Der
Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland (LVB) hat sich im vergangenen Jahr mit
teils heftiger Kritik an der Politik exponiert – mit Erfolg, wie
Geschäftsführer Michael Weiss meint. Im Gespräch mit der «Volksstimme» erklärt
er, warum die beiden Bildungsinitiativen des LVB dennoch vors Volk müssen.
Michael Weiss kämpft für eine bessere Schule in Baselland, Bild: Sebastian Schanzer
"Die Staatsschule hat Sünden begangen", Volksstimme, 4.1. von Sebastian
Schanzer
«Volksstimme»:
Herr Weiss, um ein Haar wäre es im vergangenen Jahr erstmals überhaupt zu einem
Streik der Staatsangestellten im Baselbiet gekommen. Hätten Sie sich diesen
drastischen Schritt gewünscht?
Michael Weiss: Es waren gemischte Gefühle. Ein
Streik entwickelt oft auch eine Dynamik, die man nicht voraussehen kann. Ob er
auch das Erhoffte gebracht hätte, ist eine offene Frage. Ich hätte aber
bestimmt keine Angst davor gehabt. Juristisch hatten wir uns gut abgesichert,
damit die Massnahme legal wäre.
Beim
LVB befürworteten 90 Prozent der Stimmen den Streik. Dennoch hat es nicht
gereicht, weil bei einer Urabstimmung die nicht abgegebenen Stimmen automatisch
als Nein zählen. Ist das nötige Quorum für einen Streik von zustimmenden 80
Prozent aller Staatsangestellten nicht zu hoch angesetzt?
Ich wurde von
Mitgliedern oft darauf angesprochen und wir müssen in der Tat diskutieren, ob
nicht zwei Drittel ein realistischeres Quorum sind. Allerdings: Man braucht für
ein solches Mittel schon einen grossen Rückhalt beim Personal. Wenn ein Streik
ausgerufen wird, muss man auch etwas davon sehen.
Nach
der Urabstimmung im August haben Sie eine Kampagne angekündigt, mit der Sie die
Positionen in Bildungsfragen der Landräte beleuchten möchten – inklusive
Empfehlungen Ihrerseits für die kommenden Landratswahlen. Konkretes gehört hat
man seither noch nicht.
Die Idee wäre, dass man auf einem Internetportal
Themen, die einen interessieren, ankreuzt und dann schauen kann, wie die
jeweiligen Landräte darüber abgestimmt haben. Wir sind intensiv an der Arbeit,
aber ich kann noch nicht ankündigen, wann wir das Portal aufschalten können. Es
ist ein riesengrosser Aufwand.
Die
Wahlen sind am 31. März. Viel Zeit bleibt Ihnen nicht mehr.
Es ist eine
grosse Herausforderung. Ich hoffe, wir kommen an den Punkt, den wir uns
vorgenommen haben.
Glauben
Sie, der Druck vonseiten des LVB auf Landrat und Regierung, etwa durch den
stillen Protest im Landrat oder die erwähnte Urabstimmung über einen Streik,
hat Eindruck bei den Politikern hinterlassen?
Die Massnahmen sind mit
Sicherheit nicht ohne Eindruck
geblieben. Man hat das in der vergangenen Landratsdebatte gespürt, als es um
den Teuerungsausgleich für das Staatspersonal ging. Alle Fraktionen haben
gesagt: «Jawohl, wir danken dem Personal für die Opfer, die es erbracht hat,
und es ist
gerechtfertigt, dass wir ihnen nun den Teuerungsausgleich gewähren.» Es gab
keine Gegenstimme bei der Abstimmung. Das hätte ich so nicht erwartet.
War das
beruflich Ihr bester Moment in diesem intensiven Jahr?
Das ist schwierig zu
werten. Es war sicherlich ein bedeutender Erfolg. Einen weiteren
Glücksmoment bescherte uns auch das
Kantonsgericht, als es unsere Initiative «Stopp dem Abbau an den öffentlichen
Schulen!» für gültig erklärte. Bei der Initiative war – auf Empfehlung des
regierungsrätlichen Rechtsdienstes – mit wenigen Ausnahmen der ganze Landrat
der Meinung, sie sei teilungültig. Dass das Kantonsgericht mit fünf zu null
Stimmen anders entschieden hat, gibt mir schon eine gewisse Genugtuung. Es gab
aber auch andere Fälle, die zwar unspektakulärer sind, uns aber dennoch grosse
Freude bereiteten.
Was hat
Sie auf der anderen Seite am meisten geärgert im vergangenen Jahr?
Die mit 44
zu 43 Stimmen äusserst knappe Abstimmung zu den Abfederungsmassnahmen bei der
Pensionskassenreform Ende Mai. Diese hat ja letztlich auch zur Urabstimmung
über den Streik geführt. Ärgerlich war vor allem die Knappheit des Resultats.
Wir wussten, dass es auch aus den Reihen der SVP und der FDP, die geschlossen
abgelehnt haben, Sympathisanten für unser Anliegen gab. Aber der Fraktionszwang
hat hier letztlich durchgedrückt. Den Parteien war die Ablehnung offenbar zu
wichtig, als dass sie andere Meinungen hätten tolerieren können.
Themenwechsel: In jüngster Zeit ist ein wachsendes Angebot an Privatschulen
festzustellen. Bedeutet das auch mehr Arbeit für den LVB als
Interessenvertreter der Lehrerschaft?
Aus rein gewerkschaftlicher Sicht muss
man sagen, dass damit auch die Arbeitsbedingungen unter Druck geraten. Die
meisten Privatschulen zahlen geringere Löhne, als es die öffentlichen Schulen
tun. Eine andere Frage ist, was es für den gesellschaftlichen Zusammenhalt
bedeutet, wenn jene Eltern, die es sich leisten können,
ihre
Kinder in die Privatschule schicken und die anderen eben nicht. Wie viel
investiert man überhaupt noch in die öffentlichen Schulen, wenn ihnen die
Klientel weg läuft? Der Grundgedanke bei unserem Schulsystem ist ja, dass Arm
und Reich in die gleiche Schule gehen, was ich klar befürworte.
Aber
offenbar besteht ein Bedürfnis, das die Staatsschule nicht mehr befriedigen
kann.
Ja, deshalb sind wir nicht ganz glücklich über den einsetzenden Boom von
Privatschulen. Er bedeutet, dass die Staatsschule es offenbar nicht mehr
überall schafft, die Bedürfnisse von Eltern und Kindern abzudecken. Ich bin der
Meinung, dass da gewisse Sünden begangen wurden.
Welche?
Die Einführung der integrativen Schule hat dazu geführt, dass gewisse Kinder
immer wieder hin und hergeschoben wurden und man nicht wusste, wo sie am besten
aufgehoben sind. Man hat nur für die allerschlimmsten Fälle Ressourcen
gesprochen. Für die anderen war kein Geld da. Man hat auch lange nicht bemerkt,
wie komplex das Unterrichten wird, wenn man so viele Kinder in die Regelschule integrieren und entsprechende Spezialkräfte
dafür einsetzen muss. Die Schule hat sich in verschiedenen Bereichen – auch bei
den Entscheiden zu den Passepartout
Lehrmitteln – in eine Richtung entwickelt, der die Leute nicht mehr folgen
können. Die Konsequenz ist die Suche nach Alternativen. Ich finde, das sollte
die Staatsschule auch ein bisschen wecken. Eigentlich wäre es ihr Auftrag, dem
grössten Teil der Schüler ein Angebot zu bieten, das ihnen entspricht.
Das
Staatspersonal soll derweil ein neues Lohnsystem erhalten. «Gute» Mitarbeitende
sollen im Lohn schneller steigen, «schlechte»
hingegen
ohne Zuwachs auskommen. Relevant für die
Beurteilung sollen Mitarbeitergespräche (MAG) sein. Der LVB hat sich zunächst
laut gewehrt gegen diese Pläne. In letzter Zeit wurde es aber leiser um das
Thema. Was ist geschehen? Sagen wir es so: Es ist zurzeit nicht nötig, den
Widerstand nach aussen zu tragen. Wir haben in der Arbeitsgruppe zu den neuen
MAG einen relativ grossen Gestaltungsspielraum. Den wollen wir konstruktiv
nutzen. Die Gespräche laufen recht gut. Uns wurde allerdings klar, dass wir das
System mit den Erfahrungsstufen wohl nicht bewahren können. Wir sind jetzt daran, die Prozesse zu definieren, wie
solche MAG ablaufen sollen, welche Themen behandelt werden, und wie eine Ankopplung
an die Lohnentwicklung aussehen könnte. Das Problem ist hier insbesondere die
riesige Führungsspanne. Ein Mitglied der Schulleitung ist für sehr viele
Angestellte zuständig und man sieht sich nicht ständig. Lehrer arbeiten relativ
unabhängig. Dennoch soll die Schulleitung diese Lehrpersonen bewerten – mit
Folgen für deren Lohn.
Liest
man die oft kämpferischen Ansagen des LVB an die Adresse des Kantons, könnte
man meinen, bei solchen Verhandlungen fliegen regelmässig die Fetzen. Wie
würden Sie Ihr Verhältnis zur Bildungsdirektion beschreiben?
Der Eindruck
täuscht. Wir spüren, dass unsere Arbeit vom Kanton geschätzt wird. Wir können
gut miteinander arbeiten. Aber nach aussen muss man halt bestimmt auftreten,
damit man überhaupt wahrgenommen wird.
Zurück
zu den LVBInitiativen. Vor rund anderthalb Jahren, als der Kanton noch stark
unter dem Spardiktat stand, wurden sie eingereicht. Wie dringlich sind Ihnen
die darin enthaltenen Forderungen nach «gerechter Verteilung der
Bildungsressourcen» und dem «AbbauStopp an öffentlichen Schulen» heute noch?
Gewisse Dinge sind bereits jetzt, bevor überhaupt ein Abstimmungsdatum festgelegt wurde, ähnlich
umgesetzt worden, wie wir es in den Initiativen fordern. Das überkantonale
PassepartoutProjekt,
zum Beispiel, läuft aus, und man verabschiedet sich auch inhaltlich davon. Die
Forderung, dass man auch die Bildungsverwaltung nicht von den Sparmassnahmen
ausnehmen soll, ist mittlerweile ebenfalls erfüllt. Beim Amt für Volksschulen
(AVS) wurden einige Stellen gestrichen, seit Monica Gschwind im Amt ist. Und
mittlerweile hat man auch gemerkt, dass man bei der Uni und der Fachhochschule
sparen muss und nicht allein die Sekundarschulen die Sparlast übernehmen
können. Etwas, das sich ebenfalls fast unverhofft erledigt hat, sind die Kosten
des Schulbetriebs, die nicht weiter auf die Eltern überwälzt werden sollen.
Hier hat es ein Bundesgerichtsurteil gegeben, das dazu führte, dass man mit den
bisherigen Kosten für die Eltern nun sogar zurückfahren muss. Das hat natürlich
auch negative Konsequenzen. Man muss sich jetzt fragen: «Kann man Skilager
überhaupt noch durchführen oder reicht das Geld dazu nicht mehr?» Das
Bundesgericht hat das weiter gefasst, als wir es gefordert hatten.
Dann
könnten Sie die Initiativen ja wieder zurückziehen.
Ich fände es schon gut,
wenn für künftige Sparrunden unsere Forderungen ins Bildungsgesetz geschrieben
würden. Ein wichtiges Thema sind für uns nach wie vor die Richt und
Höchstzahlen in den Klassen. Wenn man den einzelnen Kindern gerecht werden
will, kann man die Klassen nicht einfach beliebig viel grösser machen. Für
solch einen Schritt fordern wir daher ein Zwei drittelsmehr im Landrat.
Halten
Sie diese Befürchtung denn für berechtigt?
Der Kanton hat zwar davon abgesehen,
höhere Zahlen ins Gesetz zu schreiben. Aber er hat alles unternommen, um sie
noch praller zu füllen als bisher und den Spielraum noch mehr auszureizen – mit
negativen Konsequenzen. Im Frühjahr füllt man die Klassen komplett und dann
kommen im August noch Kinder dazu, etwa wegen Zuzügen oder Repetitionen. Freie
Plätze gibt es aber nicht mehr. Die Planung wurde dadurch nur komplizierter. Ob
man aber etwas gespart hat, weiss ich nicht.
Dass
vieles von der Regierung bereits umgesetzt wurde, was die Initiativen
fordern, steigert nicht gerade deren Chancen vor dem Volk. Zudem lehnen
Regierung und Landrat die Begehren ab.
Dass die Politik keine Freude an den
Initiativen hat, verstehe ich zu einem gewissen Grad. Grundsätzlich sind
Politiker ja ohnehin nicht erfreut an Volksinitiativen, weil sie der Meinung
sind, sie seien die Einzigen, die Politik zu gestalten haben.
Zur
Person ssc. Michael Weiss ist Lehrer für Mathematik, Physik und Informatik am
Gymnasium in Muttenz. Seit 2013 setzt er sich als Geschäftsführer und
Vizepräsident des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland für die Anliegen des
Lehrpersonals ein. Rund die Hälfte der Baselbieter Lehrerinnen und Lehrer sind
Mitglied beim Berufsverband. Weiss wohnt mit seiner Frau und drei schulpflichtigen
Kindern in Pratteln.
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