürg Zellweger,
Ressortleiter Bildung beim Arbeitgeberverband. «Wir sind in der Pflege,
Informatik oder Technik auch auf Profis mit einer höheren Berufsbildung
angewiesen.» Auch Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Gewerbeverbands, sorgt sich,
dass das heute ausgeglichene Verhältnis der Studierendenzahlen zu einseitig in
Richtung universitäre Hochschulen kippen könnte.
Auch
dazu liefert der Bericht Prognosen – und eine Entwarnung. Demnach steigt die
Zahl der Studenten in den nächsten 20 Jahren an den universitären Hochschulen
um 19 Prozent, an den Fach- und pädagogischen Hochschulen um je 25 Prozent. Was
die Studierendenzahlen für die Infrastrukturen der Bildungsinstitutionen
bedeuten, konnten gestern weder die Kantone noch die Hochschulen beurteilen:
Man müsse den fast 100-seitigen Bericht zuerst vertieft analysieren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen