1. Oktober 2018

Anspruch und Wirklichkeit bei ICT


«Die Schülerinnen und Schüler können Programme mit Schleifen, bedingten Anweisungen und Parametern schreiben und testen». So lautet eine unter vielen Kompetenzen, welche Schülerinnen und Schüler in der 6. Klasse beim Abschluss der Primarschule erworben haben sollten. Nachzulesen ist dies im geltenden Lehrplan. In Tat und Wahrheit ist dies heute aber bloss Wunschdenken für eine fernere Zukunft. Noch hinkt die Praxis hinter den Zielen der Erfinder des Lehrplans 21 hinterher. Nicht nur im Kanton Baselland.
Die Digitalisierung hat Verspätung, 22.9. von Thomas Dähler


An der Delegiertenversammlung des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland (LVB), an der sich die Mitglieder diese Woche mit dem Schwerpunkt «Digitalisierung und Schule» befassten, war breiter Unmut spürbar: Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Das gilt ganz besonders für die Primarschulen. Inzwischen müssen Primarlehrerinnen und -lehrer etwa mit Fremdsprachen-Lehrmitteln arbeiten, für welche ein Computer-Zugang nötig wäre, aber vielerorts gar keiner vorhanden ist. Oder die nötige Software darauf fehlt.

Die ICT-Strategie, welche der Kanton Baselland vor fünf Jahren beschlossen hat, krankt in den kantonalen Schulen an ungenügend vorauskalkulierten Finanzmitteln und an einem ambitiösen Zeitplan, der nicht einzuhalten ist. In den Primarschulen, die sich im Verantwortungsbereich der Gemeinden befinden, ist der einst gesetzte Rahmen vielerorts nicht umgesetzt. Beim Übertritt von der Primar- in die Sekundarschule wird sichtbar, dass es im Baselbiet für die Schülerinnen und Schüler im Umgang mit der digitalen Herausforderung keine Chancengerechtigkeit gibt.

Das kann nicht auf die leichte Schulter genommen werden. In neun von zehn Berufen braucht es heute digitale Kompetenzen. Die Schulen müssen die Jugendlichen auf diese Berufswelt vorbereiten. An der Umsetzung der Lernziele im Bereich der Informatik führt kein Weg vorbei.

Wer dereinst über Anwendungskompetenzen und Kenntnisse von Programmiersprachen verfügen oder wer mit Medien kritisch umgehen soll, müsste darauf vorbereitet werden. Dies beginnt in der Primarschule und darf nicht daran scheitern, dass eine Gemeinde nicht die nötigen Ressourcen für ihre Schule aufbringen will. Die digitale Welt ist komplex. Der Umgang mit ihr kann nicht einfach den Kindern und dem Elternhaus überlassen werden. Diese sind, wie der Alltag zeigt, damit überfordert.

Zwei hauptsächliche Problemfelder sind in den Baselbieter Schulen auszumachen: Noch ist offen, ob künftig allen Lehrkräften und allen Schülerinnen und Schülern ein Arbeitsgerät zum Gebrauch abgegeben werden soll, ob sich private Geräte nach dem Prinzip «Bring your own device» durchsetzen oder ob eine Mischform anzustreben ist. Und offen ist auch, wie die Lehrkräfte entsprechend weitergebildet werden. Bei beiden Problemfeldern ist die Finanzierung die Herausforderung – besonders auf Gemeindeebene. Die öffentliche Hand wird bei beiden Problemfeldern pragmatische, finanzierbare Lösungen finden müssen – wie dies auch in anderen Kantonen geschehen ist und im Baselbiet evaluiert wird.

Es ist im Interesse der Kinder und Jugendlichen, dass die offenen technischen Fragen möglichst bald gelöst werden. Sie verdecken die Sicht auf grundsätzlichere Probleme des digitalen Unterrichts in den Schulen. Es stellt sich eine Reihe von Fragen: Wie können Kinder und Jugendliche für die digitale Welt begeistert werden und Medienkompetenz erwerben, ohne dabei süchtig oder gar cyberkrank zu werden? Wie können nicht IT-affine Eltern von der wichtigen Rolle der digitalen Medien überzeugt werden? Wie verträgt sich die Digitalisierung des Alltags mit dem humanistisch geprägten Bildungssystem?

Bei den Lehrerinnen und Lehrern ist zurzeit viel Unmut spürbar, weil sie Aufgaben erfüllen müssen, aber nicht über die erforderlichen Mittel dazu verfügen. Eine Reihe von Kritiken sind berechtigt. So monieren die Lehrerinnen und Lehrer, dass sie von der Bildungsverwaltung bei der Lösung offener Probleme nicht miteinbezogen werden. Auch schätzen es die Lehrkräfte nicht, dass sich die kantonale ICT-Abteilung in pädagogische Fragen einmischt. Sie kritisieren, dass die Bildungsdirektion bei den Gemeinden nicht interveniert, wenn mangels Ressourcen die Unterrichtsziele nicht erfüllbar sind. Und sie prangern den Missstand an, dass der IT-Support vielerorts nur dank ehrenamtlicher Arbeit funktioniert.

Gemessen an den einst formulierten Zielen der ICT-Strategie, gibt es zu viele Lücken. Immerhin war vor fünf Jahren auf politischer Ebene formuliert worden, dass bis 2018 Voraussetzungen geschaffen werden, die «den Kanton Baselland im kantonalen Vergleich wieder in das vordere Drittel hinsichtlich Schulinformatik bringen».Schule und Digitalisierung: Dahinter stecken eine Reihe von Chancen und Herausforderungen, die nicht an Ausrüstung und Support scheitern dürfen.


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