7. November 2018

Geschichte als Königsweg zu gutem Deutsch


Für gezielte Wortschatzerweiterung in der Erstsprache erweist sich der Unterricht in Mensch und Umwelt als Königsweg für aufbauendes Lernen. Doch Geschichte hat einen schweren Stand in der Schule.
Der Geschichtsunterricht hat einen schweren Stand – wie sich das auf die Deutschkenntnisse der Kinder auswirkt, NZZ, 7.11. von Hanspeter Amstutz


·        Der Geschichtsunterricht in der Volksschule hat einen schweren Stand. Bei den grossen Evaluationen wie Pisa ist Geschichte inexistent, und im Urteil vieler Schüler gilt das Fach als verstaubt. Im Kanton Zürich wird gerade noch eine Wochenstunde für Geschichte gewährt. Das ist höchst bedauerlich, denn ein lebendiger Geschichtsunterricht schafft wie Biologie, Geografie und Technik eine Grundlage für das Verstehen wesentlicher Zusammenhänge. Die Fächergruppe Mensch und Umwelt zählt zum Kernbereich der Bildung und ist von zentraler Bedeutung für die Förderung der schulischen Erstsprache.

Enger Stundenplan
Doch der Platz für die Realienfächer ist knapper geworden, seit neue Fächer wie die frühen Fremdsprachen oder die Informatik den Vorrang bekommen haben. Zudem werden die Realienfächer häufig dafür zweckentfremdet, Aufträge aus andern Bereichen aufzunehmen. Doch dieser Verdrängungsprozess hat seinen Preis: Man untergräbt das Fundament des sachbezogenen Deutschunterrichts.

Für gezielte Wortschatzerweiterung und allgemeines Sprachbad erweist sich der Unterricht in Mensch und Umwelt als eigentlicher Königsweg für aufbauendes Lernen. Beim Bau eines Elektromotors erleben Jugendliche, wie elektromagnetische Kräfte wirken und welchen Bauteilen wichtige Funktionen zukommen. Solche Einsichten mit den treffenden Ausdrücken festzuhalten, ist fruchtbarer Spracherwerb. Die Kompetenz, Erlebtes zu verstehen und zu verarbeiten, bildet auch einen wichtigen Zugang zu Geschichte und Geografie.

Wie viele sprachfördernde Impulse gehen von einer spannenden Erzählung einer Lehrerin aus, wenn schicksalhaftes Geschehen im Zentrum steht! Das Eintauchen in die Dramatik epochaler Ereignisse oder das Kennenlernen anderer Kulturen bieten eine Fülle an horizonterweiternden Inhalten. Werden diese schülergerecht vermittelt, kommt die Sprache unmittelbar zum Zug. Nicht die Menge des behandelten Schulstoffs ist dabei entscheidend, sondern die gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema.

Guter Realienunterricht holt ein Stück Welt ins Schulzimmer. Wer sich in relevanten Themen präzis in der deutschen Sprache ausdrücken kann, erschafft sich ein Weltbild, das eine gute Orientierung ermöglicht und zur eigenen Urteilsfähigkeit beiträgt. Damit wird auch die Grundlage für eine bessere Medienbildung geschaffen.

Das tägliche Sprachbad
Das tägliche Sprachbad im Realienunterricht stellt hohe Anforderungen an die fachliche und sprachliche Kompetenz der Lehrkräfte. Doch die Aufgabe wird unterschätzt. Zwar wurde im Bereich Natur und Technik in jüngster Zeit einiges investiert, doch sonst ist die Realien-Fachdidaktik an den Pädagogischen Hochschulen eher im Hintertreffen. Es würde sich lohnen, in der Lehrerbildung mehr Zeit für Themen einzusetzen, die im Realienunterricht der gewählten Stufe wirklich relevant sind. Warum soll nicht die Kubakrise als Höhepunkt des Kalten Krieges im Geschichtsunterricht inhaltlich aufbereitet und didaktisch in eine Lektionsreihe umgesetzt werden?

Praxisnahe Geschichtsdidaktik trägt auch viel zur Bildung der Lehrerpersönlichkeit bei. Dabei stehen sowohl die Förderung der Erzählkunst wie die Fähigkeit zur kritischen Analyse im Vordergrund. Im Fokus bleibt aber stets der junge Mensch, den man für ein Fach begeistern und für die Freude am sprachlichen Ausdruck gewinnen möchte.

Es erstaunt nicht, dass vermehrt die Frage nach dem Wesentlichen in der Pädagogik gestellt wird. Der neue Lehrplan gibt dazu keine überzeugende Antwort. Zu vieles wird als Bildungsziel postuliert, mit dem Resultat, dass manches nur angetippt werden kann.

Deutsch lernen erfordert viele Trainingsstunden, Zeit für Lektüre und immer wieder das Eintauchen in die Welt der beliebten Realienfächer. Die Förderung der Erstsprache beansprucht viel Zeit. Der Ausbau des Unterrichts in Mensch und Umwelt ist deshalb ein wichtiger Schritt zu einem besseren Deutschunterricht.

Hanspeter Amstutz ist ehemaliger Sekundarlehrer, Kantonsrat und Bildungsrat; von 2007 bis 2011 war er Kursleiter in der Lehrerfortbildung (ZAL).



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