24. Dezember 2018

"Bin gegen Homeschooling"


Dieter Baur, Leiter der Basler Volksschule, bricht eine Lanze für die Schulpflicht
«Ich bin gegen Homeschooling», Basler Zeitung, 18.12. von Dina Sambar 


BaZ: Dieter Baur, Sie sind der Leiter Volksschulen in Basel. Das Schulgesetz ist in unserem Kanton in Sachen Homeschooling sehr restriktiv. Auch Sie persönlich sind ein Verfechter der Schulpflicht. Weshalb?
Dieter Baur: Ich finde es für die Entwicklung eines Kindes völlig falsch, wenn es zu Hause unterrichtet wird. In der Schule wird nicht nur Fachwissen vermittelt, Kinder erlernen dort auch emotionale und soziale Kompetenzen. Wenn Kinder zu Hause unterrichtet werden, fehlt ihnen ein grosser Teil der Sozialisation. Denn zu Hause verhalten sich Kinder völlig anders als in einem anderen Umfeld. Ich war Mathematik- und Sportlehrer und hätte meine Kinder sicher kompetent in diesen Fächern unterrichten können. Ihnen hätte aber ein grosser Teil der Schulerfahrung, insbesondere der menschlichen Entwicklung, gefehlt. Deshalb bin ich gegen Homeschooling.

Homeschooling-Familien machen geltend, dass ihre Kinder sehr wohl Kontakte zu Gleichaltrigen pflegen – etwa beim Ausüben der Hobbys. Die sozialen Kontakte seien sogar breiter gefächert, weil mehr Raum bleibe, um beispielsweise ältere Nachbarn zu besuchen.
Alle, die in die Schule gehen, haben auch Hobbys und ältere Nachbarn. Das Heikle ist, dass all diese Kontakte auf Freiwilligkeit beruhen. Man besucht den Nachbarn nur, wen man ihn auch mag. Seine Klassenkameraden wählt man sich nicht selber aus. Die Schüler müssen lernen, sich auch mit Kindern auseinanderzusetzen, die sie nicht mögen. Man kann in der Freizeit allem ausweichen, in der Schule geht das nicht, dort muss man sich den Problemen stellen. Das ist ziemlich wichtig für das spätere Leben.

Es gibt Studien, welche die Alterstrennung in der Schule als unnatürlich bezeichnen. Die Bezugsgruppe der Gleichaltrigen sei überbewertet.
Ich sehe das nicht so. Diese Gruppe der Gleichaltrigen ist höchst wertvoll. Man lernt auch von anderen Kindern. Es ist spannend und lehrreich zu sehen, wie beispielsweise Schulkollegen ein Problem lösen.

Mobbing wird es beim Homeschoolen jedoch kaum geben.
Wohl kaum. Natürlich gibt es in der Schule eher Situationen, die nicht gut sind für Kinder. In solchen Fällen muss man etwas unternehmen, beispielsweise die Schulsozialarbeit hinzuziehen oder, im schlimmsten Fall, die Klasse oder Schule wechseln.

Unter den Homeschoolern gibt es auch die Unschooler, die auf den Lehrplan verzichten und das Lernen ganz den Interessen ihrer Kinder unterordnen. Nur durch das selbstmotivierte Lernen werde deren Lernlust nicht erstickt – was zu nachhaltigeren Lernerfolgen führe als in der Schule.
Die beste Motivation, die es gibt, ist eigenes Interesse. Das intrinsische Lernen, also das Lernen aus eigenem Antrieb, nimmt im Laufe der Jahre sicher ab. Ich gehe jedoch davon aus, dass dieser eigene Antrieb auch bei den Homeschoolern mit zunehmendem Alter kleiner wird. Selbstverständlich gibt es Leute, die ihr ganzes Leben lang Wissen wie ein Schwamm aufsaugen – egal, ob sie in die Schule gehen oder zu Hause unterrichtet werden. Zudem muss man auch lernen, Dinge zu tun, die man nicht so gerne macht.

Sie zweifeln auch daran, dass ein Kind Interesse für alle Bereiche der Allgemeinbildung aufbringt.
Es gibt Kinder, die verstehen nie, weshalb sie Französisch lernen sollen. Werden sie zu Hause nach dem Prinzip des freien Lernens unterrichtet, würden sie kein Wort Französisch lernen – dieselben Diskussionen finden in allen Fachbereichen statt. Niemand benötigt im Leben alles, was man lernt, dennoch ist ein gute Allgemeinbildung eminent wichtig. Die Volksschule kann und muss nicht für jedes einzelne Kind die individuell angepasste Schulform oder individualisierte Inhalte bieten, sie soll in verschiedensten Bereichen entscheidende Kompetenzen vermitteln.

Nicht alle Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, sind Pädagogen. Dies ist laut Homeschoolern auch nicht nötig. Schliesslich müsse man nicht eine ganze Klasse unterrichten, sondern nur die eigenen Kinder, die man sehr gut kenne.
Das ist völlig falsch. Lehrer haben nicht nur fachlich einen ganz anderen Hintergrund, sie haben auch Routine, Vergleichswerte und Erfahrungen mit anderen Kindern, mit anderen Jahrgängen. Lehrpersonen haben eine langjährige spezifische Ausbildung. Nur weil man selbst einmal in die Schule ging, hat man noch lange nicht die Fähigkeit, zu unterrichten, auch nicht eine einzelne Schülerin oder einen einzelnen Schüler.

Homeschooler fürchten die Intervention der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb). Wird Ihrer Meinung nach bei der Bildung zu Hause das Kindeswohl gefährdet?
Die Kesb wird nicht automatisch eingeschaltet. Wir machen nur eine Meldung, wenn wir aufgrund des Gesprächs, das wir bei einem Homeschooling-Gesuch mit den Eltern führen, das Gefühl haben, das Kind sei gefährdet. Natürlich schauen wir die Situation ganz genau an.

Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken wollen, wandern teilweise ins Ausland oder in andere Kantone ab, wo Homeschooling genehmigt wird. Andere Familien bezahlen eine Busse und unterrichten ihre Kinder trotzdem zu Hause.
Hier herrscht eine gewisse Ohnmacht. Wir müssen die Situation so akzeptieren, wir können die Kinder ja nicht von der Polizei abholen und in die Schule bringen lassen, dann würden wir das Kindeswohl gefährden.


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