6. Januar 2019

"Um wahrgenommen zu werden, muss man bestimmt auftreten"


Der Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland (LVB) hat sich im vergangenen Jahr mit teils heftiger Kritik an der Politik exponiert – mit Erfolg, wie Geschäftsführer Michael Weiss meint. Im Gespräch mit der «Volksstimme» erklärt er, warum die beiden Bildungsinitiativen des LVB dennoch vors Volk müssen.
Michael Weiss kämpft für eine bessere Schule in Baselland, Bild: Sebastian Schanzer
"Die Staatsschule hat Sünden begangen", Volksstimme, 4.1. von Sebastian Schanzer


«Volksstimme»: Herr Weiss, um ein Haar wäre es im vergangenen Jahr erstmals überhaupt zu einem Streik der Staatsangestellten im Baselbiet gekommen. Hätten Sie sich diesen drastischen Schritt gewünscht? 
Michael Weiss: Es waren gemischte Gefühle. Ein Streik entwickelt oft auch eine Dynamik, die man nicht voraussehen kann. Ob er auch das Erhoffte gebracht hätte, ist eine offene Frage. Ich hätte aber bestimmt keine Angst davor gehabt. Juristisch hatten wir uns gut abgesichert, damit die Massnahme legal wäre.

Beim LVB befürworteten 90 Prozent der Stimmen den Streik. Dennoch hat es nicht gereicht, weil bei einer Urabstimmung die nicht abgegebenen Stimmen automatisch als Nein zählen. Ist das nötige Quorum für einen Streik von zustimmenden 80 Prozent aller Staatsangestellten nicht zu hoch angesetzt? 
Ich wurde von Mitgliedern oft darauf angesprochen und wir müssen in der Tat diskutieren, ob nicht zwei Drittel ein realistischeres Quorum sind. Allerdings: Man braucht für ein solches Mittel schon einen grossen Rückhalt beim Personal. Wenn ein Streik ausgerufen wird, muss man auch etwas davon sehen.

Nach der Urabstimmung im August haben Sie eine Kampagne angekündigt, mit der Sie die Positionen in Bildungsfragen der Landräte beleuchten möchten – inklusive Empfehlungen Ihrerseits für die kommenden Landratswahlen. Konkretes gehört hat man seither noch nicht. 
Die Idee wäre, dass man auf einem Internetportal Themen, die einen interessieren, ankreuzt und dann schauen kann, wie die jeweiligen Landräte darüber abgestimmt haben. Wir sind intensiv an der Arbeit, aber ich kann noch nicht ankündigen, wann wir das Portal aufschalten können. Es ist ein riesengrosser Aufwand.

Die Wahlen sind am 31. März. Viel Zeit bleibt Ihnen nicht mehr. 
Es ist eine grosse Herausforderung. Ich hoffe, wir kommen an den Punkt, den wir uns vorgenommen haben.

Glauben Sie, der Druck vonseiten des LVB auf Landrat und Regierung, etwa durch den stillen Protest im Landrat oder die erwähnte Urabstimmung über einen Streik, hat Eindruck bei den Politikern hinterlassen? 
Die Massnahmen sind mit Sicherheit  nicht ohne Eindruck geblieben. Man hat das in der vergangenen Landratsdebatte gespürt, als es um den Teuerungsausgleich für das Staatspersonal ging. Alle Fraktionen haben gesagt: «Jawohl, wir danken dem Personal für die Opfer, die es erbracht hat, und es ist gerechtfertigt, dass wir ihnen nun den Teuerungsausgleich gewähren.» Es gab keine Gegenstimme bei der Abstimmung. Das hätte ich so nicht erwartet.

War das beruflich Ihr bester Moment in diesem intensiven Jahr? 
Das ist schwierig zu werten. Es war sicherlich ein bedeutender Erfolg. Einen weiteren Glücksmoment  bescherte uns auch das Kantonsgericht, als es unsere Initiative «Stopp dem Abbau an den öffentlichen Schulen!» für gültig erklärte. Bei der Initiative war – auf Empfehlung des regierungsrätlichen Rechtsdienstes – mit wenigen Ausnahmen der ganze Landrat der Meinung, sie sei teilungültig. Dass das Kantonsgericht mit fünf zu null Stimmen anders entschieden hat, gibt mir schon eine gewisse Genugtuung. Es gab aber auch andere Fälle, die zwar unspektakulärer sind, uns aber dennoch grosse Freude bereiteten.

Was hat Sie auf der anderen Seite am meisten geärgert im vergangenen Jahr? 
Die mit 44 zu 43 Stimmen äusserst knappe Abstimmung zu den Abfederungsmassnahmen bei der Pensionskassenreform Ende Mai. Diese hat ja letztlich auch zur Urabstimmung über den Streik geführt. Ärgerlich war vor allem die Knappheit des Resultats. Wir wussten, dass es auch aus den Reihen der SVP und der FDP, die geschlossen abgelehnt haben, Sympathisanten für unser Anliegen gab. Aber der Fraktionszwang hat hier letztlich durchgedrückt. Den Parteien war die Ablehnung offenbar zu wichtig, als dass sie andere Meinungen hätten tolerieren können.

Themenwechsel: In jüngster Zeit ist ein wachsendes Angebot an Privatschulen festzustellen. Bedeutet das auch mehr Arbeit für den LVB als Interessenvertreter der Lehrerschaft? 
Aus rein gewerkschaftlicher Sicht muss man sagen, dass damit auch die Arbeitsbedingungen unter Druck geraten. Die meisten Privatschulen zahlen geringere Löhne, als es die öffentlichen Schulen tun. Eine andere Frage ist, was es für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeutet, wenn jene Eltern, die es sich leisten können,
ihre Kinder in die Privatschule schicken und die anderen eben nicht. Wie viel investiert man überhaupt noch in die öffentlichen Schulen, wenn ihnen die Klientel weg läuft? Der Grundgedanke bei unserem Schulsystem ist ja, dass Arm und Reich in die gleiche Schule gehen, was ich klar befürworte.

Aber offenbar besteht ein Bedürfnis, das die Staatsschule nicht mehr befriedigen kann. 
Ja, deshalb sind wir nicht ganz glücklich über den einsetzenden Boom von Privatschulen. Er bedeutet, dass die Staatsschule es offenbar nicht mehr überall schafft, die Bedürfnisse von Eltern und Kindern abzudecken. Ich bin der Meinung, dass da gewisse Sünden begangen wurden.

Welche?
Die Einführung der integrativen Schule hat dazu geführt, dass gewisse Kinder immer wieder hin­ und hergeschoben wurden und man nicht wusste, wo sie am besten aufgehoben sind. Man hat nur für die allerschlimmsten Fälle Ressourcen gesprochen. Für die anderen war kein Geld da. Man hat auch lange nicht bemerkt, wie komplex das Unterrichten wird, wenn man so viele Kinder in die Regelschule  integrieren und entsprechende Spezialkräfte dafür einsetzen muss. Die Schule hat sich in verschiedenen Bereichen – auch bei den Entscheiden zu den  Passepartout­ Lehrmitteln – in eine Richtung entwickelt, der die Leute nicht mehr folgen können. Die Konsequenz ist die Suche nach Alternativen. Ich finde, das sollte die Staatsschule auch ein bisschen wecken. Eigentlich wäre es ihr Auftrag, dem grössten Teil der Schüler ein Angebot zu bieten, das ihnen entspricht.

Das Staatspersonal soll derweil ein neues Lohnsystem erhalten. «Gute» Mitarbeitende sollen im Lohn schneller steigen, «schlechte»
hingegen ohne Zuwachs auskommen.  Relevant für die Beurteilung sollen Mitarbeitergespräche (MAG) sein. Der LVB hat sich zunächst laut gewehrt gegen diese Pläne. In letzter Zeit wurde es aber leiser um das Thema. Was ist geschehen? Sagen wir es so: Es ist zurzeit nicht nötig, den Widerstand nach aussen zu tragen. Wir haben in der Arbeitsgruppe zu den neuen MAG einen relativ grossen Gestaltungsspielraum. Den wollen wir konstruktiv nutzen. Die Gespräche laufen recht gut. Uns wurde allerdings klar, dass wir das System mit den Erfahrungsstufen wohl nicht bewahren können. Wir sind  jetzt daran, die Prozesse zu definieren, wie solche MAG ablaufen sollen, welche Themen behandelt werden, und wie eine Ankopplung an die Lohnentwicklung aussehen könnte. Das Problem ist hier insbesondere die riesige Führungsspanne. Ein Mitglied der Schulleitung ist für sehr viele Angestellte zuständig und man sieht sich nicht ständig. Lehrer arbeiten relativ unabhängig. Dennoch soll die Schulleitung diese Lehrpersonen bewerten – mit Folgen für deren Lohn.

Liest man die oft kämpferischen Ansagen des LVB an die Adresse des Kantons, könnte man meinen, bei solchen Verhandlungen fliegen regelmässig die Fetzen. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur Bildungsdirektion beschreiben? 
Der Eindruck täuscht. Wir spüren, dass unsere Arbeit vom Kanton geschätzt wird. Wir können gut miteinander arbeiten. Aber nach aussen muss man halt bestimmt auftreten, damit man überhaupt wahrgenommen wird.

Zurück zu den LVB­Initiativen. Vor rund anderthalb Jahren, als der Kanton noch stark unter dem Spardiktat stand, wurden sie eingereicht. Wie dringlich sind Ihnen die darin enthaltenen Forderungen nach «gerechter Verteilung der Bildungsressourcen» und dem «Abbau­Stopp an öffentlichen Schulen» heute noch? 
Gewisse Dinge sind bereits jetzt, bevor überhaupt ein  Abstimmungsdatum festgelegt wurde, ähnlich umgesetzt worden, wie wir es in den Initiativen fordern. Das überkantonale Passepartout­Projekt, zum Beispiel, läuft aus, und man verabschiedet sich auch inhaltlich davon. Die Forderung, dass man auch die Bildungsverwaltung nicht von den Sparmassnahmen ausnehmen soll, ist mittlerweile ebenfalls erfüllt. Beim Amt für Volksschulen (AVS) wurden einige Stellen gestrichen, seit Monica Gschwind im Amt ist. Und mittlerweile hat man auch gemerkt, dass man bei der Uni und der Fachhochschule sparen muss und nicht allein die Sekundarschulen die Sparlast übernehmen können. Etwas, das sich ebenfalls fast unverhofft erledigt hat, sind die Kosten des Schulbetriebs, die nicht weiter auf die Eltern überwälzt werden sollen. Hier hat es ein Bundesgerichtsurteil gegeben, das dazu führte, dass man mit den bisherigen Kosten für die Eltern nun sogar zurückfahren muss. Das hat natürlich auch negative Konsequenzen. Man muss sich jetzt fragen: «Kann man Skilager überhaupt noch durchführen oder reicht das Geld dazu nicht mehr?» Das Bundesgericht hat das weiter gefasst, als wir es gefordert hatten.

Dann könnten Sie die Initiativen ja wieder zurückziehen. 
Ich fände es schon gut, wenn für künftige Sparrunden unsere Forderungen ins Bildungsgesetz geschrieben würden. Ein wichtiges Thema sind für uns nach wie vor die Richt­ und Höchstzahlen in den Klassen. Wenn man den einzelnen Kindern gerecht werden will, kann man die Klassen nicht einfach beliebig viel grösser machen. Für solch einen Schritt fordern wir daher ein Zwei drittelsmehr im Landrat.

Halten Sie diese Befürchtung denn für berechtigt? 
Der Kanton hat zwar davon abgesehen, höhere Zahlen ins Gesetz zu schreiben. Aber er hat alles unternommen, um sie noch praller zu füllen als bisher und den Spielraum noch mehr auszureizen – mit negativen Konsequenzen. Im Frühjahr füllt man die Klassen komplett und dann kommen im August noch Kinder dazu, etwa wegen Zuzügen oder Repetitionen. Freie Plätze gibt es aber nicht mehr. Die Planung wurde dadurch nur komplizierter. Ob man aber etwas gespart hat, weiss ich nicht.

Dass vieles von der Regierung bereits umgesetzt wurde, was die Initiativen fordern, steigert nicht gerade deren Chancen vor dem Volk. Zudem lehnen Regierung und Landrat die Begehren ab. 
Dass die Politik keine Freude an den Initiativen hat, verstehe ich zu einem gewissen Grad. Grundsätzlich sind Politiker ja ohnehin nicht erfreut an Volksinitiativen, weil sie der Meinung sind, sie seien die Einzigen, die Politik zu gestalten haben.


Zur Person ssc. Michael Weiss ist Lehrer für Mathematik, Physik und Informatik am Gymnasium in Muttenz. Seit 2013 setzt er sich als Geschäftsführer und Vizepräsident des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland für die Anliegen des Lehrpersonals ein. Rund die Hälfte der Baselbieter Lehrerinnen und Lehrer sind Mitglied beim Berufsverband. Weiss wohnt mit seiner Frau und drei schulpflichtigen Kindern in Pratteln.

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