Für
gezielte Wortschatzerweiterung in der Erstsprache erweist sich der Unterricht
in Mensch und Umwelt als Königsweg für aufbauendes Lernen. Doch Geschichte hat
einen schweren Stand in der Schule.
Der Geschichtsunterricht hat einen schweren Stand – wie sich das auf die Deutschkenntnisse der Kinder auswirkt, NZZ, 7.11. von Hanspeter Amstutz
· Der Geschichtsunterricht in der Volksschule hat einen schweren Stand.
Bei den grossen Evaluationen wie Pisa ist Geschichte inexistent, und im Urteil
vieler Schüler gilt das Fach als verstaubt. Im Kanton Zürich wird gerade noch
eine Wochenstunde für Geschichte gewährt. Das ist höchst bedauerlich, denn ein
lebendiger Geschichtsunterricht schafft wie Biologie, Geografie und Technik
eine Grundlage für das Verstehen wesentlicher Zusammenhänge. Die Fächergruppe
Mensch und Umwelt zählt zum Kernbereich der Bildung und ist von zentraler
Bedeutung für die Förderung der schulischen Erstsprache.
Enger Stundenplan
Doch der Platz für die Realienfächer ist knapper geworden, seit neue
Fächer wie die frühen Fremdsprachen oder die Informatik den Vorrang bekommen
haben. Zudem werden die Realienfächer häufig dafür zweckentfremdet, Aufträge
aus andern Bereichen aufzunehmen. Doch dieser Verdrängungsprozess hat seinen
Preis: Man untergräbt das Fundament des sachbezogenen Deutschunterrichts.
Für gezielte Wortschatzerweiterung und allgemeines Sprachbad erweist
sich der Unterricht in Mensch und Umwelt als eigentlicher Königsweg für
aufbauendes Lernen. Beim Bau eines Elektromotors erleben Jugendliche, wie
elektromagnetische Kräfte wirken und welchen Bauteilen wichtige Funktionen
zukommen. Solche Einsichten mit den treffenden Ausdrücken festzuhalten, ist
fruchtbarer Spracherwerb. Die Kompetenz, Erlebtes zu verstehen und zu
verarbeiten, bildet auch einen wichtigen Zugang zu Geschichte und Geografie.
Wie viele sprachfördernde Impulse gehen von einer spannenden Erzählung
einer Lehrerin aus, wenn schicksalhaftes Geschehen im Zentrum steht! Das
Eintauchen in die Dramatik epochaler Ereignisse oder das Kennenlernen anderer
Kulturen bieten eine Fülle an horizonterweiternden Inhalten. Werden diese
schülergerecht vermittelt, kommt die Sprache unmittelbar zum Zug. Nicht die
Menge des behandelten Schulstoffs ist dabei entscheidend, sondern die
gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema.
Guter Realienunterricht holt ein Stück Welt ins Schulzimmer. Wer sich in
relevanten Themen präzis in der deutschen Sprache ausdrücken kann, erschafft
sich ein Weltbild, das eine gute Orientierung ermöglicht und zur eigenen
Urteilsfähigkeit beiträgt. Damit wird auch die Grundlage für eine bessere
Medienbildung geschaffen.
Das tägliche
Sprachbad
Das tägliche Sprachbad im Realienunterricht stellt hohe Anforderungen an
die fachliche und sprachliche Kompetenz der Lehrkräfte. Doch die Aufgabe wird
unterschätzt. Zwar wurde im Bereich Natur und Technik in jüngster Zeit einiges
investiert, doch sonst ist die Realien-Fachdidaktik an den Pädagogischen
Hochschulen eher im Hintertreffen. Es würde sich lohnen, in der Lehrerbildung
mehr Zeit für Themen einzusetzen, die im Realienunterricht der gewählten Stufe
wirklich relevant sind. Warum soll nicht die Kubakrise als Höhepunkt des Kalten
Krieges im Geschichtsunterricht inhaltlich aufbereitet und didaktisch in eine
Lektionsreihe umgesetzt werden?
Praxisnahe Geschichtsdidaktik trägt auch viel zur Bildung der
Lehrerpersönlichkeit bei. Dabei stehen sowohl die Förderung der Erzählkunst wie
die Fähigkeit zur kritischen Analyse im Vordergrund. Im Fokus bleibt aber stets
der junge Mensch, den man für ein Fach begeistern und für die Freude am
sprachlichen Ausdruck gewinnen möchte.
Es erstaunt nicht, dass vermehrt die Frage nach dem Wesentlichen in der
Pädagogik gestellt wird. Der neue Lehrplan gibt dazu keine überzeugende
Antwort. Zu vieles wird als Bildungsziel postuliert, mit dem Resultat, dass
manches nur angetippt werden kann.
Deutsch lernen erfordert viele
Trainingsstunden, Zeit für Lektüre und immer wieder das Eintauchen in die Welt
der beliebten Realienfächer. Die Förderung der Erstsprache beansprucht viel
Zeit. Der Ausbau des Unterrichts in Mensch und Umwelt ist deshalb ein wichtiger
Schritt zu einem besseren Deutschunterricht.
Hanspeter Amstutz ist ehemaliger Sekundarlehrer, Kantonsrat
und Bildungsrat; von 2007 bis 2011 war er Kursleiter in der Lehrerfortbildung
(ZAL).
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