In
Debatten um den Zukunftsweg unserer Schulen ist die Optik oft auf Schlagworte
ausgerichtet. „Computer flächendeckend und schon in der ersten Klasse“ steht
Positionen entgegen, welche dies für eine Verengung des Blickwinkels halten.
Kritik an der Vorlage „Bildungsoffensive“ vom 10. Februar.
"Nicht alles ist Förderung der Bildung", Hallowil, 28.1. von Peter Küpfer
Ein
gut besuchtes Expertenreferat im Hof zu Wil gab fachlichen Überblick. Der St.
Galler Hochschuldozent Mario Andreotti stiess mit seinem Thema auf grosses
Interesse. Hans Walter Guidon, Präsident des einladenden Vereins „Starke
Volksschule St. Gallen“, erwähnte in der Begrüssung die bevorstehende kantonale
Abstimmung („Bildungsoffensive“ 10. Februar 2019) über eine weiteres
folgenschweres Reformprojekt. Guidon warnte davor, alles für eine Förderung der
Bildung zu halten, nur weil Computer zum Einsatz gelangen.
Das Wesentliche stärken
Der
Referent ging nicht konkret auf das kostspielige neue Reformvorhaben
„Bildungsoffensive“ ein. Er machte aber gleich zu Beginn seines Vortrages klar,
was er für wirkliche und solide Bildung hält: Ein Unterricht, der sich von den
Bedürfnissen der Kinder herleitet, der ihre geistige und seelische Entwicklung
berücksichtigt und fördert.
Ein
solcher Unterricht sei nach wie vor zentral an Lehrerinnen und Lehrer gebunden.
Die flächendeckende Umwandlung unserer Schulräume in „Lernlandschaften“, wo
unsere Kinder die meiste Zeit isoliert vor dem Bildschirm verbringen, sei der
falsche Weg.
Digitalisierung, nicht überall Zaubermittel
Andreotti
warf ein kritisches Licht auf die „Reformitis“, die seit den 90er Jahren die
Schweizer Schulen zu Dauerbaustellen verwandelt hätten. Heute heisse es von den
Befürwortern oft, die Schweizer Volksschule könne ohne tiefgreifende
Veränderungen die Nachfrage nach zeitgemäss ausgebildeten Arbeitskräften nicht
mehr gewährleisten.
Als
Zaubermittel werde in diesem Zusammenhang die konsequente Digitalisierung des
Unterrichts, schon in den ersten Klassen, gefordert. Dies sei aber der falsche
Weg. Sicher könne der Computer in der Schule sinnvoll benützt werden. Seine
flächendeckende Einführung in den Schulalltag sei aber gleichbedeutend mit dem
Verzicht auf vieles, das unsere Volksschule bisher geprägt und zu einer der
besten in Europa gemacht habe.
Früh-Fremdsprachen als Selbstbetrug
In
erster Linie gehe es um das gefestigte, systematisch erworbene Wissen und
Verstehen. Der schnelle Mausklick könne das nicht ersetzen. Andreotti erwähnte
in diesem Zusammenhang als schlechtes Beispiel die Einführung des
Frühfremdsprachen-Unterrichts. Es sei heute erwiesen, dass das abstrakte
Denken, nötig zum wirklichen Erlernen einer Fremdsprache, erst ab dem 12.
Altersjahr einsetze.
Schulzimmer wird zum Grossraumbüro
Auch
anderes werde dem „neuen Lernen“ aufgeopfert. Zum Beispiel das durch nichts zu
ersetzende Gespräch im Klassenverband. Dort gehe es nicht nur um richtig oder
falsch, sondern um das Einüben von sozialem Verhalten und Toleranz.
Stattdessen
sitzen im „neuen“ Unterricht, so gab der Referent zu bedenken, die Kinder
hauptsächlich vor dem Bildschirm, im Prinzip allein gelassen, oft sogar durch
Sichtsperren von einander isoliert. Das Schulzimmer als Lebensraum verwandle
sich damit in eine Art Grossraumbüro.
Unpädagogische Konzepte
Der
Referent bemängelte, die heute dominierende Kompetenzorientierung unseres
Volksschulunterrichts sei nicht von der Pädagogik oder Entwicklungspsychologie
her motiviert, sondern von Konzepten der Wirtschaft, genauer der
Globalisierer.
Sie
entspreche nicht europäischer Schultradition, die sich gerade in der Schweiz
auf Rousseau und Pestalozzi abstütze, sondern amerikanischen Auffassungen, die
sich vom Utilitarismus (dem Nützlichkeitsdenken) herleiten. Dort regiere schon
lange das Lernen für den Test und damit die entsprechende Nivellierung und
Zerstückelung des Wissens.
Lebhafte Diskussion
Die
engagierte Diskussion, an der sich auch besorgte Eltern und Lehrkräfte zu Wort
meldeten, bekräftigte Andreottis Befunde mit Beispielen aus dem Schulalltag. Er
ist durch zunehmenden Stress bei allen Beteiligten gekennzeichnet.
Andreottis
Schlussworte wurden mit anhaltendem Applaus quittiert: „Viel zu lange schon
wurde und wird Bildung drauf los reformiert und deformiert. Wie gut die Schule
funktioniert, hängt auch in Zukunft weder von der Klassengrösse noch von
irgendwelchen Unterrichtsmethoden und schon gar nicht vom Computer ab, sondern
von der Persönlichkeit tüchtiger Lehrer.“
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