30. Januar 2019

Computer bedeutet nicht Bildung

In Debatten um den Zukunftsweg unserer Schulen ist die Optik oft auf Schlagworte ausgerichtet. „Computer flächendeckend und schon in der ersten Klasse“ steht Positionen entgegen, welche dies für eine Verengung des Blickwinkels halten. Kritik an der Vorlage „Bildungsoffensive“ vom 10. Februar.
"Nicht alles ist Förderung der Bildung", Hallowil, 28.1. von Peter Küpfer

Ein gut besuchtes Expertenreferat im Hof zu Wil gab fachlichen Überblick. Der St. Galler Hochschuldozent Mario Andreotti stiess mit seinem Thema auf grosses Interesse. Hans Walter Guidon, Präsident des einladenden Vereins „Starke Volksschule St. Gallen“, erwähnte in der Begrüssung die bevorstehende kantonale Abstimmung („Bildungsoffensive“ 10. Februar 2019) über eine weiteres folgenschweres Reformprojekt. Guidon warnte davor, alles für eine Förderung der Bildung zu halten, nur weil Computer zum Einsatz gelangen.

Das Wesentliche stärken
Der Referent ging nicht konkret auf das kostspielige neue Reformvorhaben „Bildungsoffensive“ ein. Er machte aber gleich zu Beginn seines Vortrages klar, was er für wirkliche und solide Bildung hält: Ein Unterricht, der sich von den Bedürfnissen der Kinder herleitet, der ihre geistige und seelische Entwicklung berücksichtigt und fördert. 
Ein solcher Unterricht sei nach wie vor zentral an Lehrerinnen und Lehrer gebunden. Die flächendeckende Umwandlung unserer Schulräume in „Lernlandschaften“, wo unsere Kinder die meiste Zeit isoliert vor dem Bildschirm verbringen, sei der falsche Weg. 

Digitalisierung, nicht überall Zaubermittel

Andreotti warf ein kritisches Licht auf die „Reformitis“, die seit den 90er Jahren die Schweizer Schulen zu Dauerbaustellen verwandelt hätten. Heute heisse es von den Befürwortern oft, die Schweizer Volksschule könne ohne tiefgreifende Veränderungen die Nachfrage nach zeitgemäss ausgebildeten Arbeitskräften nicht mehr gewährleisten. 

Als Zaubermittel werde in diesem Zusammenhang die konsequente Digitalisierung des Unterrichts, schon in den ersten Klassen, gefordert. Dies sei aber der falsche Weg. Sicher könne der Computer in der Schule sinnvoll benützt werden. Seine flächendeckende Einführung in den Schulalltag sei aber gleichbedeutend mit dem Verzicht auf vieles, das unsere Volksschule bisher geprägt und zu einer der besten in Europa gemacht habe. 

Früh-Fremdsprachen als Selbstbetrug

In erster Linie gehe es um das gefestigte, systematisch erworbene Wissen und Verstehen. Der schnelle Mausklick könne das nicht ersetzen. Andreotti erwähnte in diesem Zusammenhang als schlechtes Beispiel die Einführung des Frühfremdsprachen-Unterrichts. Es sei heute erwiesen, dass das abstrakte Denken, nötig zum wirklichen Erlernen einer Fremdsprache, erst ab dem 12. Altersjahr einsetze.

Schulzimmer wird zum Grossraumbüro

Auch anderes werde dem „neuen Lernen“ aufgeopfert. Zum Beispiel das durch nichts zu ersetzende Gespräch im Klassenverband. Dort gehe es nicht nur um richtig oder falsch, sondern um das Einüben von sozialem Verhalten und Toleranz. 
Stattdessen sitzen im „neuen“ Unterricht, so gab der Referent zu bedenken, die Kinder hauptsächlich vor dem Bildschirm, im Prinzip allein gelassen, oft sogar durch Sichtsperren von einander isoliert. Das Schulzimmer als Lebensraum verwandle sich damit in eine Art Grossraumbüro. 

Unpädagogische Konzepte

Der Referent bemängelte, die heute dominierende Kompetenzorientierung unseres Volksschulunterrichts sei nicht von der Pädagogik oder Entwicklungspsychologie her motiviert, sondern von Konzepten der Wirtschaft, genauer der Globalisierer. 
Sie entspreche nicht europäischer Schultradition, die sich gerade in der Schweiz auf Rousseau und Pestalozzi abstütze, sondern amerikanischen Auffassungen, die sich vom Utilitarismus (dem Nützlichkeitsdenken) herleiten. Dort regiere schon lange das Lernen für den Test und damit die entsprechende Nivellierung und Zerstückelung des Wissens. 

Lebhafte Diskussion

Die engagierte Diskussion, an der sich auch besorgte Eltern und Lehrkräfte zu Wort meldeten, bekräftigte Andreottis Befunde mit Beispielen aus dem Schulalltag. Er ist durch zunehmenden Stress bei allen Beteiligten gekennzeichnet. 
Andreottis Schlussworte wurden mit anhaltendem Applaus quittiert: „Viel zu lange schon wurde und wird Bildung drauf los reformiert und deformiert. Wie gut die Schule funktioniert, hängt auch in Zukunft weder von der Klassengrösse noch von irgendwelchen Unterrichtsmethoden und schon gar nicht vom Computer ab, sondern von der Persönlichkeit tüchtiger Lehrer.“


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