24. Januar 2019

Thurgauer Kantonsrat will einheitliches Zeugnis


Ungewohnt einstimmig äussern sich die Kantonsräte zur neuen Leistungsbeurteilung in der Schule. Die Regierung müsse ein Machtwort sprechen, damit die Noten einheitlich und aussagekräftig daherkommen.
Grosser Rat kritisiert Zeugnis, Thurgauer Zeitung, 24.1. von Larissa Flammer


Karin Bétrisey hat ihr altes Schulzeugnis in die Grossratssitzung mitgenommen: ein kleines Heftchen. In der anderen Hand hält sie das Zeugnis ihrer Tochter. Die GP-Kantonsrätin (Kesswil) sagt: «Das heutige Zeugnis ist doppelt so gross, dafür steht nur halb so viel drin.» Dass das aktuelle Thurgauer Volksschulzeugnis seine Schwächen hat, darin sind sich die Kantonsräte am Mittwoch in Weinfelden einig. «Chaotisch» und «überstürzt» seien die Änderungen im Sommer 2017 eingeführt worden. Angestossen haben die Diskussion sechs Kantonsräte mit ihrer Interpellation «Thurgauer Schulzeugnisse 2017/2018 – aussagekräftig und vergleichbar?»

Der wichtigste Punkt sei, dass die Zeugnisse innerhalb des Kantons gleich aussehen, sagt Erstunterzeichner Urs Schrepfer (SVP, Busswil). Im Moment können Lehrer selber entscheiden, ob sie gewisse Fächer zusammenfassend mit einer Note bewerten wollen. Schrepfers Parteikollege Daniel Vetterli (Rheinklingen) findet deutliche Worte: «Wir fordern die Regierung auf, klar Stellung zu beziehen.» Viele Kantonsräte sprechen sich für einzelne Noten aus. «Sie entsprechen der zunehmenden Spezialisierung in unserer Welt», sagt etwa Karin Bétrisey.

Handreichung zur Interpretation gefordert
Lehrmeister und weiterführende Schulen kritisieren zudem die Aussagekraft der Schulzeugnisse. «Das Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten sagt mir oft mehr als die Noten», sagt Viktor Gschwend (FDP, Neukirch). Marianne Sax (SP, Frauenfeld) ruft sogar oft die Lehrperson an, weil sie dem Zeugnis nicht entnehmen kann, was sie wissen will. Neben Einzelnoten und einheitlichen Formularen fordert sie deshalb auch eine Handreichung zur Interpretation der Beurteilungen – auch für Ausbildner.

Reto Ammann (GLP, Kreuzlingen) bringt eine neue Idee ein: «Warum stärken wir nicht die subjektive Beurteilung der Lehrer?» Sie könnten einschätzen, ob ein Jugendlicher zum Beispiel Erfindergeist oder Ausdauer zeigt, und einschätzen, ob eine Person für eine Bäckerlehre taugt.

Ein dritter Kritikpunkt ist die Vergabe des Auftrags für ein Software-Programm zur Zeugniserfassung. «Jetzt hätte die Möglichkeit bestanden, ein ideales Tool zu finden», sagt Andreas Wirth (SVP, Frauenfeld). Alternativen zu Lehrer-Office, dem heutigen Tool, seien vorhanden. Wirth ist der Meinung, dass die freihändige Vergabe des Auftrags die Finanzkompetenz der Regierung überschritten hat.

Ob dem so ist, kann Regierungsrätin Knill nicht sagen. Die Frage werde an die Geschäftsprüfungskommission weitergegeben. Das Volksschulamt habe aber vier Alternativen zu Lehrer-Office geprüft, vielleicht gebe es eine Wahlfreiheit. Die anderen Kritikpunkte werden in die Erarbeitung der definitiven Beurteilungsgrundlage einfliessen. Es sei ein Vorteil für den Thurgau, dass jetzt genau geprüft werden könne, welche Ansprüche bestehen. Knill bestätigt: «Ja, wir brauchen ein einheitliches, aussagekräftiges und gut lesbares Zeugnis.»

Kommentar
Die Kritik ist angekommen
Dass Ausbildner bei Lehrern nachfragen müssen, was ein Schulabgänger kann, darf nicht sein. Es bedeutet nicht nur Mehraufwand, sondern macht Schulnoten fragwürdig. Auch dass einzelne Branchen Testverfahren für künftige Lehrlinge entwickeln, ist ein schlechtes Zeichen für die Aussagekraft von Zeugnissen.
Der mit Kompetenzen arbeitende neue Lehrplan müsste es möglich machen, die Schüler differenzierter zu beurteilen. Denn Fachnoten erfassen die Persönlichkeit nicht und überlassen vieles der Interpretation. Werden dem Zeugnis Kompetenzprofile beigelegt und diese sinnvoll umgesetzt, könnten Lehrer ihre Schüler individueller beurteilen. Vielleicht liesse sich sogar die Idee von Kantonsrat Reto Ammann umsetzen, die Eignung der Jugendlichen für konkrete Berufe einzuschätzen.
Es ist offensichtlich, dass der Kanton die kritisierten Punkte verbessern will. Schon vor einem Jahr sagte der Chef des Volksschulamts gegenüber dieser Zeitung, dass die Interpellation eine Chance sei, um eine politisch tragfähige Lösung zu finden.
Larissa Flammer


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