Dieter
Baur, Leiter der Basler Volksschule, bricht eine Lanze für die Schulpflicht
«Ich bin gegen Homeschooling», Basler Zeitung, 18.12. von Dina Sambar
BaZ: Dieter Baur, Sie sind
der Leiter Volksschulen in Basel. Das Schulgesetz ist in unserem Kanton in
Sachen Homeschooling sehr restriktiv. Auch Sie persönlich sind ein Verfechter
der Schulpflicht. Weshalb?
Dieter
Baur: Ich finde es für die Entwicklung eines Kindes völlig falsch, wenn es zu
Hause unterrichtet wird. In der Schule wird nicht nur Fachwissen vermittelt,
Kinder erlernen dort auch emotionale und soziale Kompetenzen. Wenn Kinder zu
Hause unterrichtet werden, fehlt ihnen ein grosser Teil der Sozialisation. Denn
zu Hause verhalten sich Kinder völlig anders als in einem anderen Umfeld. Ich
war Mathematik- und Sportlehrer und hätte meine Kinder sicher kompetent in
diesen Fächern unterrichten können. Ihnen hätte aber ein grosser Teil der
Schulerfahrung, insbesondere der menschlichen Entwicklung, gefehlt. Deshalb bin
ich gegen Homeschooling.
Homeschooling-Familien
machen geltend, dass ihre Kinder sehr wohl Kontakte zu Gleichaltrigen pflegen –
etwa beim Ausüben der Hobbys. Die sozialen Kontakte seien sogar breiter
gefächert, weil mehr Raum bleibe, um beispielsweise ältere Nachbarn zu
besuchen.
Alle,
die in die Schule gehen, haben auch Hobbys und ältere Nachbarn. Das Heikle ist,
dass all diese Kontakte auf Freiwilligkeit beruhen. Man besucht den Nachbarn
nur, wen man ihn auch mag. Seine Klassenkameraden wählt man sich nicht selber
aus. Die Schüler müssen lernen, sich auch mit Kindern auseinanderzusetzen, die
sie nicht mögen. Man kann in der Freizeit allem ausweichen, in der Schule geht
das nicht, dort muss man sich den Problemen stellen. Das ist ziemlich wichtig
für das spätere Leben.
Es
gibt Studien, welche die Alterstrennung in der Schule als unnatürlich
bezeichnen. Die Bezugsgruppe der Gleichaltrigen sei überbewertet.
Ich
sehe das nicht so. Diese Gruppe der Gleichaltrigen ist höchst wertvoll. Man
lernt auch von anderen Kindern. Es ist spannend und lehrreich zu sehen, wie
beispielsweise Schulkollegen ein Problem lösen.
Mobbing
wird es beim Homeschoolen jedoch kaum geben.
Wohl
kaum. Natürlich gibt es in der Schule eher Situationen, die nicht gut sind für
Kinder. In solchen Fällen muss man etwas unternehmen, beispielsweise die
Schulsozialarbeit hinzuziehen oder, im schlimmsten Fall, die Klasse oder Schule
wechseln.
Unter
den Homeschoolern gibt es auch die Unschooler, die auf den Lehrplan verzichten
und das Lernen ganz den Interessen ihrer Kinder unterordnen. Nur durch das
selbstmotivierte Lernen werde deren Lernlust nicht erstickt – was zu
nachhaltigeren Lernerfolgen führe als in der Schule.
Die
beste Motivation, die es gibt, ist eigenes Interesse. Das intrinsische Lernen,
also das Lernen aus eigenem Antrieb, nimmt im Laufe der Jahre sicher ab. Ich
gehe jedoch davon aus, dass dieser eigene Antrieb auch bei den Homeschoolern
mit zunehmendem Alter kleiner wird. Selbstverständlich gibt es Leute, die ihr
ganzes Leben lang Wissen wie ein Schwamm aufsaugen – egal, ob sie in die Schule
gehen oder zu Hause unterrichtet werden. Zudem muss man auch lernen, Dinge zu
tun, die man nicht so gerne macht.
Sie
zweifeln auch daran, dass ein Kind Interesse für alle Bereiche der
Allgemeinbildung aufbringt.
Es
gibt Kinder, die verstehen nie, weshalb sie Französisch lernen sollen. Werden
sie zu Hause nach dem Prinzip des freien Lernens unterrichtet, würden sie kein
Wort Französisch lernen – dieselben Diskussionen finden in allen Fachbereichen
statt. Niemand benötigt im Leben alles, was man lernt, dennoch ist ein gute
Allgemeinbildung eminent wichtig. Die Volksschule kann und muss nicht für jedes
einzelne Kind die individuell angepasste Schulform oder individualisierte
Inhalte bieten, sie soll in verschiedensten Bereichen entscheidende Kompetenzen
vermitteln.
Nicht
alle Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, sind Pädagogen. Dies ist laut
Homeschoolern auch nicht nötig. Schliesslich müsse man nicht eine ganze Klasse
unterrichten, sondern nur die eigenen Kinder, die man sehr gut kenne.
Das
ist völlig falsch. Lehrer haben nicht nur fachlich einen ganz anderen
Hintergrund, sie haben auch Routine, Vergleichswerte und Erfahrungen mit
anderen Kindern, mit anderen Jahrgängen. Lehrpersonen haben eine langjährige
spezifische Ausbildung. Nur weil man selbst einmal in die Schule ging, hat man
noch lange nicht die Fähigkeit, zu unterrichten, auch nicht eine einzelne
Schülerin oder einen einzelnen Schüler.
Homeschooler
fürchten die Intervention der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb). Wird
Ihrer Meinung nach bei der Bildung zu Hause das Kindeswohl gefährdet?
Die
Kesb wird nicht automatisch eingeschaltet. Wir machen nur eine Meldung, wenn
wir aufgrund des Gesprächs, das wir bei einem Homeschooling-Gesuch mit den
Eltern führen, das Gefühl haben, das Kind sei gefährdet. Natürlich schauen wir
die Situation ganz genau an.
Eltern,
die ihre Kinder nicht in die Schule schicken wollen, wandern teilweise ins
Ausland oder in andere Kantone ab, wo Homeschooling genehmigt wird. Andere
Familien bezahlen eine Busse und unterrichten ihre Kinder trotzdem zu Hause.
Hier
herrscht eine gewisse Ohnmacht. Wir müssen die Situation so akzeptieren, wir
können die Kinder ja nicht von der Polizei abholen und in die Schule bringen
lassen, dann würden wir das Kindeswohl gefährden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen