13. November 2018

Liebe Eltern, nehmt den Kindern endlich das Smartphone weg!


Smartphones für Kinder: ja oder nein? Diese Frage spaltet gerade die Meinungen vieler Eltern. Die Hilflosigkeit wächst mit der Ausbreitung der Geräte, nach den Erwachsenen sind jetzt die Kinder dran. Letztlich gibt der Netzwerkeffekt den Ton vor. Je mehr Menschen ein solches Gerät haben, desto mehr glauben, ebenfalls eines zu brauchen. Die Debatte wird jedoch allenfalls oberflächlich geführt, nämlich als Gretchenfrage des Digitalzeitalters: Wie hältst du es mit dem Fortschritt? Stattdessen sollte man fragen: Was bringen Smartphones Kindern, und was nehmen sie ihnen?
Liebe Eltern, nehmt den Kindern endlich das Smartphone weg! NZZ, 13.11. von Milosz Matuschek


Hier zeigt sich ein Konflikt, der über die Frage hinausgeht, ob ein Taschencomputer für 800 Franken in die Hände eines zehnjährigen Kindes gehört oder nicht. Es geht im Kern um Massstäbe in der Erziehung, und die haben sich gewaltig verschoben. Daran sind nicht die Ansprüche der Kinder schuld, sondern die Haltung der Eltern. Kindeswohl bedeutet für manche nicht mehr, primär danach zu fragen, was dem Kind am besten tut oder dessen Entwicklung fördert, sondern schlicht, das zu tun, was die Kinder wollen.

Nicht die Eltern erziehen heute die Kinder, sondern umgekehrt. Die Eltern verstecken ihre Unwissenheit über Risiken und Nebenwirkungen früher Smartphone-Nutzung hinter der Illusion, die Kinder seien irgendwie näher an der Digitalisierung dran und kennten sich daher besser aus. Nach den Helikopter-Eltern, die das Kind nie aus den Augen lassen, und den Bulldozer-Eltern, die alle Probleme aus dem Weg räumen, damit das Kind auch ja nie lernt, wie man es selbst tut, kommen nun die Concierge-Eltern, die glauben, den Kindern jeden Wunsch von den Augen ablesen zu müssen.

Machen wir uns nichts vor: Hinter der digitalen Erziehungsverweigerung steht letztlich der Komfortwunsch der Eltern. Konsum und Unterhaltung zu Pädagogik umzulabeln, wird jedoch ebenso wenig funktionieren, wie das früher bei der Debatte um Fernsehkonsum oder Computerspiele funktioniert hat. Techniknostalgie («wir haben damals auch bis zum Sendeschluss TV geguckt»), Technikignoranz («ist doch nur ein Kommunikationstool wie das Telefon») und der Verweis auf das Erziehungsversagen der anderen («die Hälfte der Klasse hat auch ein Smartphone») sollte niemandem mehr zur Gewissensberuhigung reichen.

Das Gerede vom Anschluss an die Welt von morgen, den man angeblich nicht verpassen darf, ist pure Augenwischerei. Das Smartphone bereitet Kinder nicht aufs Leben vor, es lenkt eher davon ab; die Benutzung von Siri, Google Maps oder Candy Crush kann man später immer noch lernen. Verträge dürfen Minderjährige ohnehin noch nicht abschliessen. Unbemerkt entäussern sie sich jedoch ihrer Daten, lassen sich tracken und erstellen spielerisch nebenbei eine digitale Akte von sich. Viele Kinder isolieren sich, sehen weniger Sinn in Gemeinschaftserlebnissen, schliesslich schickt man sich ja den ganzen Tag schon Emojis, Gifs und amputierte Sätze.

Digitallobbyisten vom Schlage Sascha Lobos reagieren auf Kritik am Smartphone trotzdem gewohnt beleidigt; er selbst hält die Debatte für rückwärtsgewandt und vergiftet. Doch warum ausgerechnet Kinder als Versuchskaninchen für naiven Optimismus der Älteren herhalten sollen, erschliesst sich nicht. Dass Apps süchtig machen sollen, behaupten längst nicht mehr nur Kritiker, sondern die Konstrukteure selbst. Von einem Werbetexter muss man vielleicht keine Gesellschaftskritik erwarten, aber vielleicht doch die Beschäftigung mit ein paar Kritikpunkten, die aktueller sind als die eigene Frisur.


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