Wie vertrauenswürdig sind
Sprachassistierende wie Siri und Alexa, die uns bei der digitalen Suche nach
Wissen behilflich sind? Die Frage wird in Zukunft auch in der Medienbildung zu
diskutieren sein. Bereits jetzt haben gemäss der Adele-Studie der Zürcher Hochschule
für Angewandte Wissenschaften Kleinkinder dank den Möglichkeiten mündlicher
Sprachbefehle einen neuartigen Zugang zur digitalen Informationswelt gefunden.
Erkennen, was "alternative Fakten" sind, NZZ, 1.9. von Philippe Weber
Die Frage des Vertrauens stellt sich allerdings bereits heute.
Empirische Untersuchungen bestätigen die alltägliche Erfahrung von Lehrerinnen
und Lehrern, dass Jugendliche mehrheitlich im Copy-Paste-Verfahren
recherchieren. Sie folgen den Vorschlägen von Suchmaschinen, pflücken für sie
relevante Informationen heraus, um sie anschliessend zu sammeln,
zusammenzufassen und zu ordnen.
Brei aus diffusen Informationen
Diese Praxis des «Verkürzens und Verknüpfens», wie es der Basler
Didaktiker Jan Hodel nennt, setzt zwar durchaus Kompetenzen und Wissen voraus,
lässt aber einen entscheidenden Schritt aus, nämlich die Prüfung der Herkunft
und der Qualität der Informationen. Informationen aus wissenschaftlichen
Artikeln, journalistischen Texten, privaten Blogs, Lexika-Einträgen mit
anonymer Autorschaft und Dokumentationen von Interessengruppen und Marketingbeiträge
werden unter diesen Voraussetzungen zu einem Brei schwer überprüfbarer
Informationen verarbeitet.
Das blinde Vertrauen in der Praxis steht häufig in einem Kontrast
zu den Reflexionen über die Vertrauenswürdigkeit von Informationen. Wenn
Schülerinnen und Schüler über Medien sprechen, üben sie sich zumindest in
Gegenwart von Lehrpersonen und Interviewern in Skeptizismus. Man müsse immer
kritisch sein, und überhaupt werde man manipuliert. Besonders die klassischen
Medien schneiden schlecht ab.
Das Forschungsinstitut GfS Bern berechnete in einer
repräsentativen Umfrage, dass nur 17 Prozent der Schweizer Jugendlichen bei
politischen Themen Journalistinnen und Journalisten vertrauen. Die kritische
Haltung hält die Jugendlichen offenbar nicht davon ab, irgendwelche
Informationen ungeprüft zu nutzen. Wer in seiner Reflexion über eine diffuse
Skepsis nicht hinauskommt, tut sich in der Praxis schwer mit einem
differenzierten Umgang.
Defizite in der Ausbildung
Auf irritierende Weise spiegeln sich die Defizite der Lernenden im
didaktischen Angebot der Medienbildung. Im schulischen Alltag wird viel
recherchiert, zuweilen auch gewarnt und selten differenziert über die Qualität
von Informationen nachgedacht. Das verbreitete Lehrmittel «Medienkompass» des
Zürcher Lehrmittelverlags nennt immerhin einige «Anhaltspunkte», mit denen sich
die Zuverlässigkeit von Websites einschätzen lasse. Was die Produktion von
zuverlässigen Informationen ausmacht, wird hingegen nirgends erklärt.
Vielleicht wirkt weiterhin die skeptizistische Rhetorik der
Medienbildung aus den 1970er Jahren nach. Sie verhindert, das Konzept der
Kritik differenzierter zu denken und den digitalen Bedingungen der Gegenwart
anzupassen. Selbst der neue, 2017 von der Eidgenössischen
Erziehungsdirektorenkonferenz verabschiedete Rahmenlehrplan für das Fach
Informatik an Gymnasien bedient die Floskel von «Chancen und Risiken» und holt
für den Umgang mit «Softwarelösungen» den diffusen Imperativ hervor, diese
«effektiv, aber auch kritisch zu nutzen».
Im Lehrplan 21 wird hingegen das Ziel, Medien «eigenständig,
kritisch und kompetent» zu nutzen, mit einer Referenz auf ein differenzierteres
Qualitätsbewusstsein versehen: «Die Schülerinnen und Schüler können
Informationen aus verschiedenen Quellen gezielt beschaffen, auswählen und
hinsichtlich Qualität und Nutzen beurteilen.» Diese normative Setzung des
Lehrplans 21 ist zweifellos positiv. Wie sie allerdings konkret umgesetzt
werden kann, bleibt die grosse Leerstelle in der alltäglichen Medienbildung.
Skeptizismus genügt nicht
Die Reduktion von Kritik auf eine skeptizistische Haltung war wohl
schon vor dem Aufstieg «postfaktischer» Medienwelten keine taugliche Strategie.
Die mit dem digitalen Wandel einhergehende Zugänglichkeit zu Informationen
unterschiedlichster Herkunft und Qualität sowie die Krise der klassischen
Medien machen allerdings ein differenziertes Qualitätsbewusstsein besonders
dringlich.
Angesichts dieser Situation ist es zu begrüssen, wenn Pietro
Supino, der Verleger von Tamedia, die Flucht nach vorn ergreift. An der
diesjährigen Dreikönigstagung des Verlegerverbands bezeichnete er die Kompetenz
der Bürgerinnen und Bürger, «die Qualitäten der Angebote beurteilen zu können»,
als «absolute medienpolitische Priorität». Dieses Ziel müsse man ganz praktisch
angehen, indem Lehrerinnen und Lehrer mit ihren Klassen möglichst viele
Medienhäuser besuchen und so die journalistische Praxis aus erster Hand
kennenlernen.
Supinos praktischer Ansatz ist überzeugend, doch genügt er? Nein,
weil das Problem des fehlenden Qualitätsbewusstseins aus zwei Gründen
umfassender ist. Erstens spielt die Unterscheidung zwischen journalistischen
und nichtjournalistischen Texten im jugendlichen Umgang mit Informationen keine
zentrale Rolle, und deshalb muss die Bildung des Qualitätsbewusstseins
sämtliche mediale Angebote betreffen. Zweitens gründen die Defizite der
Jugendlichen auf einer theoretischen Unbedarftheit über das Wesen von
Information und Wahrheit. Der praktische Ansatz muss deshalb mit einer
theoretischen Reflexion einhergehen: Welche Eigenschaften machten eine
Information zuverlässig, plausibel, wahr?
Methoden modernen Wissens
Gerade die vielgescholtenen sogenannten «postmodernen» Theorien,
die auf historisch abenteuerliche Weise für den Aufstieg des «Postfaktischen»
verantwortlich gemacht werden, eröffnen Wege zum praktischen Lernen und zur
theoretischen Reflexion. Denn auf der Grundlage eines «postmodernen» Ansatzes,
Wahrheit als Effekt einer kulturellen Praxis zu verstehen, wird es möglich,
dass Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Formen der Konstruktion von
Wissen kennenlernen und diese auch selber ausprobieren und einüben. Sie lernen
so, dass die Qualität von Informationen von den Verfahren abhängen, mit denen
Wissen produziert wird. Statt sich in einer diffus-kritischen Haltung zu
gefallen, müssen Jugendliche Informationen einer Kritik unterziehen, mit der
die Produktion rekonstruiert wird: Wer hat mit welchen Interessen, Methoden,
Instrumenten und Kenntnissen «Wissen» produziert?
Ein postmodern inspiriertes, differenziertes Konzept der Kritik
lehrt weder tauben Relativismus noch blinden Universalismus, weder eine
diffus-kritische Haltung noch naiven Glauben an journalistische oder
wissenschaftliche Autoritäten. Vielmehr sollen Schülerinnen und Schüler lernen,
weshalb bestimmte Informationen zuverlässig, natürlich, plausibel oder wahr
sind und weshalb andere Informationen diesen Kriterien nicht genügen.
Ein solches Qualitätsbewusstsein setzt den Glauben an jene Normen
voraus, auf denen der Erfolg der modernen Wissenschaften und Medien beruht. Es
geht um Kriterien und Standards, die sowohl für die Recherche des
Qualitätsjournalismus als auch für die Forschung der Wissenschaften leitend
sind: die intersubjektive Nachvollziehbarkeit, die empirische Begründung, der
Wille zur Komplexität oder auch die Möglichkeit der Widerlegung und der
Revision.
Die «Allianz für die Aufklärung», die der in Lugano lehrende
Medienwissenschafter Stephan Russ-Mohl von Wissenschaft und Journalismus
fordert, bleibt wirkungslos, wenn Bürgerinnen und Bürger nicht gelernt haben,
die entsprechenden Prinzipien der Konstruktion von Wissen wertzuschätzen. Die
Bildung von Glauben an wissenschaftliche und journalistische Normen kann nicht
Programm eines einzelnes Fach bleiben, sondern muss zu einer zentralen Aufgabe
der gesamten Schule werden. In Zeiten, in denen sich alle Schulen der digitalen
Herausforderung stellen, gilt es, die Verpflichtung der Bildung zum Projekt der
Aufklärung und zu modernen Methoden des Wissens zu erneuern.
Der konkrete Umgang mit Informationen wird allerdings schwierig
bleiben. Ob die recherchierten Informationen wissenschaftlichen oder
journalistischen Methoden genügen, ist unter den digitalen Bedingungen noch
schwieriger zu beurteilen als zuvor. Google, Siri und Alexa führen ihre User
unter anderem zu Informationen, die an den Rändern und auch fernab des
journalistischen und akademischen Betriebs angeboten werden und zugleich
Anspruch auf journalistische Qualität oder Wissenschaftlichkeit erheben.
Bedeutung des Vertrauens
Wo mitunter nur Fachexperten beurteilen können, ob dieser Anspruch
berechtigt ist, sind Jugendliche heillos überfordert. Gerade ihr diffuser
Skeptizismus macht sie zu einfachen Opfern «alternativer Fakten». Die
einschlägigen Websites kokettieren mit einer kritischen Position gegenüber
Medien und kostümieren sich mit vermeintlich wissenschaftlichen Fragen und
Methoden. Mit der Kantschen Rhetorik des «sapere aude» überlassen sie es auf
suggestive Weise den Usern, sich eine eigene Meinung zu bilden.
Angesichts solcher Schwierigkeiten der gegenwärtigen Medienwelt
muss Bildung auf eine Ressource zurückgreifen, die im «Mut, dich deines eigenen
Verstandes zu bedienen», nicht explizit vorgesehen ist: Vertrauen. Schülerinnen
und Schüler sollen ein begründetes Vertrauen in journalistische und
wissenschaftliche Institutionen aufbauen, die den aufklärerischen Prinzipien
der Wissensproduktion verpflichtet sind. Erst auf dieser Basis werden ein
produktiver Umgang mit Informationen unterschiedlichster Qualität und eine
Reflexion von «Alternativen» möglich. Eine solch differenzierte kritische
Haltung führt eine für Bildung zentrale Traditionslinie der Aufklärung weiter:
die Verpflichtung zum Unabgeschlossenen. Zumindest momentan sind Siri und Alexa
mit dieser Offenheit noch überfordert.
Philippe Weber ist Geschichtslehrer an der Kantonsschule Zug und
Dozent für Fachdidaktik Geschichte an der Universität Zürich.
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