Unruhe im
Klassenzimmer: Seit einstige Kleinklassen- und Sonderschüler integrativ in der
Regelklasse geschult werden, ist der Unterricht vielerorts zur täglichen
Geduldsprobe geworden.
Den wahren Preis akzeptieren, Tages Anzeiger, 31.10. von Raphaela Birrer
Die grössten Probleme bereiten den Lehrerinnen und
Lehrern nicht körperlich oder geistig behinderte Kinder, die eng
heilpädagogisch betreut werden, sondern Verhaltensauffällige, die häufig keinen
Förderstatus haben und entsprechend keine spezifische Unterstützung erhalten.
Kinder also, die den Unterricht lahmlegen, die Klasse ablenken und den Lehrer
an die Belastungsgrenze bringen können.
Auffälliges Verhalten ist allerdings
stets auch abhängig vom Umfeld. Es kann sich zum Beispiel verstärken, wenn sich
ein Kind zu wenig beachtet oder überfordert fühlt. In der integrativen Schule
fehlen vielen Lehrern die Ressourcen, um dem Bedürfnis nach erhöhter
Aufmerksamkeit jederzeit nachzukommen.
Eine Lösung sieht die Lehrerschaft in
sogenannten Schulinseln. Das Konzept sieht eigene Räumlichkeiten für
kurzzeitige Time-outs vor – einen pädagogisch betreuten Ort, an dem die
betroffenen Kinder zur Ruhe kommen und am Schulstoff arbeiten können.
Der
Zürcher Lehrerverband fordert, dass künftig jeder Schule eine solche Insel zur
Verfügung stehen soll. Berufsverbände anderer Kantone unterstützen das
Anliegen. Die Schulinsel soll sozusagen als flankierende Massnahme der
integrativen Förderung etabliert werden. Schweizweit arbeiten bereits einzelne
Schulhäuser mit solch niederschwelligen Angeboten. Ihre Erfahrungen lassen den
Schluss zu, dass es mithilfe der Schulinsel gelingt, akut belastende
Situationen zu deeskalieren.
Das kann – entgegen den Befürchtungen der Kritiker
– langfristig sogar zu einer besseren Integration der betroffenen Schüler
beitragen, weil alle Beteiligten nach der kurzen Auszeit wieder mehr Kraft
haben. Und im Idealfall hilft die Insel sogar, Kosten zu sparen – dann etwa,
wenn Lehrer auszubrennen drohen oder Schüler vor einem teuren externen Timeout
stehen.
Doch die Schulinsel bekämpft letztlich nur die Symptome eines viel
grösseren Missstands: Die Regelschulen sind auch zehn Jahre nach der Einführung
der integrativen Förderung vielerorts überfordert mit dieser anspruchsvollen
Aufgabe.
Die häufig nur punktuelle heilpädagogische Unterstützung im
Klassenzimmer reicht bei weitem nicht aus, um jedes Kind seinen Bedürfnissen
entsprechend zu betreuen. Sollen schwierige Situationen bereits in der Klasse
und nicht erst in der Insel gelöst werden, muss dort investiert werden. Es
braucht mehr Heilpädagogen.
Solange die Politik jedoch den wahren Preis der
Integration nicht akzeptieren will – so lange werden die Schulen auf Konzepte
wie Schulinseln setzen müssen, um handlungsfähig zu bleiben.
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